WärmeZfK Wärmewende

Wärmequelle, die schon da ist

Bremen will bis 2038 klimaneutral werden. Einen Schritt dahin macht die Hansestadt mit einem neuen Fernwärmenetz. Es wird von der Abwärme eines Kraftwerks gespeist.
03.09.2025

Das neue Fernwärmenetz wird von der Abwärme eines Kraftwerks gespeist.

Von Andreas Lorenz-Meyer

Das Kämmerei-Quartier im Bremer Norden, an der Grenze der Stadtteile Blumenthal und Vegesack, hat seinen Namen von der ehemaligen Wollkämmerei. Dort wurden bis in die 1990er Jahre Schafwolle und Chemiefasern verarbeitet. Die Prozessenergie lieferte das benachbarte Industriekohlekraftwerk, welches nach Schließung der Wollkämmerei auf Ersatzbrennstoffe umgestellt wurde.

Betreiber des heutigen Heizkraftwerkes Blumenthal ist die HKW Blumenthal GmbH, eine 100-prozentige Tochter der Abfallwirtschaftsgesellschaft Bassum. Diese wiederum ist ein 100-prozentiges Tochterunternehmen des Landkreises Diepholz südlich von Bremen. Das Kraftwerk wandelt stofflich nicht mehr nutzbare, zuvor aufbereitete, heizwertreiche Abfälle in Strom, Dampf und Wärme um.

  • Sascha Brandt ist Leiter Vertrieb Nord bei Enercity Contracting.

Erschließung großer Wärmequelle

Die Wärme wird bislang nur im kleinen Umfang ins bestehende Quartiers-Nahwärmenetz eingespeist, in Zukunft spielt das Kraftwerk in Bremens Wärmeenergielandschaft aber eine viel größere Rolle. HKW Blumenthal und die Enercity-Tochter, Enercity Contracting, haben sich zusammengetan, um eine bisher brachliegende große Wärmequelle zu erschließen: die Abwärme des Kraftwerks. Diese landet bisher größtenteils ungenutzt in der Atmosphäre – energiewirtschaftlich die reine Verschwendung. Geplant ist, sie ins bestehende kleine Quartiersnetz einzuspeisen und dieses zu erweitern. Unter anderem versorgt es dann den künftigen Berufsschulcampus, zu dem die alte Wollkämmerei gerade umgebaut wird. Schon in diesem Winter bekommt die Baustelle Abwärme vom Kraftwerk.

Kernnetz mit 13.000 Trassenmetern

Vor allem aber entsteht ein neues großes Fernwärmenetz, das Wärme über die Grenzen des Quartiers hinaus im Bremer Norden verteilt. Das Heizkraftwerk ist technisch schon dafür gerüstet. Die HKW Blumenthal hat die Wärmeauskopplung, die bisher nur für das Nahwärmenetz dimensioniert war, auf 15 Megawatt Leistung vergrößert und neue Besicherungskessel installiert, falls das Kraftwerk mal ausfällt. Netzpumpen, Druckhalteanlage und Wasseraufbereitung sind auch bereits angebracht. Investitionsvolumen: rund 13,5 Millionen Euro.

Die Verteilung der Wärme übernimmt Enercity Contracting. Der Dienstleiter plant, bis 2035 ein Kernnetz von 13.000 Trassenmetern zu spannen. Kostenpunkt: 45 Millionen Euro. 40 Prozent davon werden über das Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz gefördert. Anfang 2025 hatten die Bauarbeiten begonnen. "Wir gehen gerade aus dem Quartier in die beiden umliegenden Ortsteile", berichtet Sascha Brandt, Leiter Vertrieb Nord bei Enercity Contracting.

Anfang 2026 sind drei Trassenkilometer fertig. Spätestens ab dann werden auch die ersten beiden "Ankerkunden", Klinikum-Nord und Migrationsamt, mit Kraftwerks-Abwärme beheizt. Der Aufwand beim Wechsel ist minimal, betont Brandt. "Die Wärmeauskopplungstemperatur von 88 Grad reicht, um Bestandsliegenschaften ohne Anpassungen versorgen zu können. Kunden müssen weder ihre Heizanlagen ertüchtigen noch Flächenheizungen einbauen." In den nächsten Jahren soll das Netz dann schrittweise mit den neu dazukommenden Kunden erweitert werden. Diese könnten Wohnungswirtschaft, Gewerbe oder Industrie sein.

