"Wer glaubt, dass Stadtwerke im Bundestag nur für die Guten gehalten werden, irrt sich"

Andreas Rimkus ist seit 2013 Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Zuvor arbeitete er jahrzehntelang für die Stadtwerke Düsseldorf.
Bild: © Büro Andreas Rimkus
Lange bevor Andreas Rimkus SPD-Bundestagsabgeordneter wurde, war er Stadtwerker. Bei den Stadtwerken Düsseldorf wurde er Energieanlagenelektroniker, später Elektromeister. Anfang der 2000er-Jahre stemmte er sich gegen den Verkauf des Kommunalunternehmens, wenige Jahre später wurde er in den Düsseldorfer Stadtrat gewählt. Seit 2013 sitzt Rimkus im Hohen Haus. Jetzt ist Schluss. Diesen Dienstag kam der Bundestag zum voraussichtlich letzten Mal im Plenum zusammen. Rimkus tritt für die nächste Wahl nicht mehr an. Ein Interview über Kabelgraben und Politikerkarriere, das Image der Stadtwerke und die Zukunft des Wasserstoffs.
Herr Rimkus, Sie sind einer der ganz wenigen aktuellen Bundestagsabgeordneten, die zuvor bei einem Stadtwerk gearbeitet haben. Hätten Sie sich gern mehr Stadtwerker im Parlament gewünscht?
Wenn wir so wollen, bin ich ja noch spezieller. Ich habe nicht studiert, ich habe kein Abitur. Ich komme aus dem Kabelgraben. Wenn ich Leitungen sehe und von PE 80 und PE 130 rede, dann weiß ich, was ich sage. Da gibt es nur ganz wenige im Bundestag, die dieses Wissen mitbringen. Da wird es bei Fachgesprächen schon eng.
Ist es ein Problem, dass es vergleichsweise wenige Bundestagsabgeordnete gibt, die einen Erfahrungshorizont wie den Ihren mitbringen?
Das ist eine negative Frage. Lassen Sie es mich positiv formulieren: Der Bundestag braucht Leute aus der Praxis. Aber das ist nicht so leicht. Die Auswahlverfahren sind brutal. Und in meinem Fall war es eben Glück.
Als ich für den Bundestag kandidierte, war ich nicht mehr im Kabelgraben, sondern habe andere Aufgaben im Stadtwerk übernommen, bei denen ich zeitlich flexibler war und meine Termine selbst setzen konnte. Das war auch wichtig, um meine politischen Funktionen im Düsseldorfer Stadtrat und in der Partei ausüben zu können. Diese Freiheit haben andere nicht. Wer seine Werktage im Kabelgraben verbringt, hat es deutlich schwerer, in der Politik Karriere zu machen und schließlich für den Bundestag zu kandidieren.
Stattdessen beschließen Abgeordnete über die Zukunft von Strom- und Gasnetzen, die den Kabelgraben nie erlebt haben. Ist das zielführend?
Ich formuliere es mal so: Meine Bundestagsfraktion war sicherlich gut beraten, auf meinen Vorschlag hin einen Wasserstoffbeauftragten zu haben, der sich um dieses ganz neue und erklärungsbedürftige technische Feld kümmert.
Die Wahl ist dann auch prompt auf Sie gefallen.
Dafür bedanke ich mich, auch wenn das nicht meine Absicht war. Klar war aber: Wo Arbeit und Leistung eine Rolle spielen, müssen Fachleute ran. Wir haben Leute, die von den Gewerkschaften kommen. Die bringen das auch mit. Aus dem Bereich der Infrastruktur gibt es aber nur wenige. Das gilt nicht nur für die SPD, sondern für alle Fraktionen.
"Ich habe gelernt, dass ich in Bildern reden muss, wenn ich über Arbeit und Leistung spreche."
Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich habe gelernt, dass ich in Bildern reden muss, wenn ich über Arbeit und Leistung spreche. Denn viele Politiker bekommen den Unterschied zwischen Gigawatt- und Terawattstunden gar nicht hin. Deshalb habe ich meinen Fachkollegen immer geraten: Übersetzt es. Verwendet eine einfache Sprache. Und wenn es gar nicht mehr geht, macht einen rheinischen Singsang.
Welches Image haben Stadtwerke im Bundestag?
Wer glaubt, dass Stadtwerke hier durch die Bank für die Guten gehalten werden, irrt sich. Ihnen haftet teilweise noch immer das Image an, dass sie zu wenig innovativ seien, zu stark an fossilen Energien hingen und zu monopolistisch denken würden. Dabei sollte es doch nicht nur aus sozialdemokratischer Sicht unterstützenswert sein, dass es kommunale Unternehmen gibt, die Gewinne aus der Energiesparte verwenden, um Schwimmbäder vor Ort und den Nahverkehr mitzufinanzieren.
Tatsächlich ist die Stadtwerkewelt auch bunt. In Mannheim wollen sie bereits 2035 das Gasnetz stilllegen.
Ich fürchte, dass ihnen diese Kommunikation noch auf die Füße fallen wird.
