München rüstet auf

Die Klärwerke Gut Großlappen (hier ein Luftbild) und Gut Marienhof behandeln das Abwasser der Stadt München und einiger Umlandgemeinden.
Bild: © MSE
Sie haben kürzlich dem Münchner Stadtrat ein Konzept für die langfristige Optimierung Ihrer beiden Klärwerke bis 2040 vorgelegt. Was war der Hintergrund?
Wir haben zwei große Klärwerke. Das eine ist das Werk Gut Großlappen mit ca. zwei Millionen Einwohnergleichwerten, das andere das Gut Marienhof bei Eching mit ca. einer Million Einwohnergleichwerten. Mit unserer Technik halten wir alle derzeit gültigen Grenzwerte sehr gut ein. Aufgrund der stark verschärften Anforderungen, die die Einführung der EU-Kommunalabwasserrichtlinie mit sich bringt, haben wir uns entschlossen, keine einzelnen Optimierungsprojekte durchzuführen, sondern eine Gesamtstrategie zu entwickeln.
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Warum?
Bei der Abwasserreinigung handelt es sich um hochkomplexe Industrieanlagen. Wir möchten nicht in Maßnahmen investieren, die vielleicht nur temporär eine Lösung sind. Außerdem ist es auch unsere Aufgabe darauf zu achten, dass der Bürger nicht für unnötige Investitionen aufkommen muss.
Warum haben Sie als Zeithorizont 2040 gesetzt?
Wir haben das Jahr 2040 gewählt, weil viele Zukunftsprognosen der Stadt München und auch der Umlandgemeinden und des Freistaats Bayern darauf basieren. Außerdem wird auch in der EU-Kommunalabwasserrichtlinie für die Umsetzung in einigen Teilbereichen das Jahr 2040 genannt.
Ihre Strategie baut ja auf verschiedenen Grundannahmen und Szenarien auf. Was war ausschlaggebend: die zukünftige Verschärfung der Grenzwerte oder das erwartete Bevölkerungswachstum in München?
Beides. Laut Prognosen wird die Einwohnerzahl der Stadt München im Schnitt um 20.000 Menschen im Jahr zunehmen. Das ist so viel, wie eine kleine Stadt Einwohner hat, und die hat in der Regel bereits eine eigene Kläranlage.
Wie schätzen Sie denn die EU-Kommunalabwasserrichtlinie insgesamt ein?
Ich finde es eine sehr, sehr gute Richtlinie, weil sie in Europa einheitliche Standards festlegt. Die verschärften Grenzwerte sind aber für uns und für alle meine Kolleginnen und Kollegen in Europa eine extreme Herausforderung.
Welche Kritikpunkte haben Sie?
Zwei Punkte möchte ich nennen. Ich bin überzeugt, dass wir alle das Abwasser bereits jetzt sehr gut reinigen. Die neuen Stickstoff-Höchstgrenzen von acht Milligramm pro Liter für Städte mit mehr als 150.000 Einwohnern sind eine starke Verschärfung gegenüber dem Istzustand. Ob wir uns in Deutschland die derzeit dafür vorgesehene Messsystematik mit einer Zwei-Stunden-Mischprobe für die strengen Stickstoffwerte leisten können, das muss man sich schon wirklich gut überlegen. Denn im Rest der Europäischen Union gilt ein Jahresmittelwert. Das ist für uns ein ganz wesentlicher Kritikpunkt.
Was ist der zweite Punkt?
Dabei geht es um die erlaubte Entlastungsmenge bei Starkregen aus einem Kanal. Die Richtlinie sieht ein bis zwei Prozent der Gesamtfracht vor. In München können wir das gut einhalten, weil wir ein extrem hohes Rückhaltevolumen haben, mit über 700.000 Kubikmetern im Kanalnetz. Aber für viele Unternehmen der Branche ist das ein großes Problem.
Wo sind die Schwerpunkte der Maßnahmen, die Sie in den Klärwerken ergreifen wollen?
Da hinsichtlich der Stickstoffelimination an den beiden Münchner Klärwerken kaum mehr Kapazitätsreserven bestehen, werden bauliche Erweiterungsmaßnahmen erforderlich. Die Denitrifikation in den Sandfiltern muss an andere Stelle verlagert werden und verstärkt in den vorgeschalteten biologischen Stufen stattfinden. Auch das hat bauliche Erweiterungsmaßnahmen zur Folge.
Wird auch eine vierte Reinigungsstufe nötig?
Ja, deshalb liegt ein weiterer Schwerpunkt unseres Konzeptes in der vorausschauenden Befassung mit dem Thema Spurenstoffelimination, also der vierten Reinigungsstufe. Je nach gewähltem Verfahren ist ein hoher Einsatz an Energie – bei der Nutzung von Ozon – oder spezieller Betriebsmittel, wie zum Beispiel Aktivkohle, nötig. Wir gehen davon aus, dass eine verpflichtende Nachrüstung für mindestens eine der Kläranlagen der MSE bis spätestens 2035 nötig ist. Die Nachrüstung der zweiten Anlage wäre dann nach weiteren fünf bis zehn Jahren erforderlich.
In Ihrem Konzept werden die Gesamtinvestitionen für die vierte Reinigungsstufe für beide Klärwerke mit etwa 60 Mio. Euro beziffert. Wie wird das finanziert?
