VKU-Chef: "Wir haben keine Zeit für neue langwierige politische Diskussionen"

VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing, hier beim VKU-Stadtwerkekongress 2024 in Hannover.
Bild: © VKU Service
In nicht einmal einer Woche steht fest, ob die SPD-Mitgliederbasis dem schwarz-roten Koalitionsvertrag zustimmen und den Weg zu einer neuen Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) ebnen wird. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) hat kein Stimmrecht. Ein klares Meinungsbild hat er aber schon. Im Interview mit der ZfK erläutert Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing, wie gut er Stadtwerkeforderungen umgesetzt sieht – und was aus seiner Sicht jetzt entscheidend wird.
Herr Liebing, Sie haben sich drei Begriffe als Überschrift für das Energiekapitel des Koalitionsvertrags gewünscht: verlässlich, machbar, bezahlbar. Wie verlässlich, machbar und bezahlbar ist der Koalitionsvertrag auf einer Skala von "0 – gar nicht" bis "10 – voll und ganz"?
Ich würde ihn bei einer Acht einordnen. Entscheidend wird die Umsetzung. Aber die drei Begriffe, die wir als Erwartungshaltung an die neue Bundesregierung formuliert haben, finde ich schon allesamt im Koalitionsvertrag wieder. Nehmen wir die Verlässlichkeit. Im Kommunalkapitel werden Unternehmen als Rückgrat der öffentlichen Daseinsvorsorge hervorgehoben. Das ist etwas Bemerkenswertes. Ich kann mich nicht erinnern, dass kommunale Unternehmen je in einem Koalitionsvertrag auf solche Weise gewürdigt wurden.
Und das reicht Ihnen schon an Verlässlichkeit?
Nein, denn dort heißt es auch ausdrücklich, dass Kommunen und Energieversorger Planungssicherheit und einen attraktiven Investitionsrahmen brauchen, da es um Investitionen über Jahrzehnte geht. Das ist genau unsere Mahnung gewesen. Wir sehen: Diese Botschaft ist angekommen. Das muss jetzt aber auch umgesetzt werden.
Verlässlichkeit hat Schwarz-Rot auch beim Klimaneutralitätsziel 2045 gezeigt. Weniger verlässlich liest sich der Kohleausstieg. Aus der Steinkohle soll Deutschland erst dann aussteigen, wenn es Ersatz gibt. Wie verlässlich ist das?
Was im Koalitionsvertrag steht, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wir können keine Kraftwerkskapazitäten abschalten, wenn wir keinen Ersatz haben. Deswegen ist es so wichtig, zügig für Ersatz zu sorgen. Der Zubau neuer Gaskraftwerke ist längst überfällig.
Tatsächlich haben sich Union und SPD auf einen Bau von bis zu 20 Gigawatt an Gaskraftwerksleistung bis 2030 verständigt. Wie machbar ist das?
Es mag einzelne Projekte geben, die schon jetzt recht weit in der Planung sind. Da kann es schnell gehen. Für neue Projekte ist das Zieldatum 2030 dagegen wohl kaum mehr darstellbar. Und wenn alle Projekte gleichzeitig realisiert werden sollten innerhalb der nächsten viereinhalb Jahre, dann würde das auch in die Preise gehen. Dann würde auch der staatliche Förderaufwand größer werden. Insofern gibt es eher Sinn, das etwas zu strecken.
Für wie machbar halten Sie sonst das energiepolitische Kapitel des Koalitionsvertrags?
Mehr Realismus und Pragmatismus sprechen aus ganz vielen Formulierungen des Koalitionsvertrags. Nicht das Wünschenswerte ist der Maßstab der Dinge, sondern das, was tatsächlich auch machbar ist. Das erwarten auch die Stadtwerke.
Union und SPD wollen das Heizungsgesetz abschaffen und durch ein neues, technologieoffeneres Gebäudeenergiegesetz ersetzen. Machbar ist das sicherlich. Aber ist das sinnvoll, wenn die Kommunen bereits mitten in der Wärmeplanung sind?
Auch wir haben darauf gedrungen, dass das Gebäudeenergiegesetz einfacher und praktikabler gemacht wird. Auch das Zusammenspiel zwischen dem Gebäudeenergiegesetz und der kommunalen Wärmeplanung muss nachjustiert werden. Beides ist so im Koalitionsvertrag nun auch nachzulesen. Deswegen ist die Zielsetzung aus unserer Sicht schon ok.
Aber auch hier kommt es jetzt auf die konkrete Ausgestaltung an. Wir haben keine Zeit für neue langwierige politische Diskussionen. Viele Kommunen sind ja schon mitten im Wärmeplanungsprozess. Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern müssen bereits in gut einem Jahr ihre Wärmeplanung abschließen. Also brauchen wir schnell Planungssicherheit.
Kommen wir zur Bezahlbarkeit. Hier hat der VKU in einem Positionspapier Anfang März einige durchaus kontroverse Vorschläge gemacht. Von einem Ende der Förderung für PV-Dachanlagen ohne Direktvermarktung ist im Koalitionsvertrag nun aber nicht die Rede. Auch zu einer Weiterentwicklung des EEG-Förderregimes steht wenig Konkretes. Sind Sie enttäuscht?
Nein, wir finden im Gegenteil eine ganze Reihe konkreter Punkte, die wir in unserem Positionspapier angesprochen haben. Nehmen wir das Beispiel Windkraft auf See. Dort steht im Vertrag ausdrücklich, dass sich Schwarz-Rot der sogenannten Abschattungsproblematik annehmen wird.
