Deutschland

Ungeduld im Rheinischen Revier - "Es geht nicht voran"

Deutschland will aus der Kohle aussteigen, und die Braunkohlereviere sollen dafür kräftige Finanzhilfen bekommen. Über ein Sofortprogramm werden ersten Projekte finanziert - auch in Sachsen-Anhalt.
25.07.2019

Macht Berlin zu wenig Tempo bei der Umsetzung des Kohle-Ausstiegs? Kommunen in den betroffenen Revieren meinen schon.

Die Ungeduld ist im Gespräch mit Rudi Bertram unüberhörbar. "Hier ist eine Riesenchance, die wir verpennen, weil es nicht weitergeht. Wir haben seit einem halben Jahr dieses Papier da liegen, es geht nicht voran", sagt der Bürgermeister (SPD) aus Eschweiler am Tagebau Inden. "Dieses Papier" ist der Beschluss der Kohlekommission zum Kohleausstieg bis 2038. "Wir müssen jetzt anfangen", sagt Bertram und meint den Strukturwandel. Dafür müssten die Rahmenbedingungen nicht nur in ein Gesetz, sondern in einen Staatsvertrag gegossen werden - damit niemand mehr daran rütteln kann.

Nach Beschluss der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung für einen Kohleausstieg in Deutschland bis 2038 hatte das Kabinett Eckpunkte zu den Hilfen für die Kohleregionen beschlossen: Nordrhein-Westfalen soll von den insgesamt 40 Mrd. Euro Strukturhilfen für die drei deutschen Kohleregionen mit 14,8 Mrd. Euro den größten Anteil erhalten.

Kaufen und planen verzögert sich

Das Revier will den Wandel zur Energieregion der Zukunft schaffen und als Modellregion zeigen, wie eine stabile Versorgung mit erneuerbaren Energien funktionieren kann. Aber bis wann und wo wie viele Kraftwerke stillgelegt werden, auch diese Frage ist noch immer offen.

Die im Kern des rheinischen Reviers betroffenen 19 Tagebau-Anrainerkommunen gehen die Situation pragmatisch an, macht Bertram deutlich: Sie brauchten Flächen, um neue Unternehmen anzusiedeln, Geld, um Flächen zu kaufen, Regionalpläne und Bebauungspläne und endlich auch die Bedingungen, um Geld aus der Strukturhilfe zu bekommen.

Hochschulen werden gefördert, Kommunen nicht

Aber am Ende interessiere laut Bertram die Menschen draußen: "Gibt es Arbeit, wie geht es weiter und wie ist die Region für die nächsten 30, 40 Jahre aufgestellt." Die 19 Kommunen gehen davon aus, dass durch den Kohleausstieg schon in den nächsten zwei Jahren die ersten bis zu 5000 Arbeitsplätze wegfallen.

Darum wollen sie mitentscheiden und fordern Anteile der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR), die den Strukturwandel bisher managt. "Ich lasse nicht zu, dass die betroffenen Kommunen hinterher die Verlierer sind", macht Bertram deutlich, was ihn und die Kollegen umtreibt. Von den 90 Mio. Euro Soforthilfe sei viel in die Hochschulen geflossen, aber nichts in diese Kommunen.

Vertane Chancen

Probleme gibt es auch an anderen Stellen, wie das Beispiel der Stadt Bedburg zwischen den Tagebauen Hambach und Garzweiler zeigt. In der Stadt lebt mehr als jeder zehnte Einwohner von der Braunkohle. Durch den Kohleausstieg sieht die Stadt 3000 Arbeitsplätze bedroht. Die 400 Arbeitsplätze, die ein Bad-Hersteller mit seiner Ansiedlung schaffen wollte, wäre ein Glücksfall gewesen, der aber wegen der "veralteten Gesetzgebung" - wie die Stadt es ausdrückt - nicht eintrat.

Das Unternehmen, das mit seinem Geschäftsmodell aus den gesetzlichen Rahmen fiel, und Bürgermeister Sascha Solbach (SPD) suchten nach einer Lösung, zwei Jahre lang - und gaben schließlich auf. "Ich bin frustriert, wie wenig die Verantwortlichen in Köln und Düsseldorf sich in dieser Zeit in unserem Sinne bewegt haben", sagte Solbach in Richtung Bezirks- und Landesregierung. Auch er kämpft dafür, dass die Strukturhilfen ins Kerngebiet des Reviers fließen, auch wenn es noch nicht so weit ist.

Welterbe bekommt als erstes Geld

Ein zügiges Umsteuern sei auch wichtig, damit die hoch qualifizierten Arbeitskräfte nicht abwandern, wie der Wirtschaftsgeograf an der RWTH Aachen, Professor Michael Gramm, sagt. Diese Gefahr sei in einer Situation der extremen Verknappung auf dem Arbeitsmarkt nicht zu unterschätzen. Gramm: "Ich bin ja im Energie- und Braunkohlesektor in einem gut qualifizierten Arbeitsumfeld unterwegs. Das sind im überwiegenden Teil hochgesuchte Spezialisten und Ingenieure." In einer solchen Situation müsse die Region schnell nach außen vermitteln, dass sie mit der Situation umgehen und umsteuern könne, sagt der Experte für Fragen des Strukturwandels.

Auch Kommunen, die bereits Gelder im Rahmen der Soforthilfe erhalten haben, sind nicht glücklich mit der Entscheidung: Im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt wird Kritik an der subventionierten Sanierung des Naumburger Welterbe-Doms laut. Er bekommt als erstes Geld aus der Kohle-Soforthilfe:

Digitalzentrum und Bildungscampus noch in der Pipeline

Der Landrat des Burgenlandkreises, Götz Ulrich, sprach von einem falschen Signal. "Für das Kernrevier sind das Projekte, die auf Kopfschütteln und Unverständnis stoßen und bei mir auch", sagte der CDU-Politiker. Gerade der Naumburger Dom sei als touristisches Angebot zwar wichtig, habe aber nicht oberste Priorität beim Strukturwandel. "Das nächste Projekt muss sitzen", forderte Ulrich.

Insgesamt 18 Ideen aus Sachsen-Anhalt stehen auf der Sofort-Liste. Dem Land stehen 30 Mio. Euro des Bundes zu. Angemeldet wurde etwa ein Digitalisierungszentrum sowie ein Bildungscampus für Zeitz. Auch zahlreiche Testregionen für den ultraschnellen neuen Mobilfunkstandard 5G, die Unterstützung von kommunalen Energiespar- und Klimaschutzprojekten, Straßenbauarbeiten sowie ein Ausbau des S-Bahnnetzes im Süden Sachsen-Anhalts finden sich auf der Liste.

Ausbau und Sanierung ÖPNV als nächstes

Das Kernrevier brauche Investitionen in innovative Bildungsinfrastruktur, sagte Ulrich. Auch der Ausbau der Schienenwege sei entscheidend. Für letzteres stimmen ihn die Signale aus der Magdeburger Staatskanzlei versöhnlich: Als nächste Projekte von der Sofort-Liste ist die Bewilligung der Gelder für den Ausbau der Mitteldeutschen S-Bahn samt Sanierung zahlreicher Haltepunkte zwischen Merseburg und Querfurt auf der Zielgeraden. "Das wäre wunderbar und würde uns zufriedener machen", so Ulrich. (ls/dpa)