Deutschland

Der vernachlässigte Bereich der Prozesswärme

Rund ein Fünftel der Endenergie geht in die Bereitstellung von Wärme und Kälte für industrielle Prozesse. Dort fand bislang kaum eine Substitution durch erneuerbare Energien statt, besagt eine Studie des Hamburg Instituts.
05.04.2018

Rund ein Fünftel der Endenergie geht in den Bereich der Wärmebereitstellung der Industrie. Doch dort fand noch keine große Substitution durch erneuerbare Energien statt, besagt eine Studie des Hamburg Instituts.

Etwa ein Fünftel der Endenergie in Deutschland fließt in den Bereich der Prozesswärme. Energie, die genutzt wird, um Wärme und Kälte für industrielle und gewerbliche Prozesse bereitzustellen. Während nun erneuerbare Energien im Bereich Strom bereits ein Drittel ausmachen, dümpelt der Anteil an erneuerbaren Energien in der Prozesswärme und –kälte seit Jahren bei sechs Prozent dahin. Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) und die Deutsche Messe haben deshalb das Hamburg Institut mit einer Studie beauftragt, die Gründe für das schwache Abschneiden der Regenerativen sowie die Potenziale zu analysieren – mehr oder weniger zum Auftakt der größten Industriemesse, der Hannover Messe,  die vom 23. bis 27. April in Hannover stattfindet.

Weshalb es bislang bei der Prozesswärme zu keinem Umschwung kam, erläuterte Christian Maaß, Partner des Hamburg Instituts: Etwa die Hälfte der Wärme wird für Prozesse mit Temperaturen über 1000 Grad Celsius benötigt. Beispiele hierfür sind die Stahlproduktion. Und für solch hohe Temperaturen stehen die Experten kaum Einsatzmöglichkeiten für „erneuerbare Wärme“.

Prädestiniert für die Substitution

Ein Viertel der Wärme geht in Verfahren mit Temperaturen zwischen 500 und 1000 Grad Celsius, 15 Prozent in den Bereich zwischen 100 und 500 Grad Celsius und lediglich zehn Prozent in den Sektor mit Temperaturniveaus von unter 100 Grad. Der Sektor mit den geringsten Niveaus, beispielsweise die Nahrungsmittelindustrie, ist aber prädestiniert für die Substitution mit Wärme aus erneuerbaren Energien. Dieser Sektor verbraucht etwa 45 TWh pro Jahr und kann quasi mit Energieträgern aus dem Erneuerbaren-Bereich vollkommen dekarbonisiert werden.

Als Quelle für Wärme aus regenerativen Energieträgern können nun Biomasse, Solarthermie, Tiefe Geothermie, Wärmepumpen oder Power to Heat aus Strom von Anlagen aus erneuerbaren Energien genutzt werden. Das Problem ist nun, dass das geforderte Temperaturniveau der Prozesse die Optionen einschränken kann – gerade für die Temperaturniveaus höher als 100 Grad Celsius. In diesem Fall plädiert Maaß für eine Kombination aus einer "erneuerbaren" und einer fossilen Energiequelle. Im Prinzip kann die „erneuerbare Wärme“ mit einem Gaskessel exergetisch aufgewertet werden.

Power to Gas oder Power to Liquid?

Das niedrige Temperaturniveau ist also am einfachsten mit Erneuerbaren zu versorgen.  Das mittlere Temperaturniveau, also beispielsweise die Chemieindustrie oder der Maschinenbau, ließe sich mit Biomasseanlagen oder synthetischen Brennstoffen aus Erneuerbaren (Power to Gas, Power to Liquid) zum Teil dekarbonisieren. Am schwierigsten ist die Substitution im Hochtemperaturbereich.

Bei alle Bereichen bleibt aber immer eine Option: Effizienz und Abwärmenutzung. Diese  Schritte könnten konsequent angestrebt werden. Bislang wenig untersucht ist auch der Einsatz von strombasierten Verfahren, also streng nach der All-electric-Strategie, um die Temperaturen für die Prozesse bereitzustellen. Generell bedarf es noch sehr viel Forschungsarbeit, um hier eine Substitution voranzutreiben, erklärte Maaß.

"Never change a running system"

Schließlich ist der Industriebereich ein sehr sensibler Sektor. „Wir wollen kein Carbon Leackage“, machte Maaß deutlich. Was nun viele Unternehmen von einer Umstellung abhält, sind die Kosten, erklärte Ulf Siebert, Referent für Wärmepolitik beim BEE. „Never change a running system“, – mit diesem Vergleich machte er die Schwierigkeiten deutlich. Für den Umbau kann es zu Produktionsausfällen kommen und zudem profitiert der Sektor von vielen Vergünstigungen – geringen Abgaben und Umlagen auf fossile Energieträger.

Aus diesem Grund fordert auch BEE-Geschäftsführer Peter Röttgen: „Wir brauchen eine  Neuordnung des Abgaben- und Umlagen-Systems.“ Nur dadurch könne es zu einer wirklichen Sektorkopplung kommen. Komme es nicht zu einer Angleichung der großen Sektoren Wärme, Verkehr und Strom, drohen noch höhere Redispatch- und Einspeisemanagement-Kosten. Man müsse das System „in Gänze“ denken. Erst wenn das System neu austariert ist, kann das große Potenzial für erneuerbare Energien in der Prozesswärme – in Kombination mit einer CO2-Bepreisung – gehoben werden. (al)