Vom Dismatch zum Match: Neue Wege bei der Azubisuche
Die deutsche Wirtschaft braucht dringend Fachkräfte. Doch zuletzt erreichte die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze den Rekordwert von über 73.000. Gleichzeitig gingen über 63.000 junge Menschen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer aus oder fanden eine alternative Beschäftigung.
Doch was sind die Gründe dafür? Liegt es auch daran, dass die Suchstrategien von Unternehmen und ausbildungsinteressierten jungen Menschen nicht zueinander passen? Vor diesem Hintergrund wurden in einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und der Bertelsmann Stiftung sowohl Unternehmen als auch junge Menschen befragt und die Ergebnisse miteinander verglichen. Die Stichprobe umfasst rund 900 Personaler:innen in Unternehmen und über 1700 junge Menschen im Alter von 14 bis 25 Jahren.
Dabei zeigt sich: Besonders bei der Nutzung von Social Media kommunizieren Unternehmen und junge Menschen oft aneinander vorbei.
Quote der Ungelernten steigt
Die zunehmenden Passungsprobleme gehen mit einem starken Strukturwandel auf dem Ausbildungsmarkt einher: Laut der aktuellen Analyse hat sich die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge in Berufen mit durchgehenden Fachkräfteengpässen in den letzten zehn Jahren um gut 20 Prozent erhöht, während sie in Berufen ohne Fachkräfteengpässe um knapp 22 Prozent gesunken ist.
Gleichzeitig steigt jedoch Jahr für Jahr die Quote der Ungelernten: Zuletzt lag sie bei knapp 20 Prozent in der Altersgruppe der 20- bis 34-Jährigen, was einer absoluten Zahl von knapp 2,9 Millionen Menschen entspricht, die noch nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen.
Unterschiedliche Wahrnehmungen
Ein Viertel der Unternehmen konnte keinen der angebotenen Ausbildungsplätze besetzen, und ein weiteres knappes Fünftel konnte zumindest einen Teil der Stellen nicht füllen. Immerhin gelang es mehr als der Hälfte der Firmen, alle ausgeschriebenen Plätze vollständig zu vergeben.
Auf der anderen Seite ist mehr als jeder Vierte der jungen Menschen der Ansicht, dass es in Deutschland zu wenige Ausbildungsplätze gibt. Knapp die Hälfte meint, es gebe ausreichend Angebote, und nur etwa jede Zehnte hat den Eindruck, dass es zu viele Ausbildungsplätzte gebe. Die Realität der Passungsproblematik wird also aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich wahrgenommen.
Viertes Passungsproblem identifiziert
Neben den bei HR bekannten regionalen, berufsfachlichen und qualifikationsbezogenen Passungsproblemen wurde in der Studie auch ein bislang wenig beachteter Aspekt untersucht: mögliche Informationslücken.
Tatsächlich konnten auf Grundlage der vorliegenden empirischen Daten Kommunikation und Informationsverhalten als viertes Passungsproblem im gesamten Berufsorientierungsprozess identifiziert werden. Auf den Punkt gebracht: Unternehmen und Bewerber:innen finden häufig nicht zueinander, weil entscheidende Fakten den Interessierten unbekannt sind.
Von TikTok bis Snapschat
Verschiedene Social-Media-Kanäle, die junge Menschen für die Stellensuche und Unternehmen für ihr Ausbildungsmarketing nutzen, werden von beiden Seiten ähnlich intensiv verwendet. Im Fokus steht dabei vor allem Instagram, das von beiden Gruppen am häufigsten genutzt wird. Facebook ist bei Unternehmen stärker verbreitet, während TikTok und Snapchat bei Jugendlichen dominieren.
Jugendliche suchen jedoch auch wesentlich häufiger Informationen auf YouTube und WhatsApp, als Unternehmen diese Kanäle für ihr Marketing nutzen. Hier besteht also für Unternehmen nennenswertes Potenzial, ihr Kommunikationsverhalten stärker an das Medienverhalten der jungen Generation anzupassen und sie dort abzuholen, wo sie sich vorrangig aufhalten.
