Diese KPIs verbessern Bewerbungsprozesse
Die Möglichkeiten von HR-Abteilungen, mit Hilfe standardisierter Prozesse die eigene Arbeit besser zu strukturieren und zu dokumentieren, sind groß. Standardisierte Softwarelösungen sorgen für höhere Qualität in der Arbeit, schaffen Transparenz und erhöhen die Produktivität.
Der Segen neuester digitaler Bewerbungs- und Bewerberkommunikationsprozesse findet allerdings oft ein jähes Ende. Während ausgeklügelte Systeme Routinen vorgeben und Prozesse digitalisieren, sind es am Ende oft die menschlichen Faktoren, die dafür sorgen, dass es dann doch wieder vier bis acht Wochen dauert, bis eine Einstellungsentscheidung getroffen wurde bzw. andere Bewerber eine definitive Absage erhalten haben.
Die digitale Analogfalle
Immer dann, wenn diese digital abgebildeten Prozesse zu den Entscheidern der Prozesse gelangen, entstehen Medienbrüche oder digitale Analogfallen. Vormals gut durchdachte und digital abgebildete Lösungen werden dann jäh entschleunigt oder ganz gestoppt. So werden E-Mails in der Fachabteilung auf Grund von Arbeitsverdichtung zu spät oder gar nicht gelesen, Bearbeiter in den HR-Abteilungen fallen gesundheitsbedingt aus, wechselseitige Urlaube von Entscheidern und nicht oder schlecht gepflegte Kalender behindern die notwendigen Terminfindungen oder Vertreter von Vertretern wissen auch nicht, was zu tun ist.
Bewerbungsverfahren, die meist sehr schnell und gut gestartet sind, geraten ohne böses Zutun in einen Stau von Organisation, vergleichbar mit einem Auto, das auf ein Stauende zufährt und dann nur via Stop and go zum Ziel kommt. Kein Wunder, dass dann der eine oder andere Bewerber die nächste Ausfahrt nimmt.
Ghosting ist ein neues Phänomen
Aber auch auf Bewerberseite kommt es zunehmend zu Phänomenen, die an der Bruchstelle von digitalen Systemen und menschlicher Kommunikation entstehen. Ein in den letzten Jahren in jeder HR-Abteilung auftauchendes Phänomen ist das Ghosting. Während die Absendung von Bewerbungsunterlagen und eventuelle Rückfragen per E-Mail sowie eine Terminvereinbarung noch ohne Probleme möglich waren, wird von Bewerberseite die persönliche Kommunikation manchmal vollständig vermieden, Termine nicht mehr eingehalten und auf Nachfragen nicht mehr geantwortet. Sicher steckt hinter diesem Phänomen noch viel mehr, aber nachdem ein Bewerber bereits persönlich mit den Entscheidern in Unternehmen gesprochen hat (z.B. via Telefon oder Teams), nimmt die Wahrscheinlichkeit des Ghosting deutlich ab, wie die Erfahrung vieler Recruiter zeigt.
Viele digitale Analogfallen treten einmalig auf, andere immer wieder. Zwar gibt es keinen vollständigen Schutz vor diesen Fallen, aber man kann versuchen, ihnen auf den Grund zu gehen und viele von ihnen proaktiv vermeiden. Ein erster Schritt dahin ist, Prozesse genau zu beobachten und zu vermessen.
Analyse von Recruitingprozessen
Die sogenannten Key-Performance-Indikatoren (KPIs) messen den Erfolg eines Unternehmens anhand unterschiedlicher Faktoren. Einfache und bekannte KPIs sind Umsatz und Gewinn, der Gewinn vor Steuern oder der Return on Investment. Aber es gibt auch branchen- und abteilungsspezifische Kennzahlen wie die Conversion Rate im Onlinemarketing, die Gesamtanlageneffektivität in der produzierenden Industrie oder spezifische Wartungs- und Instandsetzungskennzahlen im Anlagenbau.
Jede Branche, jedes Unternehmen und jede Abteilung kann mit einer Vielzahl dieser Indikatoren ihre Tätigkeit vermessen. Ziel dieser Schlüsselindikatoren ist die Messung von Qualität oder der Qualität eines bestimmten Prozesses, um diesen vergleichbar zu machen. Entweder erfolgt der Vergleich innerhalb des eigenen Unternehmens (z.B. um Abteilungen zu vergleichen) oder mit Dritten (z.B. Wettbewerbsbenchmarks).
Die richtigen KPIs auswählen
Wichtig ist, dass relevante Faktoren für den Unternehmenserfolg betrachtet werden und diese auch messbar sind. Ein Beispiel: Kaffeekonsum pro Mitarbeitendem ist eine schlechte Kennzahl, da nicht alle Mitarbeitenden Kaffee trinken, einige ihren eigenen Kaffee mitbringen und die Relevanz dieser Kennzahl ohnehin fraglich ist.
In den letzten Jahren sind zahlreiche KPIs auch im Recruiting etabliert worden, die sich grob in drei Kategorien einteilen lassen: KPIs im Bereich der Suche und Ansprache von Bewerbern, in der Auswahl von Bewerbern sowie zur Qualität und Nachhaltigkeit der Stellenbesetzung. Je nachdem, in welchem Feld Handlungsbedarf besteht oder was genau untersucht werden soll, kann sukzessive ein System implementiert werden, um einzelne Prozessschritte zu analysieren.