Dafür gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Der Freistaat Bayern hat für den Einbau von vierten Reinigungsstufen ein Sonderförderprogramm aufgelegt. Den Antrag dafür müssen wir bis Ende des Jahres stellen. Voraussetzung ist eine Machbarkeitsstudie, die wir ohnehin derzeit durchführen. In diesem Fall übernimmt der Freistaat ca. 50 Prozent der Investitionskosten.
Und was wäre die zweite Möglichkeit?
Die zweite Option sind die Möglichkeiten, die mit Verabschiedung der EU-Kommunalabwasserrichtlinie zur Verfügung stehen. Über die Umsetzung der Herstellerverantwortung könnten 80 Prozent der Investitionskosten, aber auch des Betriebes finanziert werden. Das wäre dann auch für den Gebührenzahler die beste Lösung.
Die EU-Kommunalabwasserrichtlinie ist aber noch nicht verabschiedet. Könnte es sein, dass das Paket vor dem Hintergrund des Ausgangs der EU-Wahlen noch einmal infrage gestellt wird?
Nein, ich gehe davon aus, dass die Richtlinie im Herbst veröffentlicht wird und damit gilt. Der Rechtsruck bei den EU-Wahlen hat – soweit ich erkennen kann – keine Auswirkungen auf die Mehrheitsverhältnisse der Verhandler des EU-Ministerrates. Man müsste die komplette EU-Kommunalabwasserrichtlinie einschließlich der Evaluation, die ja vorher stattgefunden hat, neu starten. Da sich nichts in der Verwaltung der Europäischen Kommission ändert, wären wieder die gleichen Akteure am Zug. Deswegen kann ich persönlich mir das nicht vorstellen.
Zum Thema Klärschlamm: Sie haben beschlossen, eine neue Verbrennungsanlage zu bauen. Warum?
Unsere Anlage ist jetzt ca. 30 Jahre alt, also in die Jahre gekommen. Damit können wir etwa zwei Drittel des anfallenden Schlamms verbrennen. Derzeit wird ein weiteres Drittel zusammen mit Müll im Heizkraftwerk Nord verwertet. Wenn diese Option ab 2029 wegfällt, dann ist der Neubau einer größer dimensionierten Anlage die beste Lösung. Andernfalls hätten wir die Entsorgung durch einen externen Partner sicherstellen müssen, was einen enormen Lkw-Verkehr bedeutet hätte.
Wie werden Sie die Pflicht zum Phosphorrecycling umsetzen?
Unserer Meinung nach gibt es derzeit keine Anlagenkonzepte, die technisch und wirtschaftlich wirklich funktionieren. Auch gibt es keinen Markt für die Produkte, die auf diese Weise entstehen. Damit sich entsprechende Rahmenbedingungen entwickeln, wäre es wünschenswert, dass die Politik regulativ eingreift und eine Abnahmepflicht einführen würde. Wir haben uns deshalb entschlossen, unsere Phosphorasche an einen externen Anbieter zu verkaufen.
Die Abwasserentsorgung muss bis 2050 energieneutral werden. Wie wollen Sie das umsetzen?
Wir setzen auf drei Bausteine: Der größte Teil unserer Eigenversorgung ist die Verstromung von Klärgas. Auf diese Weise produzieren wir etwa 50 Mio. Kilowattstunden. Außerdem beziehen wir von unserem großen Photovoltaik-Feld vor allem im Sommer viel Energie, im Winter ist das Gap etwas größer.
Und die dritte Säule?
Das ist unsere Klärwerksstrategie, durch die sich die Energieeffizienz der Anlagen durch Um- oder Neubau verbessert. Danach werden wir voraussichtlich einen Deckungsgrad von 100 Prozent mit Eigenenergie erzielen.
Setzen Sie auch auf Künstliche Intelligenz in den Klärwerken?
Das Potenzial für den Einsatz ist enorm. Nicht nur in den Kläranlagen, sondern beispielsweise auch bei der Kanalinspektion – wir haben ein 2400 Kilometer langes Kanalnetz – kann die Technologie sehr hilfreich sein. Was im Moment ein Hemmschuh ist, ist die Gefährdungssituation durch Angriffe von außen auf unsere Steuerungssysteme.
Verzichten Sie auf auf den Einsatz von Digitalisierungstechnologien, weil Sie die Cybergefahr für zu groß halten?
Bei den Klärwerken versuchen wir, unsere Digitalisierungshilfen nur innerhalb der Anlagen einzusetzen, mit einer physischen Trennung nach außen. Auch das gibt keine 100-prozentige Sicherheit. Aber wir sind sehr vorsichtig – oder ich formuliere es anders: Wir werden nicht jede Technik, die es derzeit am Markt gibt, sofort einführen. Wichtig ist uns, dass wir auch bei einem Blackout oder bei anderen Bedrohungslagen die Anlagen beziehungsweise einzelne Anlagenteile in Betrieb halten können. Deswegen schauen wir, dass wir Insellösungen innerhalb des Klärwerks schaffen, die in jedem Fall funktionstüchtig bleiben.
Das Interview führte Elwine Happ-Frank.
Ein Teil des Interviews ist in der ZfK-Juli-Ausgabe erschienen. Zum Abo geht es hier.