Das viel diskutierte "Du"
ZfK: Globalisierung und Kulturwandel sorgen dafür, dass sich gesellschaftliche Konventionen und Benimmregeln weiterentwickeln und verändern. Wie sieht das bei Stadtwerken aus? Ist das Du auch da auf dem Vormarsch?
Lea Groß: Ja, ich stelle fest, dass auch in Stadtwerken das Duzen zunehmend üblich wird. Dies hängt jedoch stark von der jeweiligen Hierarchieebene ab. Innerhalb von Abteilungen duzen sich die Mitarbeitenden häufig, während ebenenübergreifend oft weiterhin das Siezen vorherrscht.
Ich beobachte selten, dass die Unternehmensleitung konzernweit das Duzen als standardisierte Umgangsformel anbietet. Dies hängt sicherlich nicht nur mit der Unternehmenskultur, sondern auch mit den politischen Schnittstellen zusammen.
Im Zweifelsfall lieber siezen
Laut Knigge bietet die Dame das Du an, der Ältere dem Jüngeren. Im Job sieht die Sache anders aus. Im Job sollte nur der Ranghöhere das Du anbieten, also auch die jüngere Chefin dem älteren Kollegen. Gelten die Regeln noch?
In einigen Branchen und Unternehmen, wie beispielsweise Start-ups und IT-Konzernen, ist es bereits etabliert, dass sich die Mitarbeiter durchweg duzen. So ist es jedem, unabhängig von der Hierarchie möglich, das Du direkt anzubieten. In Organisationen ohne eine klare Du-Kultur ist es hingegen ratsam, zunächst die sozialen Gepflogenheiten zu beobachten.
Im Zweifelsfall sollte man darauf warten, dass eine höhergestellte Person das Du anbietet, um potenziellen Missverständnissen oder einem als unhöflich empfundenen Verhalten vorzubeugen.
Positive Auswirkungen des Duzens
Wie ist Ihre Meinung? Was sind die Vorteile der Duz-Kultur am Arbeitsplatz?
Das Duzen am Arbeitsplatz fördert eine persönlichere Atmosphäre, was häufig dazu beiträgt, dass sich Mitarbeitende schneller öffnen und vertrauensvoller miteinander kommunizieren. Diese Gesprächskultur ermöglicht eine gute Teamzusammenarbeit sowie einen verbesserten Umgang mit Fehlern.
Aufgrund des Nähegefühls und der daraus resultierenden Sicherheit können Ideen eher eingebracht und kritische Gedanken frei geäußert werden – auch in Richtung der Führungskräfte. Darüber hinaus wird eine Du-Kultur oft mit modernen, innovativen Unternehmen assoziiert. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kann das ein entscheidender Vorteil bei der Suche nach potenziellen Bewerbern sein.
Das "Du" kann Erwartungen wecken
Und wo lauern Gefahren? Was sind die Nachteile?
Viele haben Sorge, dass das Duzen zu mangelndem Respekt, vor allem gegenüber Vorgesetzten, führen könnte. Das beobachte ich aber eher weniger. Echte Nachteile entstehen dann, wenn das Du zwar angeboten, aber nicht ernst gemeint ist. Bei einem autokratischen Führungsstil und dem Wunsch, formale Distanz zu wahren, sollte das Du nicht angeboten werden. Tut man es doch, kann es zu einem Bruch der Erwartungen und Irritation kommen.
Das vertraute Du steht dann im Widerspruch zu tatsächlichen Verhaltensweisen. So wird oberflächlich Nähe und Vertrauen suggeriert, unterschwellig jedoch eine missverständliche und irritierende Ungleichheit transportiert. Auch führt das Duzen ohne klare Regeln zu Verunsicherungen bezüglich der Ansprache-Formen, was vor allem für neue Mitarbeitende eine echte Herausforderung sein kann.
Anbieten vs. vorschreiben
Bei dem größten schwedischen Möbelhaus gehört das Du von Anfang an zur Unternehmenskultur. Der Vorstand des Versandhauses Otto, Hans-Otto Schrader, sorgte vor einiger Zeit für Aufsehen, als er allen 53 000 Mitarbeitenden das Du anbot. Kann man in deutschen Unternehmen das Du verordnen? Oder kann ich ablehnen?
Es macht einen Unterschied, ob ich das Du anbiete oder es verordne. Ein angebotenes Du signalisiert Offenheit und stellt ein Beispiel für eine gewünschte Unternehmenskultur dar, lässt jedoch den Mitarbeitenden die Freiheit, darauf individuell zu reagieren. Dies kann ein effektiver erster Schritt sein, um eine Du-Kultur zu entwickeln.
Das Du zu verordnen – davon rate ich ab. Es kann als autoritärer Eingriff in das soziale Gefüge des Unternehmens empfunden werden und Widerstand, Unverständnis sowie ein Gefühl der Bevormundung hervorrufen. Ein solcher Zwang kann die Akzeptanz des Duzens beeinträchtigen und die Unternehmenskultur negativ beeinflussen.
Ob ich ein mir angebotenes Du ablehnen kann? Selbstverständlich, dies sollte allerdings mit Bedacht erfolgen. Es besteht das Risiko, die Erwartungen und den Stolz des Anbietenden zu verletzen. Trotzdem finde ich, wenn wir gute Gründe sehen, ein Du abzulehnen, sollten wir das auch tun.
Ansprache muss zum Unternehmen passen
Was empfehlen Sie Ihren Unternehmen?
Meine klare Empfehlung ist, zu hinterfragen, welche Umgangsformen für das jeweilige Unternehmen passend sind. Es gibt keine universelle Regel oder den einen richtigen Weg. Ist ein Miteinander auf Augenhöhe zielführend, weil flache Hierarchien zugunsten eines schellen und offenen Austausches herrschen, bietet sich das Du an.
Ein erster Schritt könnte sein, gemeinsam ins Gespräch mit den Mitarbeitenden zu gehen, um über die Zusammenarbeit sowie bevorzugte Umgangsformen zu reflektieren. Darauf aufbauend kann dann gemeinschaftlich darüber entschieden werden, wie man sich fortan in der Arbeitswelt ansprechen möchte.
Darüber hinaus empfehle ich die Entwicklungen am Arbeitsmarkt kontinuierlich im Blick zu behalten, um sich als attraktiver Arbeitgeber positionieren und wettbewerbsfähig bleiben zu können. Nahbare Umgangsformen und das "Du" setzen sich immer weiter durch. Fragen Sie sich, was diese Entwicklung für Ihren Stadtwerkekonzern bedeuten kann und positionieren Sie sich bewusst. (hp)
Das Interview führte Christina Hövener-Hetz