Strom

Negative Strompreise nehmen dramatisch zu

Im ersten Quartal ist in etwa 70 Stunden zu viel Strom erzeugt worden, so dass die Spotpreise unter Null rutschten. Wie sah es 2017 aus? Was bedeutet das für die Kalkulation von Erneuerbaren-Projekten? Enervis hat's untersucht.
19.04.2018

Edis, Energieversorger im Nordosten Deutschlands, betreut ein etwa 80 000 Kilometer langes Stromnetz.

Von Januar bis März sind Stromeinkäufer im Spothandel an grob 70 der 2160 Stunden für die Abnahme der Elektrizität bezahlt worden. Hohe Pflichtvermarktungsmengen aus Wind- und Solarkraftanlagen und gleich bleibende Stromvolumina aus Kohle- und Kernkraftwerken stießen dann auf geringe Nachfrage und konnten nicht alle exportiert werden. Dies ist damit im ersten Vierteljahr schon halb so häufig passiert wie im Gesamtjahr 2017.

Die Zahlen zog Enervis Energy Advisors am Donnerstag aus einer neuen, kostenpflichtigen Studie. Darin befassen sich die Berater damit, wie häufig Investoren in Windpark- und größere Photovoltaik(PV)-Projekte bis 2040 mit länger anhaltenden Negativpreiszeiten rechnen müssen. Denn mindestens sechs Stunden hintereinander mindern ihre Erträge: Die Förderung wird Anlagenbetreibern für jene Grünstrommengen gestrichen, die sie in solchen Zeiträumen einspeisten. So will es Paragraf 51 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Sein Sinn ist, dass EE-Anlagenbetreiber ihre Ökokraftwerke in Zeiten negativer Preisen markt- und netzdienlich aus dem Wind und aus der Sonne drehen.

Prognose überholt Prognose

Enervis-Prokurist Nicolai Herrmann hält es für möglich, dass dies in Zukunft vermehrt der Fall sein wird. Doch Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen: Vor vier Monaten noch hatte Enervis zwar richtigerweise für 2017 eine Rekordzahl an negativen Stunden prognostiziert, für dieses Jahr aber eine Delle und für 2019 ein Allzeithoch zwischen knapp 130 und über 140 Stunden. Würde man nun das erste Quartal aufs Gesamtjahr 2018 hochaggregieren, käme alles andere als eine Delle heraus, sondern ein neuer Negativrekord. Klar, der Dreisatz ist hier nicht seriös anwendbar, da die Zahl der negativen Stunden ganz wesentlich vom Wetter und dessen Zusammentreffen mit Niedrigverbräuchen abhängt. Erst nach dem negativpreisanfälligen Weihnachten wird man wissen, wie 2018 gelaufen ist.

Die ÜNB müssen bieten und zahlen

Bleibt die Frage: Wer ist so dumm und garantiert mit Geboten zu Negativpreisen in der Day-ahead-Auktion, andere für die Abnahme seines Stroms zu bezahlen? Mit Dummheit hat das nichts zu tun, zumindest nicht mit Dummheit von Unternehmen. Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) müssen nach dem EEG den Strom aus EE-Anlagen mit alter Fixvergütung vermarkten, und sei es zu negativen Preisen bis zu -500 Euro pro MWh. Sie tun dies in der Day-ahead-Auktion an der Börse Epex Spot und zahlen die Käufer auch aus, nicht die Anlagenbetreiber. Das Geld dafür kommt aus der EEG-Umlage.

EE-Anlagenbetreiber mögen für Sechs-Stunden-Abschnitte mit negativen Preisen die Fixförderung verlieren, aber sie haben so gut wie keine Kosten, wenn sie ihre Windräder oder PV-Anlagen weiterlaufen lassen (Grenzkosten nahe null). Das Drehen aus dem Wind würde dagegen Investitionen in die preisorientierte Fernsteuerung der Anlagen erfordern, wie sie die Direktvermarkter haben. Betriebswirtschaftlich wäre das ein Verlust – zumindest bis die Anlagen aus der Fixförderung fallen.

AKW bollern auch durch

Auch die Grundlastkraftwerke (Atomkraft, Braunkohle) laufen nach wie vor immer, weil sie ebenfalls niedrige Grenzkosten haben. Das Herunter- und Herauffahren ist teuer, für die Betreiber lohnt sich das wegen einzelner negativer Stundenpreise selten. Im Dezember, Januar und Februar etwa nutzten deutsche Meiler ihre installierte Kapazität zu 90, 94 und 95 Prozent aus, trotz vereinzeltem Herunterfahren zur technischen Pflichtrevision, so die Analyse von Aurora. Bei Braunkohle lag der Lastfaktor gemittelt bei 71, 78 und 88 Prozent. (geo)