Auch das Thema der Pachthöhen für Windkraftstandorte oder generell das Thema Kosteneffizienz ist angesprochen. Klar, das muss natürlich alles noch konkreter werden. Der Koalitionsvertrag kann aber auch gar nicht die letzte Antwort darauf geben. Das muss jetzt Gegenstand weiterer Überlegungen sein.
Ein Knackpunkt in der neuen Koalition könnte die Europäisierung des CO2-Handels im Verkehrs- und Wärmebereich werden. Dann könnten die CO2-Preise drastisch steigen. Zwar wollen Union und SPD das Geld an die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben, aber wie genau, bleibt unklar. Macht Ihnen das Sorgen?
Es ist das Schicksal der Stadtwerke, dass sie nah an den Kunden sind und vieles ausbaden müssen, was die Politik beschlossen hat. Wenn Preise steigen, bekommen die Kolleginnen und Kollegen in den Kundencentern den Ärger als allererste ab. Im Grundsatz halten wir den CO2-Preis für einen guten Mechanismus. Er ist aber auch nicht das allein selig machende Instrument.
Die Frage ist: Welche Schmerzgrenze ist verträglich? Wann wird es so teuer, dass die Menschen das nicht mehr akzeptieren? Deshalb werben wir für Ausgleichsmechanismen wie mehr Investitionsförderungen etwa bei der Fernwärme, die Senkung der Strompreise über Stromsteuer, Netzentgelte und Umlagen oder eine gezielte Unterstützung derjenigen, die andernfalls überfordert werden würden. Es ist ein Gebot der Ehrlichkeit deutlich zu machen, dass die Energiewende viel Geld kostet. Diese Investitionskosten müssen refinanziert werden. Noch zwei Sätze zum geplanten EU-weiten CO2-Handel für den Verkehrs- und Wärmesektor.
Gern.
Wir nehmen wahr, dass in Europa inzwischen eine Diskussion beginnt, ob der geplante Pfad wirklich so durchgehalten werden kann. Die Stimmen, die vor einer Überforderung der Kunden warnen, werden lauter.
Massiv geworben hat der VKU für die 3,5 Milliarden Euro an jährlichen Fördergeldern für die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze. Das schaffte es nicht in den Koalitionsvertrag.
Dafür wird versprochen, dass die Förderung gesetzlich geregelt und aufgestockt wird. Das schafft Planungssicherheit. Es bleibt auch ausdrücklich ein Bundesprogramm. Auch dafür haben wir geworben. Insofern sind wir mit der Formulierung im Koalitionsvertrag zufrieden. Damit können wir arbeiten. Die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze ist das zentrale Förderprogramm für Ausbau und Dekarbonisierung der leitungsgebundenen Wärmeversorgung.
Das Programm ist sehr gut, hat sich bewährt und muss ohne Unterbrechung weitergehen, damit die Wärmewende richtig Fahrt aufnehmen kann. Das Bundesfinanzministerium hat kürzlich auf Antrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung 2025 einer überplanmäßigen Verpflichtungsermächtigung von bis zu 305 Millionen Euro zugestimmt. Das ist ein gutes Signal.
Trotzdem noch einmal nachgehakt: Die 3,5 Milliarden Euro fehlen Ihnen nicht?
Natürlich haben wir auch dafür geworben, weil wir den Bedarf in dieser Höhe klar belegen können. Aber selbst wenn diese Zahl im Koalitionsvertrag gestanden wäre, hätten wir uns davon nicht unbedingt etwas kaufen können. Denn generell stehen alle Projekte und Maßnahmen unter Finanzierungsvorbehalt.
Aber sind die 3,5 Milliarden Euro am Ende vielleicht auch gar nicht mehr so entscheidend, wenn Fernwärmeunternehmen künftig ohnehin einen gesetzlichen Anspruch auf Förderung haben, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen?
Das wird sich zeigen. In jedem Fall ist es gut, dass es einen gesetzlichen Förderanspruch, also einen Rechtsanspruch auf Förderung, geben soll.
Sie werben aber für einen automatischen Rechtsanspruch, oder?
Ja, wir setzen uns dafür ein, dass die BEW-Fördersätze gesetzlich verankert werden. Zum Beispiel im Wärmeplanungsgesetz. Wir wollen möglichst viel Planungssicherheit für unsere Unternehmen. Trotzdem bleibt es immer ein Kampf um Haushaltsmittel. Aber wenn es eine gesetzliche Rechtsgrundlage gibt, stärkt das unsere Position in den Haushaltsverhandlungen.
Robert Habeck hat Stadtwerke bei einem Pressetermin im Frühjahr 2024 gewarnt, den öffentlichen Nahverkehr mit Gewinnen aus der Fernwärme querzusubventionieren. Ganz grundsätzlich: Wie wichtig ist eine Wirtschaftsministerin oder ein Wirtschaftsminister, der das Geschäftsmodell des kommunalen Querverbunds versteht?
Sehr wichtig. Wer auch immer das Wirtschaftsministerium führen wird, aber auch – und fast noch wichtiger – das Finanzministerium, sollte wissen, wie der kommunale Querverbund funktioniert und honorieren, dass das eine wesentliche Finanzierungssäule der kommunalen Daseinsvorsorge ist.
Die beabsichtigte Verankerung und Weiterentwicklung des steuerlichen Querverbunds als wesentliche Säule zur Finanzierung der kommunalen Daseinsvorsorge ist ein deutliches Zeichen für die kommunalen Finanzen im Koalitionsvertrag. Gerade der Bäderbetrieb ist ohne steuerliche Ergebnisverrechnung nicht möglich.
Das Interview führte Andreas Baumer