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"Kommunen müssen den Mut zum Kapitalmarkt haben"

Für die Umsetzung der Energiewende brauchen Kommunalunternehmen viel Geld. Ein IPO bietet die Chance, Milliardeninvestitionen in Infrastruktur und Versorgung auf solide Beine zu stellen, sagen Rechtsanwälte Beatrice Fabry und Guido Quass im Gastkommentar.
16.10.2025

Ein Börsengang erfordert eine umfassende Vorbereitung.

Gastbeitrag von:
Beatrice Fabry und Guido Quass
Rechtsanwälte und Partner
der Menold Bezler Rechtsanwälte Steuerberater
Wirtschaftsprüfer Partnerschaft mbB, Stuttgart

Investitionsbedarf: Milliarden für Infrastruktur und Versorgung

Die Energiewende ist nicht nur ein technologisches Großprojekt, sondern auch eine finanzielle Mammutaufgabe. Kommunale Unternehmen und Regionalversorger stehen dabei im Zentrum der Umsetzung – und zugleich vor der Herausforderung, die dafür notwendigen Investitionen zu stemmen. Ein Börsengang (IPO) könnte eine bislang unterschätzte Lösung sein, um privates Kapital zu mobilisieren.

Der Investitionsbedarf für die Energiewende geht in die Milliarden. Doch die öffentlichen Haushalte sind begrenzt, Fördermittel und Kredite decken nur einen Teil des Bedarfs. Mit anderen Worten: Staatliche Förderung muss durch privates Kapital "gehebelt" werden, damit die Energiewende finanziert werden kann.

Innovative kommunale Unternehmen setzen in den letzten Jahren zunehmend auf alternative Modelle wie Bürgerbeteiligung (z.B. über die Ausgabe von Genussrechten) oder ÖPP-Strukturen (öffentlich-private Partnerschaften in Zweckgesellschaften). Doch diese Ansätze stoßen schnell an ihre Grenzen – insbesondere bei großvolumigen Infrastrukturprojekten.

IPO: Zugang zum Kapitalmarkt als Chance

Ein Börsengang bietet kommunalen Unternehmen und überregionalen Energieversorgungsunternehmen die Möglichkeit, institutionelle Investoren und Privatanleger zu gewinnen, um langfristiges Eigenkapital zu mobilisieren. Infrastrukturunternehmen gelten als attraktiv für defensive Anlagestrategien: Ihre Erträge sind stabil, konjunkturunabhängig und oft durch regionale Monopole abgesichert. Zudem erfüllen sie ESG-Kriterien, die für viele Investoren zunehmend entscheidend sind.

Ein IPO schafft Transparenz und Vertrauen – durch regelmäßige Berichterstattung, verantwortungsvolles Management und die Möglichkeit zur Desinvestition bei laufender Bewertung durch den Börsenkurs. Gleichzeitig erhöht er die Sichtbarkeit und strategische Handlungsfähigkeit des Unternehmens.

Voraussetzungen für einen erfolgreichen Börsengang

Entscheidend ist die Entwicklung einer überzeugenden Equity Story: Die Unternehmensstrategie muss Marktpotenzial, regulatorisches Umfeld, Risikomanagement und finanzielle Perspektiven plausibel darstellen. Aussichten auf solide Erträge, eine robuste Finanzierungsstruktur und transparente Kommunikation sind essenziell. Eine stabile Dividendenpolitik macht die Aktie zusätzlich attraktiv.

Die Kapitalmarktfähigkeit erfordert zudem eine geeignete Rechtsform (Aktiengesellschaft, Societas Europaea (SE) oder Kommanditgesellschaft auf Aktien), eine klare Governance-Struktur und ein funktionierendes Compliance-System. Die vorangehende Umstrukturierung bestehender kommunaler Unternehmen kann notwendig sein, um die ertragsstarken Bereiche für den Kapitalmarkt zu bündeln – wie es etwa bei der MVV Energie AG, der früheren Stadtwerke Mannheim AG, der Fall war.

