Karriere

Viele Manager sind erschöpft

Einer Studie zufolge klagen erschreckend viele Manager über Müdigkeit. Mitautor Randolf Jessl erklärt im Interview, welche Lösungen es gibt.
05.04.2024

Die Herausforderungen für Manager werden größer: Immer neue Verantwortlichkeiten sind zu übernehmen und die Führungsaufgaben werden komplexer.

Nach Ihrer Umfrage sind zwei von drei Führungskräften erschöpft. Wie erklären Sie sich das Ergebnis?
"Keine Zeit für nichts": So lautete die direkte Antwort einer Teilnehmerin in einem Leadership-Workshops auf die Frage nach ihrer aktuellen Arbeitssituation. Ein Gefühl, das die anderen Teilnehmer bestätigen konnten. Insgesamt sind die Menschen in den Unternehmen heute mehr und mehr erschöpft.

Das zeigen ja auch die Berichte der Krankenkassen. Bei Führungskräften kommt aber noch etwas hinzu: Immer neue Verantwortlichkeiten sind zu übernehmen und die Führungsaufgaben werden komplexer. Die Regulierungen nehmen zu und von allen Seiten werden unglaubliche Erwartungen an die Chefs gestellt – sie sollen alles können und den Überblick behalten. Und das in schwierigen Zeiten mit Lieferkettenproblemen, Energiekrisen, Fachkräftemangel oder Konjunkturkrisen. Hier muss man sich vor Augen führen, dass ausgebrannte Führungskräfte den Blick für das Ganze verlieren und negativ auf alle in ihrem Umfeld wirken.

Sie haben bereits an anderer Stelle gesagt, dass die Erschöpfung mehr ein Symptom als eine Ursache ist.
Richtig. Das ist der jahrzehntelang eingeübte Reflex, man müsse die Führungskraft einfach weiter optimieren, noch belastbarer machen, salopp gesagt: noch ein Achtsamkeitstraining, noch mehr Coaching, vielleicht einen Massageservice. Wir wollen mit unserer Studie Wege aufzeigen, wie man durch einen anderen Umgang mit Führung und durch eine andere Organisation erstens zu einer Entlastung und zweitens sogar zu einer besseren Performance kommen kann.

  • Die Studienautoren Thomas Wilhelm (re.) und Randolf Jessl sind Geschäftsführer der Unternehmensberatung Auctority.

Sie denken da an die geteilte Führung?
Ja, auf jeden Fall. Teilen wir die Führung, addieren wir die unterschiedlichen Kräfte. Unsere Studien zeigen, dass Unternehmen ein System schaffen sollten, in dem Menschen dort führen, wo sie wirklich gut sind und wofür sie die besten Voraussetzungen mitbringen. Es gibt Leute, die können sehr gut Wachstum managen, andere können sehr gut Gruppen motivieren, aber wenn es zum Beispiel um Restrukturierung geht, knicken sie ein. Führung durch eine Person allein erzeugt einen Erwartungsdruck, dem Führungskräfte zunehmend nicht mehr gewachsen sind.

Welches Modell ist für den betrieblichen Alltag am besten geeignet?
Hier gibt es eine große Bandbreite. Das klassische Modell ist die Doppelspitze, bei der in der Regel Geschäftsbereiche aufgeteilt werden. Daneben gibt es Co-Leadership, bei der sich zwei Personen eine disziplinarische Führungsposition teilen, oft in Teilzeit, und nach außen quasi als eine Person auftreten – die internen Diskussionen finden hinter den Kulissen statt. Der Vorteil ist dabei, dass man sich ständig gegenseitig spiegelt und voneinander lernt. Auch kann man sich die Aufgaben aufteilen und die jeweils eigenen Netzwerke addieren.

Macht es Sinn, das Team zu motivieren, selbst Führung zu übernehmen?
Ja, das ist dann noch mutiger. Hier kommen wir zu kollektiven Führungsmodellen, bei denen es zwar immer noch eine disziplinarische Führungskraft gibt, die aber sagt: Ich möchte, dass sich einer von euch um dieses Thema kümmert, dass er dieses Thema in unserer Abteilung vorantreibt und dort sozusagen als mein Vertreter agiert. Wobei in diesen Modellen die disziplinarischen Aufgaben immer noch bei der offiziellen Führungskraft liegen. Und dann gibt es noch die Modelle der Selbstorganisation, die ganz ohne disziplinarische Führung operieren – was im Einzelfall taugt, dafür sind die individuellen Umfeldbedingungen entscheidend.

