Karriere

Das Potenzial der Silver Worker

Schön früh in Rente? Das wird wohl nichts. Wie das Roman Herzog Institut in einer aktuellen Studie ermittelte, sollten Arbeitnehmer bald eher länger arbeiten, um den demografischen Wandel aufzufangen. Doch dafür müssten die Rahmenbedingungen geändert werden.
31.10.2023

Bitte bleib noch! Silver Worker sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt wie nie.

Viele Menschen möchten gern weniger arbeiten und schon ab 62 Jahren in Rente gehen. Das bestätigt sich immer wieder in Umfragen. Allerdings passt dieser persönliche Wunsch nicht zur alternden Gesellschaft in Deutschland. Um den Mangel an Fach- und Arbeitskräften abzuschwächen und die Finanzierung der gesetzlichen Altersvorsorge zu stabilisieren, müsste die Lebensarbeitszeit vielmehr steigen.

"Deutschland gehört in Europa zu den Ländern, in denen Erwerbstätige auf das Arbeitsleben bezogen am wenigsten Stunden arbeiten."
Ergebnis aus der RHI-Studie des Roman Herzog Institus.

Ältere könnten Lücken auf dem Arbeitsmarkt schließen

Wie dies gehen kann, welche Potenziale in den sogenannten "Silver Workern" – den 65- bis 69-Jährigen – liegen und wie Deutschland im internationalen Vergleich da steht, ist der aktuellen RHI-Studie des Roman Herzig Institut e.V. zu entnehmen. Der Titel der Studie lautet: "Lebensarbeitszeit im internationalen Verleich. Die Bedeutung der Silver Worker für die Fachkräftesicherung."

Als eine Kernaussage ergab sich zunächst: Bezogen auf die Lebensarbeitszeit der Erwerbstätigen pro Jahr liegt Deutschland sowohl im europäischen wie im internationalen Vergleich auf dem letzten Platz. Im Durchschnitt kommen wir nämlich auf nur 1.340 Stunden. Nimmt man den Wert der Erwerbstätigkeit pro Stunde noch hinzu, steigt Deutschland zwar im Ranking, ist aber dennoch weit entfernt von einer guten Position. Bei der Ausdehnung der Lebensarbeitszeit gibt es also noch große Reserven, die es zu mobilisieren gilt, so die Studie.

Neben diesen niedrigen Arbeitszeiten besteht schon 2023 in Deutschland eine Fachkräftelücke von 630.000 offenen Stellen, für die es keine passend qualifizierten erwerbslosen Personen gibt. Die Lücke wird sich durch den Renteneintritt der Babyboomer noch vergrößern: Bis 2030 verlassen etwa 9 Millionen Ältere den Arbeitsmarkt, aber nur 6 Milionen Jüngere rücken nach. Die Lösung? Da die Lebenserwartung seit Jahrzehnten weltweit steigt und sich viele Menschen auch im höheren Alter guter Gesundheit erfreuen, könnte man diese Situation auf dem Arbeitsmarkt nutzen – und verstärkt auf Silver Worker setzen.

Schrittweise Reduzierung der Arbeitszeit

Doch Erwerbstätige, die über die Regelaltersgrenze hinaus einer Erwerbstätigkeit nachgehen, wünschen sich, so die zweite Kernaussage der Studie, einen flexibleren Übergang in den Ruhestand als derzeit möglich.

Damit also Arbeitsmodelle im Alter gelingen und wahrgenommen werden, so die Studie, müssten sie die individuellen Präferenzen der Beschäftigten berücksichtigen. Pauschale Empfehlungen zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit oder der Förderung von Silver Workern passen nicht zur stark ausdifferenzierten Arbeits- und Lebenswelt der älteren Menschen. Sinnvoll erscheint es, einen flexiblen Übergang in den Ruhestand zu ermöglichen, bei dem die Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, ihre Arbeitszeit am Ende ihrer beruflichen Laufbahn schrittweise zu reduzieren.

"Damit Arbeitsmodelle im Alter gelingen und wahrgenommen werden, müssen sie die individuellen Präferenzen der Beschäftigten berücksichtigen."
Ergebnis aus der RHI-Studie des Roman Herzogs Instituts.

Die Maßnahmen anderer Länder

Andere Länder haben wegen des demografischen Wandels bereits folgende Regelung eingeführt: Sieben OECDStaaten – Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Italien, Niederlande und Portugal – setzen zum Beispiel auf die Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters, welches sich dynamisch an die (steigende) Lebenserwartung anpasst. In Dänemark, Estland, Griechenland und Italien verlängert sich das Erwerbsleben gleich lang mit der Lebenserwartung, das heißt, ein Jahr längere Lebenserwartung bedeutet ein Jahr späterer Renteneintritt. So stellen diese Länder sicher, dass die Dauer in der aktiven Rente gleich bleibt.

Eine Win-Win-Situation für Deutschland?

Um die Sozialsysteme zu sichern, will auch Deutschland die Regelaltersgrenze für die gesetzliche Rente ohne Abschläge bis 2031 schrittweise auf 67 Jahre anheben. Aktuell liegen wir bei 66 Jahren. Zudem ist zum 1. Januar 2023 die Hinzuverdienstgrenze beim vorzeitigen Rentenbezug weggefallen, um Anreize für eine Weiterbeschäftigung zu schaffen. Personen, die vorzeitig mit Abschlägen oder abschlagfrei den Renteneintritt vollziehen, können somit neben dem Bezug der Rente unbegrenzt sozialversicherungspflichtig hinzuverdienen.

Im Kontext der Fachkräftestrategie sollen ältere Erwerbstätige damit so lange wie möglich im Erwerbsleben gehalten werden. Ein weiterer Vorteil kommt noch hinzu: Für gesunde Menschen kann die Weiterarbeit im Ruhestand zur Stabilisierung der Lebenszufriedenheit führen. Silver Worker nennen immer wieder Sinnstiftung, Anerkennung, Wertschätzung und das Gefühl, weiterhin gebraucht zu werden, als wichtige Motive ihrer Weiterbeschäftigung.

Wer also Mitarbeitern im Rentenalter die Möglichkeit einräumt, individuell zu entscheiden, wie viele Stunden sie ihre Firma weiterhin unterstützen möchten, könnte nach den Ergebnissen der Studie mit einer Win-Win-Situation auf dem Arbeitsmarkt rechnen. Es gilt, ein höheres Arbeitsvolumen für die Mitarbeiter mit einem höheren Lebensstandard und einer höheren Lebenszufriedenheit zu verbinden – und genau dafür entsprechende Anreize zu schaffen. (ah)