Hydroskin: Wasserhüllen für Gebäude
Sie ist gleichzeitig porös und reißfest, flexibel und stabil: die Wasserhaut Hydroskin für Gebäude. „Dieses neuartige Material kann den Kampf gegen die Folgen von Hitzewellen und Starkregen in Städten revolutionieren“, sagt Erfinderin Christina Eisenbarth, die das Material auch als Funktionskleidung für Gebäude bezeichnet.
Die Architektin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart will die Fassaden von bestehenden und neuen Gebäuden nutzen, um an heißen Tagen zuvor gesammeltes Regenwasser zur Verdunstung und damit zur Kühlung zu einzusetzen. Hydroskin besteht aus mehreren textilen Schichten, die durch Fäden auf Abstand gehalten werden.
Praxistests am Prototyp
An einem Prototyp auf dem Campus der Universität Stuttgart wird das System nun im Freiluftversuch getestet. In bis zu 36 Metern Höhe wird sich zeigen, ob die Fassade hält, was sich die Wissenschaftler nach Hunderten von Laborversuchen davon versprechen.
Hydroskin soll sich wegen der großen Fassadenflächen besonders für Hochhäuser eignen. „Überdies trifft der Regen mit zunehmender Höhe schräg auf die Fassade, sodass ab etwa 30 Metern Gebäudehöhe mehr Regen über die Fassade aufgenommen werden kann als von einer gleich großen Dachfläche“, erklärt Eisenbarth.
Verringerung des Hochwasserrisikos
Seit 2022 untersuchen Forscherinnen und Forscher der Universität Stuttgart, wie sich die Fassade bei Starkregen und extremer Hitze verhält. „Es zeigte sich, dass die Hydroskin-Fassade mehr als das Doppelte an Regenwasser aufnehmen kann im Vergleich zu einer gleich großen Dachfläche desselben Gebäudes“, erklärt Expertin Eisenbarth.
Die Regenwassermengen, die sonst direkt in die Kanalisation fließen und bei Überschreitung der Aufnahmekapazität zu Überschwemmungen führen, könnten so um 54 Prozent reduziert werden.
Verdunstungskälte kühlt die Städte
Das System ist außen von einer wasserdurchlässigen Membran umgeben, die nach Angaben der Universität fast alle Regentropfen eindringen lässt. Eine Folie an der Innenseite leitet das Wasser nach unten ab.
Dann kann es entweder in einem Reservoir gespeichert oder direkt ins Gebäudeinnere geleitet werden, wo es beispielsweise für Waschmaschine, Toilettenspülung und Pflanzenbewässerung zur Verfügung steht. In einem Wohngebäude könnten so bis zu 46 Prozent Frischwasser gespart werden. Bei Hitze wird die Textilfassade mit Wasser befeuchtet und kühlt durch Verdunstung das Gebäude und den umgebenden Stadtraum.
Hitzeinseln und Hochwasser-Wannen
Der natürliche Kreislauf von Niederschlag und Verdunstung werde durch die zunehmende Versiegelung gestört, erklärt die Hydroskin-Erfinderin. „Letztlich verwandeln wir selber unsere Städte in Hitzeinseln und Hochwasser-Wannen.“
Das Konzept der Schwammstadt soll dieser Entwicklung Einhalt gebieten. Dahinter verbirgt sich die Fähigkeit einer Stadt, überschüssiges Wasser aufzunehmen, wie ein Schwamm zu speichern und zeitverzögert durch Verdunstung oder Versickerung wieder abzugeben. Auch Hydroskin basiert auf diesem Prinzip.
Die Erfindung in Zahlen
Während sich gewöhnliche Gebäudeoberflächen im Sommer auf über 90 Grad aufheizen können, senkt Hydroskin die Temperatur nach Angaben der Universität Stuttgart auf bis zu 17 Grad. 5,7 Quadratmeter kühlen dabei laut Eisenbarth so stark wie eine Klimaanlage mit 2500 Watt.
Ein einziger Quadratmeter dieser Fassade kann die Aufheizung von 1,8 Quadratmetern Beton oder 1,4 Quadratmetern Asphalt vollständig ausgleichen. „Könnten wir dieses System weit verbreiten, würden die rot leuchtenden, heißen Punkte unserer Städte auf einer Wärmebildkarte plötzlich wieder blau-grün und kühl werden, ohne dass wir dabei kostbare städtische Bauflächen verlieren“, betont die Entwicklerin.
Textil aus Plastik-Flaschen
Auch das Material selbst soll umweltfreundlich sein. Derzeit besteht es aus wiederverwertbarem Polyester, in Zukunft soll es auch aus PET-Flaschen hergestellt werden. Außerdem lässt es sich bedrucken und damit von Architekten individuell gestalten.
Bedenken wegen möglicher Probleme in der Statik der Gebäude sieht Eisenbarth nicht – ein Quadratmeter Hydroskin wiege in trockenem Zustand nur 1,2 Kilogramm, im nassem maximal 4,7 Kilogramm.
Möglichst schnelle Überführung in Baupraxis
Die Wissenschaftlerin hat Hydroskin im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren der Uni Stuttgart entwickelt. Als Gründerin eines Start-ups will sie die Technik rasch in die Baupraxis überführen.
Einen Abnehmer hat die gebürtige Saarländerin bereits: Der bayrische Bauunternehmer Schubert-Raab will nach eigenen Angaben im Rahmen eines Projekts mit neuen Baustoffen für Nutzgebäude auch Hydroskin erproben. (dpa/hb)