"Sehen wir irgendwann, dass der Wärmebedarf über das Kernnetz hinausgeht, steigen wir in die Planung für den weiteren Ausbau ein."

Sascha Brandt, Vertriebsleiter Nord bei Enercity Contracting

Potenzial immer besser ausschöpfbar

120 Gigawattstunden Abwärme pro Jahr liefert das Heizkraftwerk maximal – genug, um das geplante Kernnetz komplett zu versorgen. Brandt schätzt, dass im Laufe der nächsten zehn Jahre 70 bis 80 Gigawattstunden Wärme absetzbar sind. An den saisonbedingten Wärmebedarf anpassen lasse sich die Produktion nicht. "Was wir vom Kraftwerk bekommen, ist ein Band. Es liefert das ganze Jahr über gleichmäßige Wärmemengen. Die meisten Kunden brauchen aber kein solches Band, sie brauchen im Winter viel und im Sommer wenig Wärme. Daher wird es schwierig für uns, im Sommer irgendwann die komplette Wärme abzusetzen – es sei denn, wir finden genug Kunden, die auch dann viel Wärme brauchen. Schwimmbäder oder Gewerbe mit Bedarf an Prozesswärme zum Beispiel."

Gut möglich, dass es langfristig nicht bei den 13.000 Trassenmetern bleibt. "Sehen wir irgendwann, dass der Wärmebedarf über das Kernnetz hinausgeht, steigen wir in die Planung für den weiteren Ausbau ein." Zwar lassen sich die jetzigen 15 Megawatt Leistung vom Kraftwerk noch erweitern, aber dann müssten zusätzlich neue Wärmeerzeugungsanlagen gebaut werden. Denkbar sind Großwärmepumpen direkt am Standort Blumenthal, konkrete Pläne in diese Richtung gibt es aber noch nicht.

Abwärme gibt es nicht nur in Bremen

Viele Kommunen und Energieversorger ächzen unter der großen Aufgabe Wärmewende. Brandt findet das Blumenthal-Projekt in dieser Hinsicht wegweisend. "Es zeigt: Überall im Land gibt es immer noch viel brachliegendes Abwärmepozential. Es braucht nur jemanden, der die Verbindung zwischen Bedarf und Quelle herstellt." So wie auch in Hamburg geschehen. Dort hat Enercity Contracting Leitungen zwischen dem Werksgelände des Metallunternehmens Aurubis und der knapp vier Kilometer entfernten östlichen Hafencity gelegt. Die Abwärme der Kupferschmelze versorgt nun direkt die Heizungen in Hamburgs Prestigeviertel.

"Diese Wärme ist vorher jahrzehntelang in die Elbe gegangen. Wärmeversorgung gehört eben nicht zum Geschäftsmodell eines Metallunternehmens." Abwärmeerzeuger und Wärmeverbraucher zusammenzubringen sei auch deswegen naheliegend, weil Versorger dann nicht auf kapitalintensive Wärmetechnologien angewiesen sind, um einen Stadtteil zu dekarbonisieren. "Dafür reicht Abwärme: die Wärmequelle, die schon da ist."

Beim Blumenthal-Projekt gibt es laut Brandt einen weiteren nennenswerten Punkt: Beide Partner, Enercity und die Abfallwirtschaftgesellschaft, sind kommunale Unternehmen. "Das heißt, wir haben beide langfristige Geschäftsperspektiven und können uns deswegen auch über Jahrzehnte binden. Für uns als Betreiber des künftigen Fernwärmenetzes muss die Wärmelieferung über solch lange Zeiträume gesichert sein. Man stelle sich vor, die Abfallverwertungsanlage würde nächstes Jahr stillgelegt. Dann hätten wir viel Geld für nichts investiert. Wir selbst haben ja keinen Zugriff auf die Erzeugung, wir verteilen die Wärme." Mit einem rein privaten Entsorgungsunternehmen wäre es schwierig gewesen, eine solch langfristige Planbarkeit hinzubekommen.