Wasser

EU will gegen Arzneimittelreste im Trinkwasser vorgehen

Medikamente sind inzwischen überall in der Umwelt nachweisbar. Die Hersteller müssen Studien dazu durchführen, doch die Daten sind kaum zugänglich. Auf EU-Ebene laufen nun Verhandlungen.
28.03.2023

Bei der Entwicklung neuer Medikamente wird bisher kaum auf die Umweltverträglichkeit der Reststoffe geachtet.

Bei Arzneimitteln werden – je nach Präparat – bis zu 90 Prozent des Wirkstoffes unverändert wieder ausgeschieden. Kläranlagen fangen dem Umweltbundesamt (UBA) zufolge nur einen Teil der Substanzen ab. In Gewässern seien Arzneimittel daher ebenso nachzuweisen wie – in deutlich geringeren Mengen – im Trinkwasser.

Zwar müssen die Pharmahersteller Studien zu Umweltverhalten und -toxizität durchführen. Publik werden die Ergebnisse aber Experten zufolge kaum. «Umweltbehörden und Öffentlichkeit kommen an die Daten oft nicht heran», erklärt die Juristin und Umweltwissenschaftlerin Kim Teppe.

Überarbeitung des Humanarzneimittelrechts

Effektiver Gewässerschutz sei in der Folge erheblich erschwert. Anders als etwa bei Industriechemikalien müssen Arzneimittel-Hersteller bisher nur bei den Zulassungsbehörden Daten einreichen und können sich zudem auf umfangreiche Ausnahmen berufen, so dass in der Praxis oft gar keine Daten vorgelegt werden, wie Teppe erklärt.

Inzwischen dreht sich der Wind. Auf EU-Ebene laufen Verhandlungen für neue Regelungen. Die Kommission hat angekündigt, in den kommenden Tagen oder Wochen einen ersten Entwurf für das neue Humanarzneimittelrecht vorzulegen.

80 Tonnen Schmerzmittel pro Jahr

«Darin sind dann hoffentlich Umweltbelange wie das Schließen von Datenlücken und die Datentransparenz wenigstens ansatzweise schon adressiert», hofft Teppe, die seit einigen Monaten für das Umweltbundesamt (UBA) arbeitet. Für ihre juristische Doktorarbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) und der Universität Hamburg zu der Problematik war sie 2022 mit dem Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung ausgezeichnet worden.

Ein Problemfeld ist die Substanz Diclofenac, die häufig als Salbe verabreicht wird. In Deutschland werden pro Jahr etwa 80 Tonnen des Wirkstoffes verbraucht. «Maximal sechs Prozent kommen am gewünschten Zielort im Körper an», sagt Gerd Maack von der Fachgruppe zur Umweltbewertung von Arzneimitteln des UBA. Ein Großteil des Wirkstoffs geht ins Abwasser. In den Kläranlagen wird aber nur ein Teil eliminiert.

Alternde Babyboomer

Derzeit gelangen in Deutschland jährlich Tausende Tonnen biologisch aktive Wirkstoffe aus Human- und Tiermedizin über Abwässer, Klärschlamm und Gülle in die Umwelt. Mehr als 2000 verschiedene Substanzen sind im Handel.

Das Problem wird an Brisanz gewinnen: Die Generation der Babyboomer erreicht das Rentenalter – und vor allem Senioren nehmen viele Medikamente. Verglichen mit dem Jahr 2015 sei bis 2045 mit einer bis zu 70-prozentigen Steigerung beim Einsatz rezeptpflichtiger Arzneimittel zu rechnen, sagt UBA-Experte Maack.

Grenzen der 4. Reinigungsstufe

Die Wasserrahmenrichtlinie der EU sieht inzwischen eine weitere Reinigungsstufe vor, auch in Deutschland werden immer mehr 4. Klärstufen eingebaut. Sie halten Spurenstoffe etwa durch sogenannte Ozonierung oder Aktivkohlefiltration zurück.

«Viele Wirkstoffe wie Röntgenkontrastmittel rauschen aber auch da einfach so durch», sagt Maack. Diskutiert werden deshalb verschiedene weitere Maßnahmen, etwa eine Umweltverträglichkeits-Ampel als Zusatzinfo für Fachpersonal. «Wirkstoffe wie Diclofenac sollten nicht mehr rezeptfrei abgegeben werden», nennt Maack eine weitere Möglichkeit.

Viele Stoffe sind kaum abbaubar

Die Mengen vieler Substanzen summieren sich in der Umwelt. «Arzneimittel sind oft sehr stabil verglichen mit anderen Chemikalien», erklärt Maack. Schließlich seien sie dafür geschaffen, unwirtliche Körpergefilde wie den Magen-Darm-Trakt und Passagen durch Zellwände heil zu überstehen. In der Umwelt würden sie häufig nur sehr schlecht abgebaut und behielten ihre biologische Wirksamkeit lange Zeit.

Bei Neuentwicklungen werde von Pharmafirmen auf noch mehr Haltbarkeit geachtet – zum Beispiel, damit Medikamente nur noch einmal statt zweimal täglich genommen werden müssen, sagt Maack. Die Umweltverträglichkeit werde bei der Entwicklung bisher gar nicht beachtet. Vom Pharma-Unternehmensverband vfa heißt es dazu, dass es nur begrenzt möglich sei, chemisch-synthetische Wirkstoffe von vornherein gut biologisch abbaubar zu entwickeln.

Unklare Langzeitwirkung auf den Menschen

Klar ist, dass die Substanzen über die Wasserentnahme aus Gewässern und Grundwasser unvermeidbar auch ins Trinkwasser gelangen, ebenso in Mineralwasser. «Das ist nicht unbedingt weniger belastet als Wasser aus dem Hahn», sagt Maack.

Zwar liegen die Konzentrationen meist weit weg von einer therapeutischen Wirksamkeit. Die möglichen Langzeitfolgen für den Menschen sowie potenzielle Wechselwirkungen seien aber völlig unklar, gibt Maack zu bedenken. «Wir alle sind dafür die Langzeit-Probanden.» (dpa/hp)