Deutschland

VKU-Chef Liebing: "Energieversorger sind nicht das Sozialamt der Bundesregierung"

Von Strompreissenkung über Kraftwerke bis Wärmewende: Was sich Deutschlands größter Stadtwerkeverband nach der Bundestagswahl erwartet.
04.02.2025

VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing

Energiekrise und Heizungsgesetz, Erneuerbaren-Boom und Wasserstoffkernnetz: Die Ampelzeit wird vielen in der Energiebranche – ganz wertfrei gemeint – als wilder Ritt in Erinnerung bleiben. Mitten im Geschehen befand sich dabei häufig der größte Stadtwerkeverband Deutschlands, der VKU, mit seinen mehr als 1500 Mitgliedern – als Ratgeber, Kritiker und Erklärer. Wie fällt die Ampelbilanz von Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing aus? Und was erwartet er sich von der neuen Bundesregierung? Das und noch mehr beantwortet der 61-Jährige im ZfK-Exklusivinterview.

Herr Liebing, stellen Sie sich vor, Sie würden an den künftigen Koalitionsverhandlungen teilnehmen: Welche Überschrift würden Sie für das Kapitel "Energiepolitik" wählen?

Das mit den Was-wäre-wenn-Fragen ist ja immer so eine Sache. Lassen Sie es mich so formulieren: Die Kommunalwirtschaft braucht in den nächsten Jahren mehr Verlässlichkeit, aber auch einen Realitäts- und Kostencheck. Deshalb würde ich mir drei Begriffe in einer solchen Überschrift wünschen: verlässlich, machbar und bezahlbar.

Wo war Ihnen die Bundespolitik denn nicht realistisch genug?

Es wurden beispielsweise sehr ambitionierte Wärmewendeziele formuliert: pro Jahr 500.000 neu eingebaute Wärmepumpen und 100.000 neu an Wärmenetze angeschlossene Gebäude sollten es sein. Faktisch treten wir aber auf der Stelle. Der Wärmepumpenabsatz ist eingebrochen. Stattdessen haben wir einen Boom bei Öl- und Gasheizungen erlebt. Heute wie vor drei Jahren haben wir fast 75 Prozent fossile Wärmeversorgung.

Dabei hat die Ampel mit dem Heizungs- und Wärmeplanungsgesetz doch zwei große Wärmewendegesetze beschlossen.

Dem ist aber eine völlig missglückte Debatte vorausgegangen. Wir sehen bei beiden Gesetzen zudem noch deutlichen Korrekturbedarf, um Technologieoffenheit realistischer zu gestalten und bürokratisches Mikromanagement zu vermeiden. Was wir aber vor allem brauchen, ist mehr Vertrauen der Politik gegenüber den kommunalen Wärmeversorgern. Diese wollen die politischen Zielsetzungen ja erfüllen, sehen sich aber mit großem Misstrauen konfrontiert. Das ist nicht förderlich dafür, dass die Versorger nun tatkräftig investieren.

Das mit dem Misstrauen müssen Sie erläutern.

Nehmen wir den Paragrafen 71k des Gebäudeenergiegesetzes. Dort werden Gasnetzbetreiber dazu gezwungen, für die Umstellung auf Wasserstoff Transformationspläne zu erstellen – samt sehr detaillierter Angaben und Wirtschaftlichkeitsberechnungen bis in die 2030er-Jahre hinein. Die kann heute so verlässlich niemand liefern, schließlich steht der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft noch bevor.

Dann sind diese Pläne auch noch durch die Bundesnetzagentur genehmigungspflichtig. Ich kenne keinen anderen Fall, in dem kommunale Pläne durch eine Bundesbehörde genehmigt werden müssen. Und dann müssen Gas- und Wärmeunternehmen auch noch rechtliche Zusagen bis in die 2030er-Jahre geben, verbunden mit Regresspflichten. Das führt dazu, dass die Versorger diese Zusagen und Angebote nicht machen. Das muss alles raus.

