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"Wir können mit dieser Arbeitskraft bessere Dinge tun"

Die Energiepreisbremsen bringen Versorger an ihre Belastungsgrenzen. "Während wir uns mit den Abrechnungsproblemen aufhalten, starten junge Startups auf grüner Wiese mit dynamischen Tarifen", kritisiert Geschäftsführer der Stadtwerke Münster, Sebastian Jurzcyk.
24.11.2023

Die Hängepartie rund um die Preisbremsen beschäftigte die Diskussionsrunde "ZfK im Gespräch" mit dem Thema "Energievertrieb im Dauersstress".

Die Zeit für die Umsetzung der Verlängerung und Veränderung der Energiepreisbremsen wird knapp. Für viele Energieversorger wären diese Maßnahmen bereits jetzt nicht mehr fristgerecht und ordentlich umsetzbar. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) bis auf Weiteres gesperrt.

Diese BVerfGE-Entscheidung mitten in der Debatte um die Verlängerung der Preisbremsen macht die Sache zusätzlich prekär. Die Mittel dieses Fonds dienen nämlich unter anderem der Finanzierung der Energiepreisbremsen.

"Möglich, dass die Bremsenverlängerung nicht kommt"

Der Ausgang sei hier noch ungewiss, sagte Ingrid Nestle, energiepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, bei der Diskussion mit dem Titel "Energievertrieb im Dauerstress" im Rahmen der Online-Veranstaltungsreihe "ZfK im Gespräch". "Wir sind daran interessiert, dass wenn die Änderungen kommen, sie dann auch schnell kommen." Nur so bliebe noch genug Zeit für die Umsetzung der Energiepreisbremsen. Die Experten würden derzeit bewerten, was im WSF derzeit drin und verfügbar wäre. Am Ende hänge es von der juristischen Einschätzung ab. "Es ist durchaus möglich, dass eine Verlängerung der Preisbremsen nicht mehr kommt." Inzwischen hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) dazu geäußert. Die Energiepreisbremsen würden zum 31. Dezember auslaufen und damit drei Monate früher als zuletzt geplant. 

Grundsätzlich sei es auch bereits zu spät, um das Thema pünktlich und in hoher Qualität umzusetzen, sagte Dörte Schulte-Derne, Geschäftsführerin der Würzburger Versorgungs- und Verkehrs GmbH (WVV). Nun gelte es, anstatt Schuldzuweisungen einen sinnvollen Schlachtplan zu entwickeln.

Aufwand ist "unverhältnismäßig hoch"

Die Situation erfordert gerade viel Aufklärungsarbeit bei den Kundeninnen und Kunden bei den Fragen, warum die Preisbremsen nicht nur länger laufen, sondern sich inhaltlich hier und da verändern. Für kleinere Haushalte würde es dabei um Entlastungen um 10-20 Euro gehen, für die Versorger gehe es hingegen um überproportional großen Aufwand und Personalbelastung. "Wir können mit dieser Arbeitskraft bessere Dinge tun, um gemeinsam eine Energiewende voranzutreiben."

Der IT-Dienstleister Schleupen SE hat nach eigenen Angaben rund 220 Kunden, die von den Anpassungen der Preisbremsen betroffen sein werden. "Durch viel Vorarbeit wollen wir den Umsetzungsaufwand minimieren", sagte Volker Kruschinski, Vorstandsvorsitzender des Unternehmens. Danach wäre die Umsetzung innerhalb einer Woche machbar. Viel komplexer mache die Einzelberechnung allerdings die veränderte Umsatzsteuer, die dann mitten in der Abrechnungsperiode erfolgen sollte.

Für die entstandene Situation habe Sebastian Jurzcyk, Geschäftsführer der Stadtwerke Münster, "derzeit nur ein Kopfschütteln" übrig. Bereits mit der "Preisbremse eins" hätte die Politik "ein Komplexitätsmonster" erschaffen, was irgendwann auch dringend abgeschafft werden müsste. "Rückblickend war es falsch, dass die EVUs die sozialstaatlichen Aufgaben übernehmen mussten. Dafür sind weder die Versorger noch ihre IT-Systeme ausgelegt." Auch sei es wichtig, künftig auch einfache Maßnahmen zu entwickeln, und nicht "110-prozentige komplexe Lösung", die allem gerecht werde.

Preisbremse laufen aus und kommen nie wieder

Die energiepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Nestle räumte ein, dass der Mechanismus sich als kompliziert erwiesen habe, obwohl „auch ein höherer Grad an Komplexität möglich gewesen wäre“. Etwas Ähnliches wolle man künftig auch nicht mehr starten. Die Kapazitäten der Versorger würden bei den anderen Aufgaben gebraucht, etwa bei der Energiewende und der Digitalisierung.

Die Herausforderungen bei der Abrechnung, aber auch im regulatorischen Bereich hätten das Personal an seine Belastungsgrenzen gebracht, führte Jurzcyk aus. Die Mitarbeiter seien müde, frustriert, es habe bereits drei Burnout-Fälle im IT-Bereich gegeben. Viele würden sogar ihre Branchen wechseln wollen. "Während wir uns mit den Abrechnungsproblemen aufhalten, starten junge Startups auf grüner Wiese mit dynamischen Tarifen", so seine Kritik.

 Generell vermisse er die Anerkennung auf der Regierungsebene dafür, dass die Energieversorger in den vergangenen 12 Monaten "einen unfassbar tollen, harten Job gemacht haben". (am) Das Video der Veranstaltung können Sie hier abrufen.