Entsorgung

Ideen gegen die Müllflut

Die Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH (FES) ist Träger der Denkfabrik «Zero Waste Lab». Erste Projekte sind in der Umsetzung.
29.04.2024

Die Initiative "Die Teilerei" im Frankfurter Stadtteil Niederrad möchte den Second-Hand-Gedanken stärken, Abfälle vermeiden und Menschen zusammenzubringen.

 

Schon bevor der Laden öffnet, bildet sich eine Schlange auf dem Gehweg. Die «Teilerei» wird förmlich überrannt: Die einen schleppen Taschen und Kartons hinein, die anderen tragen Dinge heraus. «Ich darf wirklich etwas mitnehmen, auch wenn ich nichts gebracht habe?», fragt eine Frau ungläubig. Ja, darf sie, erklärt Finn Volpert, einer der Initiatoren des Umsonst-Ladens in Frankfurt-Niederrad.

Weitergeben statt wegwerfen, reparieren statt neu kaufen – ob zur Müllvermeidung oder aus wirtschaftlicher Notwendigkeit: Solche Angebote werden zunehmend nachgefragt. In die «Teilerei» kommen laut Volpert je vier Stunden Öffnungszeit rund 300 Leute.

Vernetzung der Akteure

Angebot und Nachfrage gleichen sich bisher weitgehend aus. «Hier liegt nichts lange», sagt Volpert. Links hängen Kleider an einer Stange, hinten stehen Bücher an der Wand, rechts sortiert ein Helfer Küchensachen in ein Regal, davor eine Stereoanlage und ein Plätter, im Fenster Spiele und Schuhe, dazwischen drängen sich die Menschen dicht an dicht.

Die «Teilerei» ist die erste Idee, die «Zero Waste Lab» in die Tat umgesetzt hat. Die Denkfabrik entwickelt und realisiert unter der Schirmherrschaft der Frankfurter Umweltdezernentin Rosemarie Heilig und des FES-Geschäftsführers Benjamin Scheffler Lösungen, die sie qua ihrer beruflichen Funktion in Wirtschaft, Politik und Stadtgesellschaft weitertragen und mit anderen Initiativen vernetzen können. Ziel sind neue Wege zur Müllvermeidung.

Experimentierraum für Wiederverwertung

Das Ende 2022 gegründete Lab versteht sich als «Experimentierraum für Nachhaltigkeit und Wiederverwertung». Jeder Frankfurter und jede Frankfurterin kann Vorschläge einreichen. Bisher wurden 36 Ideen vorgeschlagen, wie Projektmitarbeiterin Flora Matani von der FES berichtet. Ein Expertengremium prüft die Vorschläge und stößt die Umsetzung an.

Nach der «Teilerei» folgt Ende April das zweite Projekt: die App «Abfalljagd». Wer Müll aufsammelt und die Entsorgung per Foto dokumentiert, kann etwas gewinnen – vom Stofftier bis zu Gutscheinen im Wert dreistelliger Beträge.

Mehr Nachfrage – auch aus wirtschaftlicher Not

Auch in anderen hessischen Städten gibt es Initiativen wie die «Teilerei», Second-Hand-Kaufhäuser oder Repair-Cafés für Elektrogeräte, Textilien, Fahrräder oder Handys. Walter Jahn koordiniert drei Repair-Cafés in Frankfurt und arbeitet selbst als ehrenamtlicher Reparateur.

Die Nachfrage steige, sagt der pensionierte Elektroningenieur. Wegen der hohen Inflation kommen mehr Menschen, um etwas zu reparieren, das sie vielleicht neu gekauft hätten. «Mein Eindruck ist: Der Andrang wird größer», sagt der 67-Jährige.

Freiwillige Spenden

An einem durchschnittlichen Nachmittag reparieren fünf bis acht Freiwillige gut 20 Kleingeräte wie Mixer, Kaffeemaschinen oder Staubsauger, schätzt Jahn. Etwa je ein Drittel der Dinge könne gleich instandgesetzt werden, müsse eingeschickt werden bzw. sei irreparabel – und damit am Ende eben doch Müll.  

Wer will, kann danach etwas spenden – davon kaufen die Mitarbeiter Ersatzteile oder Werkzeug. Neue Mitarbeiter zu finden sei nicht schwer, sagt Jan, «aber es ist immer ein Glücksfall, wenn sie auch dauerhaft dabeibleiben».

Expertenrat für "Zero Waste Lab"

Lukas Sattlegger vom Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) gehört dem Expertenrat des «Zero Waste Lab» an. Der Soziologe forscht über Schwierigkeiten und Potenziale der Müllvermeidung. Er sagt: «Nur die Motivation zu haben, reicht nicht aus. Es muss auch ein attraktives Angebot geben.»

Wenn man will, dass Menschen Dinge reparieren oder verschenken, statt sie wegzuwerfen, muss diese Alternative «möglich, günstig und einfach sein, nicht teuer und zeitaufwendig – sonst bleibt das immer eine kleine Nische».

Soziale Kontakte in der Nachbarschaft

Ein weiterer Erfolgsfaktor sei die soziale Komponente, sagt Sattlegger. «Viele dieser Ideen schließen an das soziale Bedürfnis der Menschen nach Nachbarschaft an – und können dieses nutzen, um erfolgreich zu sein.»

Das gilt für den Unverpacktladen oder den Hofflohmarkt ebenso wie im Internet: Auch wer Dinge auf Online-Plattformen kauft, verkauft oder verschenkt, kommt mit Menschen in Kontakt. «Der soziale Austausch ist manchmal mehr wert als der funktionale Vorteil.»

Woran es oft scheitert

Angebote wie Umsonstläden und Repair-Cafés müssen nicht nur attraktiv sein, sie müssen auch «kompatibel sein mit einem stressigen Alltag», sagt Sattlegger. In der Praxis heißt das vor allem: Sie müssen verlässlich sein.

Wenn das Repair-Café nur einmal im Monat zwei Stunden geöffnet hat und beim zweiten Besuch nicht mehr existiert, wird selbst der motivierteste Kunde nicht wiederkommen. Das Gleiche gilt, wenn das, was die einen im Umsonstladen abgeben, nicht das ist, was die anderen dort abholen wollen. «Dann ist es eben doch einfacher, etwas neu zu kaufen. (dpa/hp)