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EU-Kommission: Europa soll bis 2050 ohne Klimagase wirtschaften

Brüssel fordert ein radikales Gegensteuern, um die globale Erwärmung zu bremsen. Die Reaktionen von Umweltschützern und Politik fallen überwiegend positiv aus.
28.11.2018

Die EU-Kommission in Brüssel fordert bis zur Jahrhundertmitte eine völlige Abkehr von Öl, Kohle und Gas in der Wirtschaft, der Energieversorgung und im Verkehr.

Im Kampf gegen den Klimawandel fordert die EU-Kommission eine Wirtschaft ohne Treibhausgase binnen 30 Jahren. "Heute schlagen wir eine Strategie vor, damit Europa als erste Volkswirtschaft der Welt bis 2050 klimaneutral wird", erklärte EU-Klimakommissar Miguel Arias Cañete am Mittwoch in Brüssel.

Gemeint ist eine völlige Abkehr von Öl, Kohle und Gas in der Wirtschaft, der Energieversorgung und im Verkehr bis zur Mitte des Jahrhunderts. Zudem müssten andere Quellen für Klimagase gestopft und auch Kohlendioxid aus der Luft abgeschöpft werden, etwa durch Aufforstung von Wäldern. "Wir können es schaffen, und wenn wir Erfolg haben, werden andere folgen", meinte Arias Cañete.

Signal wenige Tage vor Kattowitz

Mit der Veröffentlichung der Strategie will die Kommission wenige Tage vor der Weltklimakonferenz in Kattowitz ein Signal setzen. Dort wird ab kommender Woche über die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens beraten. Darin hatten 2015 fast alle Staaten der Welt gemeinsam vereinbart, den Anstieg der globalen Temperatur bei weniger als zwei Grad und möglichst sogar bei nur 1,5 Grad zu stoppen. Vergleichsmaßstab ist die Zeit vor der Industrialisierung. Auch wegen des Ausstiegs der USA unter Präsident Donald Trump sind die Pariser Klimaziele in Gefahr.

Um diese Ziele zu erreichen, sei eine klimaneutrale Wirtschaft bis zur Mitte des Jahrhunderts unerlässlich, erklärte die Kommission. Sie setzt für den vorgeschlagenen Umbau einen zusätzlichen Investitionsbedarf von bis zu 290 Mrd. Euro pro Jahr an. Arias Cañete verwies gleichzeitig auf volkswirtschaftliche Gewinne. Weil die Luft sauberer würde, könnten Gesundheitskosten um rund 200 Mrd. Euro pro Jahr sinken. Energieimporte für heute 266 Mrd. Euro pro Jahr könnten um mehr als 70 Prozent reduziert werden.

Schulze: Strategie passt gut zu uns

Die Bundesregierung ist inzwischen vorsichtig bei einseitigen neuen Klimazielen, zumal sie ihre eigenen Zielmarken in den vergangenen Jahren immer wieder verfehlt hat. Doch Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) begrüßte den Vorschlag aus Brüssel. "Die europäische Klimaschutzstrategie passt gut zu unserem deutschen Klimaschutzplan, der auf weitgehende Treibhausgasneutralität im Jahr 2050 abzielt", erklärte sie und beschwichtigte zugleich Kritiker im eigenen Land: "Wir gehen in Deutschland keinen Sonderweg, sondern wir gehen den Weg in Richtung Klimaneutralität gemeinsam mit ganz Europa."

UN: Deutschland könnte Führungsstärke zeigen

Die von der Kommission vorgeschlagene Zielmarke ist nicht ganz neu. Schon 2009 hatte sie eine Reduzierung der Treibhausgase um 80 bis 95 Prozent bis 2050 ins Auge gefasst, gemessen am Stand 1990. Der jetzt vorgelegte Plan einer "klimaneutralen" Wirtschaft entspricht nach Angaben von Umweltschützern dem 95-Prozent-Ziel; die letzten fünf Prozent sind sogenannte negative Emissionen durch das Abschöpfen von Treibhausgasen.

Auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen mahnte erst am Dienstag zu raschem Handeln und betonte: "Deutschland und Europa könnten hier Führungsstärke zeigen, indem sie die vollständige Treibhausgasneutralität bis 2050 und eine deutliche Stärkung der Emissionsminderungsziele für 2030 festschreiben."

Weltweit CO2-Ausstoß wieder gestiegen

Europa hat seinen Ausstoß an Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen bereits deutlich gesenkt und könnte nach Einschätzung der Kommission bis 2030 um 45 Prozent unter dem Wert von 1990 liegen. Allerdings ist die EU nur für zehn Prozent der globalen Klimagase verantwortlich. Weltweit ist der Ausstoß an Kohlendioxid – dem wichtigsten Treibhausgas – 2017 nach UN-Angaben wieder gestiegen auf nun 53,5 Mrd. Tonnen.

Ohne drastisches Umlenken erwarten UN-Experten einen Anstieg der globalen Temperatur bis 2100 um 3,2 Grad. Folge wären katastrophale Dürren, Stürme, Überschwemmungen, ein weiteres Abschmelzen der Polkappen und ein Anstieg der Meeresspiegel.

Ein Hoffnungsschimmer, aber nicht ausreichend

Umweltschützer, Grüne und SPD äußerten sich überwiegend positiv. Die Vorschläge seien für den Klimaschutz ein Hoffnungsschimmer, wenn auch nicht ausreichend, erklärte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter am Mittwoch. Deutschland müsse mitziehen und dürfe nicht weiter auf der Bremse stehen. Ähnlich äußerten sich Umweltverbände wie das Climate Action Network, Greenpeace und der WWF. Sie würdigten, dass die EU als erste große Volkswirtschaft klimaneutral gestaltet werden solle. "Das ist ein großer Schritt nach vorne, wenngleich der WWF sich dieses Ziel schon für 2040 wünscht", erklärte der Umweltverband.

Auch die Europapolitiker Peter Liese von der CDU und Jo Leinen von der SPD begrüßten die Zielsetzung. Wichtig sei, mit dem Umbau der Wirtschaft auch neue Arbeitsplätze zu organisieren und Menschen in strukturschwachen Gebieten eine Perspektive zu geben, betonte Leinen. "Ehrgeizige europäische Ziele sind das eine, die konkrete nationale Umsetzung vor Ort das andere", erklärte Stefan Kapferer, Vorsitzender der BDEW-Hauptgeschäftsführung. In Deutschland werde die Wärmewende nach wie vor vernachlässigt – trotz der gewaltigen CO2-Einsparpotenziale im Gebäudebereich. Im Verkehrssektor kletterten die Treibhausgasemissionen sogar. "Vertagen, verschieben, verzögern, das darf hier nicht zum Markenzeichen deutscher Energie- und Klimapolitik werden", mahnte Kapferer. (dpa/hil)