International

1,5-Grad: "Wir fahren weiter auf die Wand zu"

Die verheerenden Folgen des Klimawandels sind umfassend dokumentiert. Regierungen versprechen, die Treibhausgase zu begrenzen, aber es geht nicht schnell genug: Was könnte das Treffen der COP27 in Ägypten bringen?
10.05.2022

Das 1,5-Grad-Ziel wird in den nächsten fünf Jahren gerissen, dass steht fest. Was wird das Treffen der COP2 im November bringen?

Die Jahres-Durchschnittstemperatur der Welt könnte schon bis 2026 erstmals mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies in dem Fünf-Jahres-Zeitraum 2022 bis 2026 mindestens einmal passiert, liege bei fast 50 Prozent, berichtete die Weltwetterorganisation (WMO) in Genf. Noch vor sieben Jahren galt es als praktisch ausgeschlossen, dass dieser Wert innerhalb von fünf Jahren erreicht wird. «Wir fahren ein bisschen langsamer auf die Wand zu, aber wir fahren immer noch auf die Wand zu», sagt der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer. Er fordert eine «grundlegende Korrektur».

Das bedeutet nicht, dass die 1,5-Grad-Marke dauerhaft überschritten wird. In den Folgejahren könne der Wert wieder niedriger liegen. So war das heißeste Jahr bislang 2016 mit etwa 1,2 Grad über dem vorindustriellen Niveau (1850-1900), aber danach lag die globale Durchschnittstemperatur wieder etwas niedriger. Die Tendenz ist aber eindeutig: Die Temperaturen steigen seit Jahrzehnten, und die Wahrscheinlichkeit, dass der Temperaturrekord von 2016 bis 2026 gebrochen wird, liegt laut dem WMO-Bericht bei 93 Prozent.

Hoffnungen in Scharm el Scheich

In sechs Monaten wird das Klimaproblem in Ägypten auf höchster Ebene verhandelt. Dann richtet der Wüstenstaat die nächste Weltklimakonferenz aus, die COP27. Es werden rund 30 000 Teilnehmer erwartet, darunter 120 Staats- und Regierungschefs. Was hat sich sechs Monate nach der COP26 in Glasgow beim Klimaschutz eigentlich getan?

«Wir sehen leider ziemlich deutlich, dass es mit einem raschen Kohleausstieg sehr schwer werden könnte», sagt Odenhofer, zur Kohlenutzung weltweit. Weil die Gaspreise durch den Krieg schneller steigen als die Kohlepreise, setze sich vor allem in Asien eine «Renaissance der Kohle» fort - etwa in China und Indien, aber auch in kleineren Ländern. Und das, obwohl man sich in Glasgow darauf einigte, die Kohleverstromung schrittweise runterzufahren.

USA, China und Groß-Emittenten entscheidend

Auch im November wird die heilige Marke von 1,5 Grad Celsius wieder über der Konferenz hängen - der Wert, um den sich die Erde laut Pariser Klimaabkommen höchstens dauerhaft über das vorindustrielle Niveau erwärmen darf. Dem jüngsten Bericht des Weltklimarats (IPCC) zufolge, den UN-Generalsekretär António Guterres als «Dokument der Schande» bezeichnete, ist das Ziel ohne drastische Einsparungen überhaupt nicht mehr zu erreichen.

«Vor allem die großen Emittenten müssen einfach signifikant nachlegen», sagt auch Frauke Röser vom NewClimate Institute, das Zusagen von Ländern zu neuen Klimazielen beobachtet. Oft entfalte sich bei Konferenzen ein Gruppendruck. «Man hat das zum Beispiel in Glasgow gesehen, dann werden einzelne Akteure auch unter Zugzwang gesetzt.» Auch wenn kleine Länder wie Costa Rica sich stark engagierten, sei die Dynamik zwischen den USA und China und anderen der großen Emittenten entscheidend.

Ägyptens Präsident macht Klimaschutz zur Chefsache

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat den Klimaschutz bereits zur Chefsache gemacht. Das Land, in dem 100 Millionen Menschen leben, ist mit seinen Wüsten, wenig Regen, heißen Sommern, großen Städten und langen Küsten extrem gefährdet. Die Szenarien: Einbußen bei den Ernten, noch mehr Wasserknappheit, Versalzung der Ackerböden im Nildelta. Und bis 2050 könnte die Bevölkerungszahl nach UN-Schätzungen auf 160 Millionen steigen.

Bei Ägyptern, die leere Coladosen gern mal aus dem Autofenster schleudern oder Einkäufe dreifach in Plastik einwickeln lassen, könnte die Konferenz das Bewusstsein ein wenig schärfen. Das Land kämpft mit Armut, Analphabetismus und Arbeitslosigkeit. Umwelt- und Klimaschutz beschäftigen deutlich weniger Menschen als in Industrienationen.

G7 müssen klares Signal senden

Impulse für den Gipfel in einem halben Jahr erhoffen sich Klimaschützer von der Siebenergruppe der Industrienationen (G7), bei der Deutschland dieses Jahr den Vorsitz hat. «Von der G7 muss ein klares Signal ausgehen», sagt Ryfisch. Wichtig an der COP sei aber, dass alle vertreten sind, «auch die Armen und Verletzlichen». (dpa/gun)