Deutschland

Studie: 1,5-Grad-Ziel erfordert radikale Klimapolitik

Eine neue Studie im Auftrag von Fridays for Future analysiert, welche Maßnahmen notwendig wären, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. An der Machbarkeit der Vorschläge wird von manchen gezweifelt.
13.10.2020

Eine deutlich strengere Klimapolitik fordert Fridays for Futures schon lange und unterlegt diese Forderungen nun einmal mehr mit wissenschaftlichen Analysen.

Die Studie „Wie Deutschland bis 2035 CO2-neutral werden kann“ verrät bereits im Titel eine der wichtigsten Erkenntnisse der Wissenschaftler des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie: Die Einhaltung der 1,5-Grad-Marke ist nur dann möglich, wenn Deutschland binnen der nächsten 15 Jahre CO2-neutral wird. Das bedeutet, die Emissionen müssen unmittelbar in den kommenden Jahren drastisch gesenkt werden.

Das sei technisch und ökonomisch zwar extrem anspruchsvoll, grundsätzlich aber möglich, so die Studie, die im Auftrag von Fridays for Future vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie durchgeführt wurde. Zur Erreichung der CO2-Neutralität muss in allen Sektoren kräftig rangeklotzt werden.

Deutlich mehr Wasserstoff benötigt

So schlagen die Studienautoren bei einem vollständigen Kohle-, Öl- und Gasausstieg bis 2035 einen Zubau von Windkraft- und PV-Leistung von jährlich 25 bis 30 GW vor. Andernfalls müsste der Import klimafreundlicher Energieträger massiv ansteigen.

Für die Versorgungssicherheit im Stromsektor und eine klimaverträgliche Umstellung der Industrie bedarf es zudem einer ambitionierten Wasserstoffstrategie. So sei mit einem Bedarf an Wasserstoff und anderen gasförmigen wie auch flüssigen synthetischen Energieträgern von 400 bis 900 TWh zu rechnen, wenn der Lebensstil der Deutschen sich nicht gravierend ändern soll. Der errechnete Bedarf könnte in einem klimaneutralen Energiesystem künftig 25 bis 55 Prozent des gesamten Endenergiebedarfs entsprechen und damit etwa dem acht- bis 18-fachen der heutigen Erzeugung von H2.

ÖPNV ausbauen, Privat-PKW einschränken

Dabei könne nur ein Teil des Bedarfs über inländische Erzeugungskapazitäten gedeckt werden, heißt es in der Studie weiter. Importe seien dauerhaft nur aus Ländern ökologisch sinnvoll, die den Wasserstoff mittels Grünstrom erzeugen.

Auch im Verkehrssektor sehen die Forscher deutlich größeren Handlungsbedarf als die Politik derzeit anstrebt. So müsste sich der Autoverkehr bis 2035 halbieren, der ÖPNV verdoppeln, Verbrenner weitgehend ersetzt und der Güterverkehr überwiegend auf die Schienen verlegt werden. Auch der innerdeutsche Flugverkehr müsste eingestellt werden, und es dürfte nur noch synthetischer Kraftstoff für den verbleibenden Flugverkehr eingesetzt werden.

Sanierungsquote erhöhen und Handwerk stärken

Für den Gebäudesektor ist die energetische Sanierung maßgeblich für die Erreichung der Pariser Klimaziele. Hier sollte der Einbau fossiler Heizungen binnen kürzester Zeit beendet werden, statt dessen sollten Wärmepumpen die dominierende Technologie im Wärmesektor sein. Damit Sanierungen schnell und gut umgesetzt werden, plädieren die Studienautoren für eine Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive im Handwerk.

In der Industrie soll ein wesentlich höherer CO2-Preis für eine schnelle Defossilisierung sorgen. Perspektivisch sind dabei 180 Euro pro Tonne CO2 angedacht. Während beispielsweise der Branchenverband BEE die Studie mit ihren ambitionierten Zielen unterstützt, sieht die dena die Anlayse teilweise kritisch.

Machbarkeit fraglich

„Bedauerlicherweise fehlt es den darin beschriebenen Eckpunkten an nachvollziehbaren Machbarkeitspfaden. Sie enthält im Gegenteil Eckpunkte, die ein Erreichen der von dieser Studie anvisierten Ziele eher als unerreichbar erscheinen lässt“, kommentiert Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung und ergänzt: Zu nennen sei hier beispielhaft eine quasi sofortige vierprozentige Sanierungsrate oder der großskalige Import von klimaneutralem Wasserstoff bis 2035.

„Es ist daher durchaus möglich, dass diese Studie dem dringend erforderlichen konkreten Diskurs über eine zielführende Rahmensetzung eher im Wege steht. Klimaschutz ist eine allumfassende gesellschaftliche Herausforderung. Viele Disziplinen sind hier gefragt, was auch im Kontext der Pariser Klimaziele (SDG13) und all den anderen Sustainable Development Goals zu erkennen ist“, so Kuhlmann. (lm)