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Britisches Blatt schaut neidisch auf Rekommunalisierung

Die Rekommunalisierung des Stromnetzes 2006 in der Kleinstadt Wolfhagen war eine Pioniertat mit bundesweitem Dominoeffekt. Und jetzt wieder mit internationalem Echo: Die britische Zeitung "Guardian" lobt die Erfolge damit.
02.03.2018

Der Netzausbau hinkt in Deutschland stark hinter den Vorgaben her. Der Widerstand innerhalb der Bevölkerung gegen Neubauprojekte ist groß.

Die 14000-Einwohner-Stadt Wolfhagen hat es seit Mittwoch zum Angelpunkt eines wirtschaftspolitischen Portraits in der linksliberalen britischen Zeitung "Guardian" gebracht. Der Aufhänger: Die nordhessische Kommune war 2006 eine der ersten, die ihr Stromverteilnetz nicht wie erwartet wieder quasi automatisch an einen der Großkonzerne vergab, sondern an das eigene Stadtwerk. Wolfhagen und andere bildeten den Anfang einer Rekommunalisierungswelle in der Leitungsinfrastruktur bei 284 Städten und Gemeinden. Das Blatt rühmt, wie sich keiner der Nachteile einstellte, die Eon & Co. damals an die Wand malten, und arbeitet stattdessen Vorteile heraus. Für den Kolumnisten Aditya Chakrabortty sind das Wirkungen, die Großbritannien verschlossen sind, weil die konservative Regierung an ihrer Privatisierungs-Ideologie bei Strom, Gas, Wasser und Bahn festhalte.

Der damalige Chef Rühl ließ sich auf den "Wahnsinn" ein

Die "Rekommunalisierung" - das Wort kommt in dem Portrait so vor als "einer dieser ziemlich plumpen Brocken Deutsch" – war in Wolfhagen die Frucht der Überzeugungsarbeit des damaligen neuen Geschäftsführers Martin Rühl seit 2003. Das war in der Regierungszeit des größten Privatisierungskanzlers Gerhard Schröder (SPD) und als David gegen den üppig mit Stäben, Geld und Anwälten ausgerüsteten Goliath Eon – kurz, ein "Wahnsinn", wie es in dem Artikel heißt. Eon habe damals behauptet, das Stadtwerk könne keinen Netzbetrieb, werde Strom subventionieren oder verteuern müssen, und letztlich würden die Lichter ausgehen.

Alles "Quatsch", wird Rühl zitiert. 2006 wurde das Netz nach zähem Ringen mit Eon auf das Stadtwerk übertragen, der Versorger wirft jedes Jahr genug ab, um den Schuldendienst für den Kaufpreis und den Stadtsäckel gleichermaßen zu bedienen, Elektrizität ist eher günstiger als bei Eon, die Zahl der Arbeitsplätze am Ort verdoppelte sich, Japaner und Koreaner besichtigen das Stadtwerk, es regnet Auszeichnungen für Innovation und Energieeffizienz, und für die lokale Energiewende nahm das Stadtwerk eine Bürgerenergiegenossenschaft als Gesellschafter rein (ZfK 4/08, 15).

Rühl ging im Streit, blieb aber bei SUN

Im August 2016 verließ Rühl, der am Dienstag 54 geworden ist, die Stadtwerke wegen Meinungsverschiedenheiten mit der Stadt. Er ist einer der Geschäftsführer der Stadtwerke-Union Nordhessen (SUN), der die Wolfhagener angehören. An der Spitze des Stadtwerks stehen seitdem die ehemaligen Prokuristen Alex Rohrssen (39) und Christina Holzhauer (31), so das Handelsregister. (geo)

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Hier externer Link zu dem "Guardian"-Portrait von Wolfhagen