Wie würden Sie es denn machen, wenn Sie der Kommunikationschef des Mannheimer Versorgers MVV wären?
Ich würde Ihnen dazu raten, den Kunden die Option Pipelinegas offenzuhalten. Wenn die Kunden bilanziell klimaneutrales Ökogas beziehen wollen, dann sollen sie das doch tun können. Die Infrastruktur ist ja bereits da. Das ist ein Wert, den wir auch weiter nutzen sollten.
Aber irgendwann muss sich ein Stadtwerk doch entscheiden, welche Option wirklich zukunftsträchtig ist – und sich im Zweifel von Infrastruktur trennen, die nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden kann.
Dass man sich irgendwann entscheiden muss, ist klar. Da muss man ran und dann ist die eine oder andere Technologie vor Ort führend. Aber ich warne davor, sich zu einem solch frühen Zeitpunkt schon festzulegen, wertvolle Infrastruktur nicht mehr zu nutzen und stattdessen neue, teure Infrastruktur zu errichten.
Auch als Bundestagsabgeordneter und Wasserstoffbeauftragter der SPD-Fraktion tauschte Andreas Rimkus immer wieder Anzug gegen Arbeitskittel und Schutzhelm.
Bild: © Büro Andreas Rimkus
Was ist eigentlich aus der Grüngasquote geworden, die Sie mit Ihrem Fraktionskollegen Bengt Bergt in die Debatte eingebracht haben? Es scheint, als sei das Vorhaben im Bundeswirtschaftsministerium versandet.
Das war mir auch immer klar, dass das nichts für diese Wahlperiode ist.
Wirklich?
Ja. Die Grüngasquote muss in der Energiebranche so diskutiert werden, dass sie, egal von welcher Seite, nicht mehr kaputt geredet werden kann.
Und wer hätte sie jetzt noch kaputt geredet?
Vor drei Jahren waren es noch die Energievertriebe, die die Grüngasquote nicht haben wollten. Zuletzt war es noch so mancher große Gasimporteur. Die merken aber nun auch, dass sie grüne Nachweise vorlegen müssen, wenn sie weiter Erdgas nach Europa importieren wollen. Auch sie sind jetzt auf unserer Seite.
"Ich gehe davon aus, dass eine Grüngasquote im nächsten Koalitionsvertrag stehen wird."
Jetzt aber verabschieden Sie sich aus dem Bundestag. Und Ihr Kollege Bergt könnte abgewählt werden. Ist das Konzept dann tot?
Nein. Ich gehe davon aus, dass eine Grüngasquote im nächsten Koalitionsvertrag stehen wird. Allein schon aus europarechtlichen Gründen wird das Thema zwingend auf der Agenda der nächsten Bundesregierung landen.
Herr Rimkus, was war in der zu Ende gehenden Wahlperiode ihr größter energiepolitischer Erfolg?
Dass wir das Wasserstoffkernnetz auf den Weg gebracht haben – auch dank Einführung eines Amortisationskontos.
Sie meinen den Finanzierungsmechanismus des Wasserstoffkernnetzes. Netzentgelte sollen zeitlich gestreckt werden, sodass es genügend Investitionsanreize gibt und gleichzeitig erste Wasserstoffkunden nicht überbordende Netzentgelte fürchten müssen. Das Amortisationskonto wurde zunächst von der Deutschen Energie-Agentur in einem Impulspapier vorgeschlagen.
Den Anstoß dafür haben aber mein ehemaliger Mitarbeiter Jonas Knorr und ich gegeben. Und jetzt ist das Konto so beliebt, dass Robert Habeck sich auch zur Streckung der Stromnetzentgelte ein Amortisationskonto vorstellen kann.
Eine gute Idee?
Da bin ich mir nicht sicher. Im Wasserstoffbereich ist das Amortisationskonto ja eine gute Lösung, weil es am Anfang kaum Abnehmer geben wird. Ein Amortisationskonto im Stromnetz würde eigentlich ein Zwei-Seiten-Differenzvertrag über einen längeren Zeitraum sein – mit Absicherung nach unten und einer Deckelung nach oben. Das ähnelt dem Wasserstoff-Konto von der Konstruktion her.
Beim Stromnetz geht es aber nicht darum, Investoren gegen Ausfallrisiken abzusichern. Es geht vielmehr um die Zwischenfinanzierung von ungefähr 350 Milliarden Euro für den Ausbau der Übertragungsnetze. Wenn wir aber so viel Geld zwischenfinanzieren wollen, muss man sich fragen, warum wir gleichzeitig auf bereits bestehende Leitungen verzichten.
Sie meinen die Gasnetze, deren zügige Stilllegung das Habeck-Ministerium einst Stadtwerken nahelegte.
Genau. Nehmen wir norddeutschen Windstrom. Ist es nicht sinnvoller, daraus Wasserstoff zu machen und diesen dann über auf Wasserstoff umgewidmete Erdgasleitungen zu Kraftwerken zu senden, statt teure neue Stromleitungen quer durch Deutschland zu bauen? Am Ende ist es doch völlig egal, ob ich meine Energie in Form von Elektronen oder Molekülen bekomme. Entscheidend ist, wo wir sie haben.