Um die Wärmewende voranzubringen, wünschen sich der VKU und andere Wärmeverbände schon seit langem eine deutliche Aufstockung der Fördermittel zum Ausbau der Fernwärme. Stattdessen aber will die in allen Umfragen führende Union für den Klimafonds bestimmte CO2-Einnahmen zunächst für die Senkung der Stromsteuer und der Netzentgelte verwenden. Macht Ihnen das Sorgen?

Wir halten es für richtig, die Stromsteuer zu senken. Und wir sind auch dafür, dass der Staat die Netzkosten mitfinanziert. Aber, und das sagen wir ganz deutlich: Gerade die Förderung von Investitionen in die lokale Wärmeinfrastruktur trägt dazu bei, die Energiekosten für Endkunden im Griff zu behalten. Das eine muss das andere nicht ausschließen.

Einen Energiewendefonds, der private Investitionen anreizen soll und den die Energiebranche fordert, sucht man im Wahlprogramm der Union ebenfalls vergeblich.

Leider steht dazu bei allen Parteien wenig. Dabei gehört die Finanzierung der Energiewende aus unserer Sicht ganz nach oben auf die Agenda der nächsten Bundesregierung.

Ist es nicht unrealistisch zu denken, dass private Kapitalgeber in einen oft kleinteiligen und bisweilen hochpolitischen Markt mit schmalen Margen wie den der Fernwärme investieren?

Mein Eindruck ist ein anderer. Wir erleben ein hohes Interesse der Finanzwirtschaft, beispielsweise in die Wärmewende zu investieren. Aber die Bedingungen müssen stimmen. Wenn wir in der Fernwärme ständig über neue Spielregeln sprechen und sogar hinterfragen, ob in der Fernwärme Gewinne gemacht werden dürfen oder Netze und Erzeugung getrennt werden sollen, dann bekommt man natürlich keine privaten Investoren.

Ein Gewinnverbot oder eine Trennung von Netzen und Erzeugung fordern SPD und Grüne in ihren Wahlprogrammen nicht, eine Fernwärme-Preisaufsicht neuerdingssehr wohl. Klingt nicht so, als würde sich die Debatte in Ihre Richtung entwickeln.

Die Frage ist, was damit gemeint ist. Eine Preiskontrolle ist per se nicht kritisch. Die haben wir ja heute auch schon. Die Kartellbehörden können schon jetzt prüfen, ob die Preisgestaltung von Fernwärmeversorgern den Vorgaben der AVB Fernwärmeverordnung entspricht. Wenn damit aber eine Preisgenehmigung im Voraus gemeint ist, dann ist das ein totaler Strukturbruch. Eine solche Regulierung würde das Ende des Fernwärmeausbaus bedeuten. Dann ist auch die Wärmewende per se am Ende. Davon raten wir dringend ab.

Kommen wir zurück zu aus Ihrer Sicht unrealistischen Erwartungen. Gehört das deutsche Klimaneutralitätsziel 2045 dazu?

Wir haben heute in der Bevölkerung eine andere Stimmungslage als vor vier Jahren. Deutschlands Wirtschaft stagniert. Deshalb ist es kein Wunder, dass das Thema Klimaschutz unter Druck kommt. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Andererseits bekennen sich fast alle Parteien der demokratischen Mitte zum Klimaneutralitätsziel 2045.

Auch wir als Stadtwerkeverband stellen dieses Ziel nicht infrage. Zugleich müssen wir feststellen, dass wir bestimmte Zwischenziele auf dem Weg dorthin nicht erreichen werden. Stand heute werden die Klimaziele für 2030 insbesondere im Gebäude- und Verkehrsbereich verfehlt.

Deshalb noch einmal die Nachfrage. Wäre es nicht pragmatischer, das Klimaneutralitätsziel um fünf Jahre nach hinten zu schieben, wie es die FDP fordert?

Ich halte nichts davon, heute eine theoretische Zieldiskussion über das Jahr 2045 oder 2050 zu führen. Es wäre falsch, nun durch eine Diskussion über die Verschiebung von Klimazielen zu suggerieren, dass wir mehr Zeit haben. Das würde nur dazu führen, dass die Anstrengungen nachlassen. Im Mittelpunkt sollte jetzt stehen, alles dafür zu tun, dass wir bei der Realisierung von Energiewendemaßnahmen besser werden.