Emissionsvolumen und Investoreninteresse

Für eine erfolgreiche Platzierung gilt ein Mindestvolumen von 100 Millionen Euro, besser jedoch von 250 bis 500 Millionen Euro, als erforderlich. Nur dann lässt sich ausreichende Handelsliquidität und Analystenabdeckung sicherstellen. Eine Möglichkeit zur Erreichung dieser Größenordnung besteht im Zusammenschluss mehrerer kommunaler Unternehmen unter einer Holdingstruktur. Dies bietet zudem Synergiepotenziale in Einkauf, Vertrieb, IT und Personal. Bereits vor dem IPO sollte eine aktive Kommunikation mit potenziellen Investoren erfolgen, um Vertrauen aufzubauen und das Interesse zu sondieren.

Politische und rechtliche Rahmenbedingungen

Die Beteiligung privater Investoren an kommunalen Unternehmen wirft Fragen der Corporate Governance auf. Die Kommune muss ihren angemessenen Einfluss nach den Vorgaben der jeweiligen Kommunalverfassung bei "ihren" Stadtwerken oder Regionalversorgungsunternehmen wahren, an denen sie allein oder mit anderen Kommunen beteiligt ist. Mehrstimmrechtsaktien (§ 135a AktG) dürfen zwar bis zum Zehnfachen des Stimmrechts geschaffen werden, erlöschen jedoch spätestens zehn Jahre nach dem Börsengang. Der unternehmerische Einfluss der kommunalen Träger kann auch durch eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (z.B. GmbH & Co. KGaA) abgesichert werden, bei der die Kommune Alleingesellschafterin der geschäftsführenden Komplementärin ist, sodass sie deren Geschäftsführer bestellt.

Aufwand und Vorbereitung: ein langfristiges Projekt

Ein IPO erfordert eine umfassende Vorbereitung: Umstrukturierungen, Prospekterstellung mit umfassender Darstellung der Risikofaktoren, Due Diligence, Beratermandate und Investor Relations sind nur einige der notwendigen Schritte. Die Vorbereitungszeit beträgt meist über ein Jahr. Die BaFin-Billigung des Prospekts, die Einbindung politischer Entscheidungsträger und die Auswahl erfahrener Emissionsbanken sind zentrale Meilensteine.

Die laufende Berichterstattung nach dem IPO – etwa durch Geschäftsberichte, Halbjahresberichte und ESG-Reports – ist mit Aufwand verbunden. Auch die Hauptversammlung und die Betreuung der Investoren müssen professionell organisiert werden.

Beispiele und Marktumfeld: Lichtblicke trotz Flaute

Die MVV Energie AG ist ein prominentes Beispiel für einen erfolgreichen kommunalen Börsengang im Jahr 1999. Weitere börsennotierte Versorger mit staatlicher Beteiligung sind EnBW und RWE. Der deutsche IPO-Markt ist aktuell zwar schwach: 2025 gab es bislang nur wenige Börsengänge. Dennoch zeigt das Beispiel der Pfisterer Holding SE, dass auch mittelständische Unternehmen – mit denen kommunale Unternehmen und Regionalversorger strukturell vergleichbar sind – erfolgreich Kapital aufnehmen können. Der Börsenkurs stieg seit dem IPO im Mai 2025 um über 160 Prozent – ein Signal für das Potenzial des Kapitalmarkts. Auch der jüngst erfolgreiche Börsengang der Ottobock SE & Co. KGaA zeigt, dass Platzierungen möglich sind.

Fazit: IPO als strategische Option für kommunale Unternehmen und Regionalversorger

Ein Börsengang ist kein Allheilmittel, aber eine ernstzunehmende Chance zur Finanzierung der Energiewende. Er bietet Zugang zu langfristigem Eigenkapital, stärkt die strategische Position und erhöht die Sichtbarkeit am Markt. Kommunale Unternehmen und Regionalversorger sollten prüfen, ob sie die Voraussetzungen für einen Börsengang schaffen können – und ob sie bereit sind, sich den Anforderungen des Kapitalmarkts zu stellen.