"Vieles ist noch zu unkonkret"

Ingo Hannemann ist seit 2018 ist Technischer Geschäftsführer und seit 2021 zusätzlich Sprecher der Geschäftsführung bei Hamburg Wasser.
Bild: © Wiebke Pätz/Hamburg Wasser
Die Vorbereitungen für die Nationale Wasserstrategie sind ja schon im Oktober 2018 gestartet, noch unter der Vorgängerregierung, mit mehreren Wasserdialogen, auch unter Beteiligung der Bürger. Ist dieser breite Ansatz richtig?
Bei grundlegenden infrastrukturellen Fragen wie der Wasserbewirtschaftung erreicht man nur sinnvolle Lösungen, wenn man möglichst alle Stakeholder einbezieht. Es geht ja nicht nur um die Trinkwasserversorgung, sondern um den ganzen Wasserkreislauf. Deshalb halten wir die breite Aufstellung auf jeden Fall für richtig.
Was sind die positiven Punkte der Nationalen Wasserstrategie?
Grundsätzlich ist es gut, dass die Strategie überhaupt erarbeitet wurde und jetzt vorgelegt wird. Da wir den Wasserkreislauf immer im Ganzen betrachten – auch weil wir Wasserver- und Abwasserentsorger sind – ist aus unserer Sicht der spartenübergreifende Ansatz richtig. Außerdem sind wir darüber erfreut, dass die Nationale Wasserstrategie von der neuen Bundesregierung weitergeführt wird und ministerienübergreifend voran gebracht wird – das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall.
Die Strategie greift auch das Thema Herstellerverantwortung auf. Was ist von der dort skizzierten Lösung zu halten?
Das ist auf jeden Fall ein sehr wichtiger Punkt der Strategie. Das betrifft vor allem das Thema Abwasser, das gereinigt in die Gewässer fließt. Hier müssen schärfere Maßnahmen ergriffen werden, damit Spurenstoffe nicht in die Natur und damit den Wasserkreislauf gelangen. Wir finden es sehr gut, dass hier eine Herstellerverantwortung kommen soll. Doch die Nationale Wasserstrategie ist hier noch viel zu unkonkret, um die Probleme an der Wurzel zu packen. Aus unserer Sicht müssen die Hersteller viel stärker in die Verantwortung genommen werden.
Auf welche Weise?
Idealerweise werden Stoffe, die schwer oder gar nicht im Abwasser abbaubar sind, verboten. Die biologische Abbaubarkeit sollte das Kriterium dafür sein, ob sie eingesetzt werden dürfen. Wenn Stoffe, auf die das nicht zutrifft, dennoch verwendet werden dürfen oder müssen, dann müssen wir die Klärwerke entsprechend aufrüsten. Es gibt rund 10.000 Anlagen in Deutschland. An den Kosten müssen sich die Hersteller dann beteiligen.
Für die Herstellerverantwortung schlägt die Nationale Wasserstrategie eine europäische Lösung vor. Das klingt nach Never-ending-Story?
Wenn man darauf wartet, bis in Brüssel eine einheitliche Regelung für Europa beschlossen und diese dann mit den Übergangsfristen für EU-Verordnungen in Deutschland umgesetzt wird, dann dauert das einfach sehr lange. Deutschland könnte hier – so wie Schweden mit dem Verbot von Mikroplastik – eigene Maßnahme beschließen. Es wäre gut, wenn sie greifen, bevor wir hier für viele, viele Milliarden Euro die Klärwerke ausgebaut haben.
Die Strategie sieht die Entwicklung einer Blaupause auf Bundesebene vor, mit der dann regional Nutzungskonflikte geregelt werden sollen. Ist das ein sinnvoller Ansatz?
Wir brauchen sicherlich einen generellen Rahmen oder zumindest Leitlinien für den Umgang mit Nutzungskonflikten. Nehmen wir das Beispiel Trinkwasser versus Wasser für die Landwirtschaft. Natürlich freuen wir uns über einen Vorrang für das Lebensmittel Trinkwasser. Aber wir brauchen auch Wasser für die anderen Lebensmittel-Erzeuger. Insoweit müsste man einen grundlegenden Rahmen haben, nach welchen Kriterien Prioritäten für die Nutzung aufgestellt werden.
Gleichzeitig braucht man aber auch regionale Vorgaben. Denn die Rahmenbedingungen sind, was die Wasserversorgung angeht, sehr unterschiedlich. Das muss dann möglicherweise zu regional unterschiedlichen Priorisierungen führen. Idealerweise setzt man sich mit allen Akteuren vor Ort – mit der Landwirtschaft, mit den Behörden, mit sonstigen Interessengruppen – an einen Tisch, weil diese Lösungen nur gemeinsam erarbeitet werden können.
Die Nationale Wasserstrategie fordert eine bessere Datenlage zum gesamten Wasserkreislauf. Wo sind die größten Probleme in diesem Bereich?
Bei den Grundwasserentnahmen haben wir ein Datendefizit beziehungsweise ein Erhebungsdefizit. Auch beim Thema Abwasserreinigung ist die Datenlage noch nicht gut. Wir haben natürlich unsere Überwachungswerte bei der Abwasserreinigung, gerade was die Nährstoffe angeht. Aber in Bezug auf Mikroschadstoffe in den Abwässern oder später in den Gewässern haben wir noch nicht die volle Transparenz – bis hin zu der Frage, die meines Wissens immer noch offen ist: Wie messen wir überhaupt Mikroplastik?
Die Wasserwende muss auch finanziert werden. Wo könnten die Mittel dafür herkommen?
Wir würden gerne Reallabore, wie wir sie für die Energiewende kennen, in die Diskussion einbringen. Sie sind meist mit mehrstelligen Millionenbeträgen ausgestattet. Etwas Vergleichbares sollte es auch für die Wasser- und Abwasserversorgung und idealerweise für den ganzen Wasserkreislauf geben.
Warum ist das so wichtig?
Nur größere Unternehmen der Branche haben die finanziellen Ressourcen, die eine oder andere Pilotanlage zu bauen. Gerade für den Wasserkreislauf wäre es gut, wenn wir solche Reallabore hätten. Wenn wir die Schwammstadt realisieren wollen, dann sollten wir das Konzept nicht nur in Neubaugebieten, sondern auch in Bestandsstadtteilen umsetzen. Das kostet aber viel Geld. Mit Reallaboren könnte man auch die Trinkwasserversorgung resilienter machen, indem man beispielsweise in Piloten auf regionaler Ebene Verbünde erprobt.
Sollte der Bund mehr Kompetenzen in Wasserfragen bekommen?
Grundsätzlich ist die derzeitige Struktur mit der Kaskade Wasserhaushaltsgesetz und Landeswassergesetze im Sinne der Subsidiarität gut geregelt. Reibungspunkte gibt es eher zwischen den Landkreisen, den Kommunen und den Ländern. Wir nehmen teilweise ein sehr unterschiedliches Verwaltungshandeln wahr. Mehr Stringenz in der Umsetzung wäre wünschenswert.
Das Interview führte Elwine Happ-Frank.
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