"Eigentlich wollten wir in der Ampel alle vorankommen. Allerdings wurde es im Dreierzusammenspiel schwierig."
Von außen hatte man den Eindruck, dass sich die Ampel energiepolitisch immer weiter auseinandergelebt hat. Gingen Osterpaket und LNG-Terminalhochlauf noch gut durch, krachte es bei Heizungsgesetz und Solarpaket heftig. Wie erlebten Sie die Ampel?
Eigentlich wollten wir alle vorankommen. Allerdings wurde es im Dreierzusammenspiel schwierig. Die einen waren sehr ökonomisch unterwegs, die anderen sehr ökologisch und wir als SPD haben versucht, für die Menschen im Sinne der Daseinsvorsorge das Beste herauszuholen. Das hat sich manchmal gebissen.
Nur manchmal? Welche Schulnote würden Sie denn der Ampel-Energiepolitik geben?
Mindestens eine Zwei minus. Eigentlich hätte sie eine Zwei plus verdient. Leider haben wir unsere Politik nur so dermaßen bitter verkauft.
Nur ein Kommunikationsproblem also? In der Energiebranche gibt es viele, die der Ampel auch handwerkliche Schnitzer vorwerfen, bis hin zu ideologischer Borniertheit.
Es liegt in der Natur der Sache, dass ein SPD-Wirtschaftsminister hier und da andere Schwerpunkte gesetzt hätte. Trotzdem bleibe ich dabei: Faktisch betrachtet waren wir gut. Wir haben die Energiekrise gut gemanagt, die Preise gut gedeckelt. Wir sind resilienter geworden. Und die Infrastrukturfrage hat endlich den Stellenwert bekommt, den sie verdient.
Fraglos bleiben viele Baustellen. Es gibt keine größere Partei in Deutschland, die die Netzentgelte nicht reformieren will. Und wann wir einen liquiden Wasserstoffmarkt sehen, steht auch in den Sternen.
Das sehe ich anders. Ende des Jahrzehnts werden wir auf jeden Fall einen liquiden Wasserstoffmarkt haben. Er wird schon allein deswegen kommen, weil die Grüngasquote bis dahin umgesetzt ist. Diese wird zusammen mit dem Wasserstoffkernnetz Investitionen anreizen.
Das klingt sehr optimistisch.
Nein, das zeigt die Erfahrung. Nehmen wir die Stadtwerke Düsseldorf. Sie wollten Anfang der 2010er-Jahre ein neues Gaskraftwerk bauen. Doch niemand wollte investieren. Dann haben sie einen Liefervertrag mit Statoil, dem Vorgänger des norwegischen Gaskonzerns Equinor, über 15 Jahre abgeschlossen. Und plötzlich kamen alle aus den Ecken gekrochen und wollten das Kraftwerk mitfinanzieren.
"Noch eines ist wichtig: Pragmatismus. Nicht so viel preußische Perfektion, mehr rheinische Gelassenheit."
Was sind die nächsten notwendigen Schritte beim Wasserstoffhochlauf?
Wir müssen Geschwindigkeit aufnehmen und hochskalieren. Die Industrie braucht möglichst bald einen Wasserstoff-Bandpreis. Sie muss die Gewissheit bekommen, dass Wasserstoff rund um die Uhr verfügbar ist. Zuvor müssen wir aber mit den Speichern vorankommen, um Angebot und Nachfrage besser in Einklang zu bringen. Das reduziert die Wasserstofferzeugungskosten, dadurch sinkt auch der Wasserstoffpreis. Davon abgesehen hielte ich es für sinnvoll, die verschiedenen Abteilungen in der Bundesregierung, die sich mit dem Aufbau des Wasserstoffmarkts beschäftigen, für einen gewissen Zeitraum in einem Haus zusammenzulegen.
Noch eines ist wichtig.
Ja?
Pragmatismus. Nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Nicht so viel preußische Perfektion, mehr rheinische Gelassenheit.
Wird nun zumindest Ihr eigenes Leben gelassener? Oder wechseln Sie flugs zurück in den Kabelgraben?
Theoretisch könnte ich das machen. Die Wahrheit aber ist: Ich werde nicht mehr zu den Stadtwerken zurückkehren. Der Energiebranche werde ich aber treu bleiben, wenn auch nicht mehr fünf Tage die Woche, von morgens bis abends. Zunächst aber freue ich mich, dass ich wieder mehr Zeit für die Familie haben werde. Und dann will ich reisen.
Ich habe zwar schon viel von Europa gesehen, aber meistens aus dem Delegationsbus oder Flugzeug. Vor Kurzem bin ich hinter einem Wohnmobil gefahren mit dem Schild: "Reisen Sie jetzt, sonst reisen Ihre Erben." Genau, habe ich gedacht. Die haben Recht.
Das Interview führten Ariane Mohl und Andreas Baumer