Eine wichtige Energiewendemaßnahme der Ampel, die Förderung neuer Gaskraftwerke als Alternative zu Kohlekraftwerken, ist spektakulär gescheitert.

Das zeigt, dass es einfach Zeit braucht, um solche Umsteuerungen zu organisieren. Ärgerlich ist, dass wir beim Bau neuer Kraftwerke durch politische Auseinandersetzungen in der Koalition viel Zeit verloren haben. Ursprünglich sollten die ersten Kraftwerksausschreibungen ja schon 2024 stattfinden. Wir brauchen unbedingt eine realistische Kraftwerksstrategie – und zwar in diesem Jahr.

Wieder zurück zu möglicherweise unrealistischen Zielen. Wackelt durch die verzögerte Kraftwerksstrategie der Kohleausstieg 2038?

Der von 2038 nicht unbedingt, vielmehr das Vorziehen auf 2030. Das erscheint unrealistischer.

Den Kohleausstieg 2030 hat Habeck aber ohnehin schon abgeräumt.

Na ja. Es gibt in Nordrhein-Westfalen Vereinbarungen für einen Kohleausstieg bis 2030, zumindest aus der Braunkohle.

Müsste man diese wieder aufweichen?

Die Verträge stehen, der Braunkohle-Ausstieg in NRW wurde entsprechend gesetzlich auf Bundesebene angepasst. Das alles kann nicht einfach über Nacht zurückgedreht werden. 

Lassen Sie uns zum Schluss noch auf die Ampel-Energiebilanz blicken. Welche Schulnote hat sich die zerbrochene Koalition verdient?

Schulnoten gehören in die Schule, und ich bin kein Lehrer. Positiv war der Umgang mit der Energiekrise. Wir sind nicht in eine Gasmangellage geraten. Die meisten Maßnahmen, die dazu beigetragen haben, waren gut und richtig. Die Lehre für die Zukunft muss sein: Versorgungssicherheit ist elementar. Sie hat aktuell im Energiedreieck vor Klimaneutralität und Bezahlbarkeit oberste Priorität.

Sicherlich nicht gut war die Gasumlage, die groß angekündigt wurde, für viel Chaos sorgte und dann kurzerhand verworfen wurde. Sie haben dafür den Begriff "Murks" geprägt. Dann kamen auch noch die Energiepreisbremsen.

Die Lehre daraus muss sein, wenn wir beispielsweise nun über die Einführung eines Klimagelds sprechen: Das ist Aufgabe staatlicher Sozialpolitik, nicht der Energiepolitik. Die Energieversorger sind nicht das Sozialamt der Bundesregierung.

Fällt Ihnen noch etwas Positives über die Ampel-Energiepolitik ein?

Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist sicher vorangekommen. Gerade im Solarbereich haben wir gigantische Zubauzahlen. Aber wir müssen auch feststellen, dass der Erneuerbaren-Ausbau allein nicht ausreicht, wenn wir nicht die notwendigen Back-up-Kapazitäten bauen, nicht mit dem Netzausbau Schritt halten und der Verbrauch nicht mitkommt. Ein Resultat dessen sind Dunkelflauten, die selbst in europäischen Nachbarländern zu Turbulenzen führen. Ein anderes sind 457 Negativstunden an der Strombörse im vergangenen Jahr, was im Gesamtsystem auch nicht stimmig ist. Das alles besser zusammenzubinden, wird die Aufgabe der neuen Bundesregierung sein.

Kommen wir zum Negativen.

In der Wärmepolitik sind wir überhaupt nicht vorangekommen. Das ist schon enttäuschend. Deshalb kann ich mich hier nur wiederholen. Dieser Bereich muss in der nächsten Wahlperiode eine besonders hohe Relevanz bekommen.

Das Interview führten Klaus Hinkel, Julian Korb und Andreas Baumer