Deutschland

Ostdeutsches Energieforum: Sind Konjunktur- und Klimapolitik vereinbar?

Zum Auftakt der Tagung diskutierten Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über Ziele und Realitäten der Klimapolitik. Einig waren sich die Teilnehmer vor allem über die langfristige Entwicklung des Stromverbrauches.
13.10.2020

Welche Chancen ergeben sich für den Wirtschaftsstandort Ostdeutschland aus den aktuellen klimapolitischen Entwicklungen? Unter diesem Motto steht das Ostdeutsche Energieforum 2020.

Die Paneldiskussion eröffnete mit einer Beobachtung des Moderators Wolfgang Brinkschulte: Der Klimaschutz rücke in vielen Umfragen an erste Stelle, noch vor der Arbeitsplatzsicherung. Zudem seien die umweltpolitischen Ziele aus der Politik sehr hoch gesteckt. Er frage sich deshalb, ob der Klimaschutz mit der Konjunkturpolitik überhaupt vereinbar sei.

Gunter Erfurt, vom Photovoltaik-Produzenten Meyer Burger Technology, bejahte dies ausdrücklich: „Solarenergie ist weltweit als Energieträger der Zukunft anerkannt.“ Es sei unternehmerisch sinnvoll sich zu engagieren, auch wenn die Gesetzgebung das nicht ausreichend unterstütze. Anschließend lobte er die Infrastruktur in Mitteldeutschland, die ein großes Zentrum der deutschen Solarindustrie werden soll. Nicht zuletzt, weil es in der Region ein großes Potenzial an Mitarbeitern mit Vorerfahrung in der Photovoltaik gebe.

Lange Verfahrensschritte in der Politik

Aus der Sicht von Projektverantwortlichen für den Ausbau erneuerbarer Energien berichtete der Rechtsanwalt Martin Maslaton. In der Praxis ärgere er sich über unklare Tatbestandsmerkmale und den Flickenteppich aus rechtlichen Regelungen. Inzwischen könne es passieren, dass für einzelne Teile eines Bauwerkes unterschiedliche Fassungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) Anwendung fänden. Er warnte vor staatlicher Überregulierung und daraus resultierenden hohen Kosten für die Bauverantwortlichen.

Gerd Lippold, Staatssekretär im Sächsischem Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft, räumte ein, dass in den vergangen 10 Jahren Stillstand für die Energiewende in Sachsen geherrscht habe. Im Rahmen der Novellierung des Energie- und Klimaprogramms halte er für wichtig: verbindliche Ausbauziele, eine zeitnahe Inkraftsetzung und die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen, um das Programm anschließend umzusetzen. Ab nächster Woche sollten auch die kommunalen Spitzenverbände und andere Organisationen in die Verhandlungen miteinbezogen werden.

Rechtliche Hemmnisse beseitigen

250 Mio. Euro habe der Energieversorger enviaM seit 2015 bereits in die erneuerbaren Energien gesteckt, gab Vorstandsvorsitzender Stephan Lowis zu Protokoll. Noch immer herrschten allerdings große Investitionshemmnisse. Seine These: Für Technologien wie etwa Solarenergie sei eine Förderung nicht mehr nötig, anders sehe es bei der Windenergie aus. „Wir könnten mehr erneuerbare Energien ans Netz anschließen, wenn die gesetzlichen Regelungen dazu offener wären“, zeigte sich Lowis überzeugt.

Gerd Lippold fügte hinzu: „Auf der Investitionsseite geht es sicher darum, Hemmnisse abzubauen.“ Auf der Nachfrageseite schlug er vor, die Stromsteuer auf europäisches Niveau zu senken und die EEG-Umlage auf 5 Cent zu deckeln. Man müsse allerdings auch die Verteilung der Kosten neu hinterfragen, die bisher hauptsächlich von den Verbrauchern getragen würden.

Panoramablick der Wissenschaft

Michael Braungart, Professor für Chemie an der Universität Lüneburg, schlug positive Zielsetzungen vor, etwa die gleiche Lebensqualität wie vor 100 Jahren zu sichern. Ziel könne nicht sein, „klimaneutral“ zu werden, sondern „positiv“ für das Klima zu handeln. Die Vorschläge stießen auf inhaltliche Zustimmung in der Runde, allerdings wurde vielfach eingeworfen, dass es Zwischenschritte gebe und Realitäten, mit denen man sich befassen müsse.

Gerd Lippold erläuterte, es sei das Privileg der Wissenschaft, den großen Überblick zu behalten. Politik dagegen lebe von Kompromissen und er als Staatssekretär müsse erst einmal die Menschen von Entscheidungen überzeugen, bevor die Entwicklung Geschwindigkeit aufnehmen könnte. Braungart warf ein, dass „effiziente“ Lösungen nur das Bestehende optimierten. Ihm gehe es um den „richtigen“ Weg und einen fundamentalen Ideenwandel.

Wirtschaftliche Verantwortung

Stephan Lowis definierte die Aufgabe von Infrastrukturdienstleistern damit, Infrastruktur möglichst kostengünstig zur Verfügung zu stellen. In der Folge könnten neue Arbeitsplätze geschaffen und bestehende gesichert werden. Auf die Frage, ob sich hier ein Widerspruch zwischen Konjunktur und Klimaschutz auftue, gingen die Diskussionsteilnehmer aber nicht weiter ein.

Aus unternehmerischer Sicht bemängelte Gunter Erfurt, dass die Ansiedelung neuer Industrien in Deutschland nicht genug gefördert werde. Deshalb würde der Mittelstand nach China ausweichen. Zudem habe man von deutschen Banken keine Finanzierung erhalten und sich deshalb mit Kreditinstituten aus der Schweiz zusammengesetzt.

Künftig dezentrales Energiesystem

Der Vorstandsvorsitzende der Meyer Burger Technology AG, Gunter Erfurt, forderte ein Umdenken beim Ausbau erneuerbarer Energien: „Wir werden Energie dezentral erzeugen und auch dezentral verbrauchen.“ Demzufolge müsse in der EEG-Novelle klar geregelt werden, dass die Erzeuger dies auch dürften.

Den Abschluss markierte Stephan Lowis: „Wir sollten aufhören, vom Stromsparen zu reden. Wir werden nicht weniger verbrauchen, sondern mehr.“ So zeigten Hochrechnungen aus der Chemieindustrie, dass der Verbrauch sich eher verdoppeln werde. Das erntete Zustimmung aus der Runde. Zumindest in diesem Punkt waren sich alle Teilnehmer einig. (jk)