Onlinepräsenz breiter nutzen
Angesichts der angespannten Lage auf dem Ausbildungsmarkt aus Unternehmenssicht sollten möglichst viele Kanäle zielgruppengerecht, kompetent und authentisch gefüllt werden. Denn selbst über den am wenigsten genutzten Kanal – Empfehlungen durch Influencer – könnte ein Viertel der befragten jungen Menschen erreicht werden.
Das Potenzial lässt sich am besten ausschöpfen, wenn Unternehmen sich an den Gewohnheiten der Jugendlichen orientieren. Auszubildende im Betrieb sind dabei wertvolle Feedbackgeber:innen. Laut den Studienautor:innen ist es wichtig, sich zunächst mit den Gepflogenheiten und Eigenarten der verschiedenen Medien vertraut zu machen, um einen „cringen“ – also peinlichen oder unangemessenen – Auftritt zu vermeiden.
Schulbesuche und Betriebsbesichtigungen
Knapp acht von zehn der befragten Jugendlichen halten zudem Besuche von Ausbildungsbotschafter:innen im Unterricht für wichtig für ihre eigene Orientierung. Dass diese bislang nur von jedem fünften Unternehmen angeboten werden, wiegt etwas weniger schwer, da die Botschafter:innen für ihre jeweiligen Berufe vor ganzen Schulklassen werben.
Die Nähe zur Zielgruppe spielt eine wichtige Rolle, was sich auch daran zeigt, dass Formate, in denen Jugendliche und Unternehmen direkt in Kontakt kommen, stark befürwortet werden. Dennoch bieten nur die Hälfte der Unternehmen Betriebsbesichtigungen an, obwohl 88 Prozent der Jugendlichen diese für wichtig erachten. Dieses Instrument sollten Unternehmen daher stärker priorisieren und mit den notwendigen Ressourcen ausstatten.
Bedeutung von Schulnoten unklar
Bemerkenswert ist auch, dass zwar fast drei Viertel der Betriebe angeben, persönliche Kompetenzen würden bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen immer wichtiger als formale Abschlüsse, während nur etwas mehr als die Hälfte der Jugendlichen diese Ansicht teilt.
Hier liegt eine große Chance: "Jugendliche sollten auch bei schwächeren Noten nicht auf eine Bewerbung verzichten, sondern auf ihre Stärken vertrauen. Unternehmen können Kandidat:innen gezielt zur Bewerbung motivieren, indem sie den Stellenwert persönlicher Kompetenzen in den Ausschreibungen herausstellen", sagt Clemens Wieland, Experte für berufliche Bildung bei der Bertelsmann Stiftung.
Mehr Azubis ohne Schulbschluss
In diesem Zusammengang analysierte auch die Studie der Bertelsmann Stiftung Big Data - Einblicke in den Ausbildungsmarkt über 2,4 Mio. Online-Stellenausschreibungen für Ausbildungsplätze und untersuchte das Ausbildungsangebot nach Schulabschluss.
Der Trend geht zu Online-Stellenausschreibungen ohne explizite Nennung eines schulischen Abschlusses. In Regionen mit besonders wenigen Ausbildungsbewerber:innen werden jedoch gezielt Jugendliche mit niedrigem Bildungsabschluss angesprochen.
Immer mehr Online-Stellenangebote für Ausbildungsplätze enthalten keine Angaben über die erforderliche schulische Qualifikation (58,0 Prozent im Bewerbungsjahr 2022/23, gegenüber 50,8 Prozent in 2018/19). Dieser Befund kann darauf hindeuten, dass die individuellen Kompetenzen von Bewerber:innen gegenüber dem formalen Bildungsniveau an Bedeutung gewinnen.
Unsicherheiten nehmen
Nur ein Bruchteil der Online-Stellenausschreibungen für Ausbildungsplätze richtet sich explizit an Jugendliche mit niedriger Schulbildung (15,3 Prozent). Besonders in dieser Gruppe könne die fehlende Nennung des (Mindest-)Schulabschlusses zur Unsicherheit führen, ob der eigene Schulabschluss für den ausgeschriebenen Ausbildungsplatz ausreicht.
Ausbildungsbetriebe passen ihre Ansprache zwar an die Marktbedingungen an. Angesichts des zunehmend drängenden Nachwuchsproblems auf dem Ausbildungsmarkt ist laut den Wissenschaftler:innen jedoch ein flächendeckendes Angebot für Jugendliche mit niedriger Schulbildung erforderlich. (bs)