Mit Umfeldbedingungen ist die Unternehmenskultur gemeint?
Ja, zumindest als ein wesentlicher Faktor. Hier beginnt es bereits bei der Einstellung, die alle Akteure zu Führung und Zusammenarbeit haben. Ein Umdenken ist sowohl bei den Unternehmen als auch bei den Beschäftigten erforderlich. Immerhin zeigte sich in der Befragung eine Mehrheit von 61,3 Prozent der Befragten grundsätzlich offen für die Idee der geteilten Führung. Führungsstellen gibt es jedoch oft nur in Vollzeit. Zudem sind auch rechtliche Fragen zu klären, wer später zur Verantwortung gezogen werden kann und auch haftet.

Es ist vor allem wichtig, den Führungskräften zu signalisieren, dass es kein Zeichen von Schwäche und kein Karrierehindernis ist, wenn Führung geteilt wird und Kompetenzen sich ergänzen. Von Bedeutung ist auch die Reife einer Gruppe. Wenn alle gewohnt sind, die Verantwortung an die Chefs abzugeben und jetzt auf einmal selbst den Hut aufhaben sollen, dann müssen sie darauf vorbereitet werden. Da geht es dann darum, das entsprechende Mindset-Skillset-Toolset zu vermitteln.

Geteilte Führung braucht also Zeit?
Unbedingt. Bei einem Co-Leadership-Modell ist zunächst eine Kalibrierung zwischen zwei Personen erforderlich. Dass mehrere Personen entscheiden und Führung übernehmen können, muss ein Team auch erst verdauen. Führung ist immer ein Gemeinschaftserfolg. Es ist ja viel angenehmer zu sagen, der Chef hat Schuld, wenn es nicht läuft.

Dann werden disziplinarische Führungskräfte zunehmend überflüssig?
Nein, absolut nicht. Aber sie müssen ihre Einstellung und ihr Verhalten ändern: Sie dürfen nicht länger glauben, dass sie als Alleinentscheider im Unternehmen der momentanen Komplexität auf Dauer gewachsen sind. Zudem sollten sie begreifen, dass neue Modelle verteilter Führung auch eine große Chance für die Mitarbeitenden sind, in Führungspositionen hineinzuwachsen und sich auszuprobieren. Heutzutage werden Fachkräfte oft sehr unvorbereitet mit diesen neuen Anforderungen bei einer Beförderung konfrontiert.

Und was ist mit den Kosten von geteilter Führung?
Natürlich sind die Sachkosten für mehrere Personen auf den ersten Blick höher. Aber das rechnet sich durch den höheren Output. Teilen sich zwei Personen im Co-Leadership und in einem 60 Prozent-Teilzeitverhältnis eine Stelle, bekommt der Arbeitgeber bei 20 Prozent mehr Kosten doppelt so viel Einsatz, Erfahrung und Netzwerk. Mit Co-Leadership haben wir wichtige Vollzeit-Führungsposition wieder besetzt, und zwar mit zwei guten Leuten, die uns sonst vielleicht verloren gehen. Das sind oft Frauen.

Und hier sind die Kosten durch Krankenstand und Burnout noch gar nicht eingerechnet. Auch nicht die Folgen durch schlechte Führung, wenn eine Person ausgebrannt ist und mit dem Team nicht zurechtkommt. Auf der anderen Seite muss man aber so ehrlich sein und sagen, dass schlecht geteilte Führung ebenfalls ein Problem werden kann, weil Mitarbeiter dann im schlimmsten Fall mit zwei inkompetenten Chefs klarkommen müssen. Deshalb ist es so wichtig, geteilte Führung im Tandem oder verteilte Führung im Team sorgsam einzuführen und alle Beteiligten gut darauf vorzubereiten. (hp)

Das Interview führte Boris Schlizio

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