Karriere

Positive Szenarien malen

Die Welt ist geprägt von einer wachsenden gesellschaftlichen Unsicherheit, die sich auch in der Belegschaft kommunaler Unternehmen widerspiegelt. Wie Führungskräfte damit umgehen, erläutert Beraterin und Organisationentwicklerin Christiane Michulitz in einem Gastbeitrag.
22.11.2023

Kreative Visionen über das, was der eigene Betrieb einmal sein könnte, brauchen Zeit, einen analogen Raum und ein Anleitung, um sich vom Alltag

freizumachen.

Das Neue Normal fühlt sich nicht richtig an. Klar, alle sind irgendwie durchgeschüttelt – Corona, Kriege, Inflation, Verschiebung von politischen Kräften auf nationaler und internationaler Ebene. Irgendwie geht uns das alle an. Und es macht keine gute Laune. Neu ist, in welchem Maß die Dynamik dessen, was in der Gesellschaft passiert, den innerbetrieblichen Frieden beeinträchtigt.

Irgendwas hakt. Aber selbst im Rahmen von Analysen wie Mitarbeiterbefragungen ist nicht so richtig herauszufinden, was. Die üblichen Verdächtigen – Führungsverhalten, Kommunikation zwischen den Bereichen und mangelnde Wertschätzung – sind nicht mehr die Schuldigen. Während vor Corona schwache Befragungswerte in diesen Messgrößen Hinweise auf schlechte Stimmung gaben, korrelieren heute gute Werte dieser Merkmale mit allgemeiner Unzufriedenheit.

  • Christiane Michulitz ist Organisationsberaterin mit Fokus auf die Energiewirtschaft.

Warum sich das Rackern lohnt

Das kostet Nerven! Und es erhöht den Druck auf die Führungskräfte. Der Berg von Themen, um den sie sich eh schon kümmern müssen, wächst unaufhörlich: Investitionsstau, Fachkräftemangel im Haus und bei den Dienstleistern, stockende Digitalisierungsprojekte und viele neue Marktanforderungen.

Was fehlt, ist ein positives Narrativ. Eine (über-)betriebliche Erzählung von der Zukunft, für die sich das Rackern lohnt. Ein Bild von dem, wie es werden könnte, wenn Deutschland nicht mehr Weltmarktführer ist, China sich mit den Südstaaten die Weltordnung neu denkt und das gute deutsche Auto nicht mehr das Statussymbol Nummer Eins ist.

Veränderungen im Bestand

Vor Corona konnten Strategien, innovative Geschäftsmodelle, Botschaften von Wachstum und überschäumenden Gewinnen noch ein gutes Gefühl geben. Doch wer soll das heute noch glauben? Im Subtext der Geschichten, die man sich in den sozialen Medien erzählt, stehen Begriffe wie Konzentration auf das Kerngeschäft, Steuerung der verfügbaren Mittel zugunsten des Substanzerhalts und der Investitionen, die man tätigen muss, um in Zukunft klimafreundlich, wärmegewendet und digitalisiert dazustehen.

Das kommunale Kerngeschäft muss in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten mit weniger Menschen (noch) professioneller abgewickelt werden. Es geht nicht mehr darum, neue Stellen für blühende Landschaften zu schaffen (Das waren noch angenehme Narrative!), sondern es geht darum, im Bestand zu verändern.

No Future?! – Mehr Zukunftsbilder malen!

Entgegen den Gewohnheiten und mit viel Kreativität müssen smarte Lösungen gefunden werden, um in einer informationsgetriebenen, individualisierten, digitalen Welt die Arbeit zu tun, die schon immer getan werden musste: Bauen, Instand halten, Produkte verkaufen, Kunden zufrieden stellen und Leistungen abrechnen. Und da muss – und das ist neu – denen, die das tun, die Sicherheit gegeben werden, dass ihre Zukunft lebenswert ist.

Das, was gesellschaftlich und energiewirtschaftlich Mut macht, sind Titel wie Jan Hegenbergs „Weltuntergang fällt aus“. Ähnlich wie sein positives Bild von einer gelungenen Wende der Klimakrise lassen sich in den Unternehmen Szenarien für eine positive Zukunft entwickeln. Dazu müssen die passenden Rahmenbedingungen geschaffen werden:

  • Zeit einräumen! Kreative Visionen über das, was der eigene Betrieb einmal sein könnte, brauchen Zeit, einen analogen Raum und ein wenig Anleitung, um sich vom Alltag freizumachen. Aus der Zukunft gedacht und mit einer Roadmap für die nächsten Jahre sieht die heutige Realität weniger schreckensvoll aus.
  • Langsamer machen! Der Wettlauf um den meisten Stress, die größten Engpässe und damit die höchste Relevanz des Tuns läuft. Dagegen hilft, die Handbremse zu ziehen, zuzuhören, nachzudenken und gemeinsam Prioritäten zu setzen. Ein Common Sense über die relevanten Themen schafft Gemeinschaft. Diese brauchen wir alle dringend, um die Herausforderungen der nächsten Jahre meistern zu können.
  • Distanz einnehmen! Auch wenn die gesellschaftlichen Entwicklungen nicht alle positiv sind: Wir leben selbst bei Einschränkungen unseres heutigen Komforts immer noch in einem stabilen Wohlstand. Diesen mit der notwendigen Distanz anzusehen und positive Entwicklungslinien zu zeichnen, gibt Auftrieb für die Stimmung. Innerbetrieblichen Streit wagen! Teams sind Mikrokosmen, Ausschnitte unserer gesellschaftlichen Realität im Brennglas. Zwischen den Mitarbeiten gibt es heute zum Teil nennenswerte Spannungen über Grundhaltungen zu Politik und Einschätzungen der allgemeinen Lage. Es hilft nicht, diese kontroversen Themen auszusparen. Viel wirkungsvoller ist, sie auf den Tisch zu bringen und im Diskurs miteinander in ihrer Bedeutung für den gemeinsamen Weg abzuwägen.

Der Direktor meines zugegebenermaßen altsprachlichen Gymnasiums sprach immer von Zivilcourage. Also der Mut, in schwierigen Situationen die eigene Person zu zeigen und für eine Haltung einzustehen. Das, was die Menschen brauchen, ist die deutliche Positionierung von Führungskräften, die sich und ihrem Betrieb klar machen: Wir haben Zukunft. (hp)