Kennzahlen sind wie eine Lupe
Nicht alle Kennzahlen sind für alle Unternehmen gleich wichtig und nicht alle Unternehmen können die Kennzahlen trennscharf erheben, aber alle richten den Blick auf bestimmte Facetten eines Prozesses und wirken wie eine Lupe.
Zu Beginn ist es ratsam, leicht zu erhebende und gut nachvollziehbare Faktoren in den Blick zu nehmen. Für die meisten Unternehmen ist beispielsweise unbefriedigend, wie lange Einstellungsprozesse dauern. Hier kann die KPI „time to hire“ herangezogen werden. Dabei wird geprüft, wie lange es von der Genehmigung zur Besetzung der Stelle bis zum unterschriebenen Arbeitsvertrag dauert.
KPI für Bewerbungskanäle
Dies nachzuvollziehen ist nicht immer leicht, wenn keine perfekte Dokumentation vorliegt. Ändert sich zum Beispiel das Anforderungsprofil oder schaltet man einen externen Personalberater ein, ändern sich schnell Bearbeitungszeiten und am Ende werden Äpfel mit Birnen verglichen. Ob man diese Kennzahl für jede besetzte Position erhebt oder Bereich A mit Bereich B vergleicht, um Unterschiede herauszuarbeiten, hängt immer vom Ziel und von der Fragestellung ab.
Viele Unternehmen haben noch nicht erhoben, welche Rekrutierungskanäle wirklich funktionieren und nachweislich zu Arbeitsverträgen führen. Kennzahlen aus dem Bereich „channel effectiveness“ zeigen auf, woher und über welche Kanäle die guten Bewerber kommen.
Bis zu 50 Kennzahlen
Es ist nicht selten so, dass zum Beispiel Hochschulmessen zu einem erhöhten Bewerbungseingang führen, aber selten zu unterschriebenen Arbeitsverträgen. Ähnliches gilt für „cost per hire“, die Kosten der einzelnen Bewerberkanäle. Diese zeigen, wie sich das Verhältnis und die Performance der einzelnen Kanäle kostenseitig darstellen. Auch qualitative Faktoren, wie die „process satisfaction“, die die Zufriedenheit der Bewerber mit dem Bewerbungsprozess oder der Prozessbeteiligten im Unternehmen misst, geben Aufschluss über die Qualität des Verfahrens.
Darüber hinaus können viele weitere Indikatoren Erkenntnisse über die Leistungsfähigkeit von Personalprozessen liefern, nicht nur im direkten Recruitingkontext. HR-Abteilungen nutzen inzwischen über 50 solcher Kennzahlen. Je nach Unternehmen und Branche unterscheiden sich diese jedoch erheblich.
Vor- und Nachteile von KPIs berücksichtigen
Die Vorteile einer Nutzung von Leistungsindikatoren liegen auf der Hand: Transparenz in den Prozessen deckt Schwierigkeiten auf und führt allen Beteiligten Handlungsnotwendigkeiten vor Augen. Die standardisierte Bearbeitung und Beobachtung führt zu einer besseren Steuerungsfähigkeit und Professionalisierung. Bisher eher intransparente Recruitingwelten werden so berichtsfähig und verschaffen dem Management die Möglichkeit, schneller Maßnahmen einzuleiten.
Aber den Vorteilen stehen auch einige Nachteile gegenüber. Nicht jedes Unternehmen ist in der Lage, trennscharf Messung und Auswertung von KPIs zu realisieren. Die Überwachung der Qualität der Ausgangsdaten, die genaue Auswertung und die Kenntnisse über methodische Fehler sind essenziell und bedürfen Qualifikationen, die gerade in mittelständischen Unternehmen nicht in jeder HR-Organisation vorhanden sind.
Neue Routinen einüben
Und auch auf der sozialen Ebene sind in vielen Unternehmen Widerstände zu erwarten. Was auf der einen Seite als Transparenz gelobt wird, wird auf der anderen Seite als Überwachung und Kontrolle gelesen. Ein gegenseitiges Ausspielen von Stakeholdern kann das Betriebsklima entscheidend stören, weshalb die Zusammenarbeit mit betrieblichen Interessenvertretungen oft das entscheidende Kriterium dafür ist, wie erfolgreich ein solches Instrument eingesetzt werden kann.
Die durch die KPIs gemessenen und identifizierten Defizite in Maßnahmen zu überführen, stellt viele Unternehmen vor weitere Herausforderungen, da jahrelang eingespielte Routinen geändert werden müssen, um auf den dynamischen Arbeitsmärkten erfolgreich bleiben zu können. Die KPIs stehen daher meist am Anfang umfangreicher Changemaßnahmen und dienen später der Überwachung und dem Controlling, ob sich das Unternehmen noch auf dem richtigen Pfad befindet.
Bewerbungsverfahren werden kürzer
Bei der Beschleunigung von Bewerbungsprozessen sind die richtigen Key-Performance-Indikatoren hilfreich, um Schwachstellen aufzuzeigen und Defizite zu identifizieren. Bei sauber erhobenen Daten können Vergleiche innerhalb und außerhalb des Unternehmens helfen, die Wettbewerbsfähigkeit entscheidend zu steigern – auch weil gute Bewerber das Bewerbungsverfahren nicht mehr wegen seiner langen Dauer verlassen. (hp)