Große Gashändler werben für Comeback von Langfristverträgen

Mit dem Wegfall der meisten russischen Pipelinelieferungen nach Europa sind LNG-Lieferungen deutlich wichtiger geworden.
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Es ist dann doch rasend schnell gegangen. Noch vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine bezog Deutschland mehr als die Hälfte seines Erdgases aus dem Land des Angreifers Russland. Jetzt fließt praktisch kein russisches Pipelinegas mehr nach Deutschland.
Zum neuen großen Player hat sich dagegen Russlands Erzfeind, die USA, aufgeschwungen. Das Land ist mittlerweile hinter Norwegen der zweitgrößte Gaslieferant der Bundesrepublik. Doch gerät Deutschland da nicht in ganz neue Abhängigkeiten? Solche Sorgen versuchte eine US-Delegation diese Woche auf einer Tour durch das politische Berlin zu lindern.
Ex-US-Senatorin wirbt in Deutschland
Wenn Deutschland mehr Erdgas aus Amerika haben wolle, dann mache es sich nicht von einem Land abhängig, argumentierte beispielsweise die frühere US-Senatorin und jetzige Beraterin Mary Landrieu bei einem Webinar des Branchenverbands "Zukunft Gas", "sondern von tausenden freiheitliebenden Unternehmern, die [Werte wie] Markt und Demokratie verstehen."
Argumente wie diese scheinen zurzeit tatsächlich zu verfangen. Jörg Selbach-Röntgen, Geschäftsführer von MET Germany, nannte bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des BDEW-Kongresses noch andere: den als vertrauenswürdig geltenden US-Preisindex Henry Hub etwa oder die Stabilität der Region, Trump hin oder her.
"LNG kommt nicht durch Geisterhand"
Die Nachfrage nach Flüssigerdgas oder LNG aus den USA sei nach seinem Eindruck im Vergleich zu anderen Exportländern jedenfalls derzeit höher, sagte der Händler. Dabei sei eines aber auch klar: "LNG kommt nicht durch Geisterhand auf den Markt." Es gehe auch darum, sich um den langfristigen Bezug von Flüssigerdgas zu kümmern.
Denn gebe es diesen nicht, sei Europa weiterhin von der LNG-Nachfrage aus dem asiatischen Raum abhängig und müsse mit hohen Preisschwankungen rechnen. "Es braucht also das Signal in den Markt, dass es in ordentlicher Menge durch verschiedene Teilnehmer Langfristverträge gibt." Die Nachfrage auf Kundenseite sei jedenfalls groß.
Langfristverträge mit Weiterleitungsoption
Einen der größten Bremsklötze für neue Langfristverträge nannte Selbach-Röntgen gleich selbst: den Zielkonflikt, der sich aus dem beschlossenen schrittweisen Ausstieg Europas aus fossilen Energien ergibt und langfristige Bindungen deutlich erschwert.
Doch auch dafür präsentierte der MET-Manager eine ungewöhnliche Lösung: Es gebe Möglichkeiten, Verträge so zu gestalten, dass man sie nach einer bestimmten Zeit an Dritte, beispielsweise Unternehmen in Japan oder Südkorea, übertragen könne. Sein Plädoyer: "Wir sollten keine Scheu haben, uns über Verträge mit einer Laufzeit von 15 bis 20 Jahren zu unterhalten."
EnBW-Handelsleiter für Langfristverträge
Auch Peter Heydecker, Leiter der Handelssparte beim Energiekonzern EnBW, regte an, in Richtung Langfristverträge zu denken, weil Europa davon ausgehen müsse, längerfristig russische Gasmengen ersetzen zu müssen.
Nur Verträge mit langen Laufzeiten lösten Investitionen in neue LNG-Quellen aus, sagte der Manager. "Ohne diese Investitionen sind wir täglich dem Spotmarkt ausgesetzt." Was dies bedeuten könne, lasse sich dieses Jahr mit Blick auf LNG-Großimporteur China beobachten. "Die Nachfrage dort zieht dieses Jahr schon wieder kräftig an", sagte er. "Das sieht man bei Öl und Kohle, aber auch bei LNG."
RWE-Händlerin: "Das hat uns in die Krise gestürzt"
Wie bedeutend ein ausbalanciertes Beschaffungsportfolio sei, betonte Gunhild Grieve, Finanzchefin bei der RWE-Handelstochter RWE Supply & Trading. Deutschland habe vor dem russischen Angriff auf die Ukraine keinen ausgewogenen Beschaffungsmix gehabt, sagte sie.
"Das hat uns in die Krise gestürzt." Deshalb benötige Deutschland künftig "verschiedene Arten von Langfristverträgen mit unterschiedlichsten Partnern", um sich bei neuen geopolitischen Verwerfungen besser absichern zu können.
Düngerindustrie unter Druck
Matthias Peter, Vertriebschef des Gasimporteurs Sefe, weitete den Blick und hinterfragte, wie viel Gas Deutschland künftig überhaupt noch benötigt. "Im letzten Jahr ist der Verbrauch zurückgegangen", sagte er. "Das wird sich fortsetzen."
In der Grundstoffchemie und Düngerindustrie sei selbst mit den jetzigen Gaspreisen in Europa die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben, erklärte er. Hier könne beispielsweise die russische Konkurrenz günstiger produzieren und verkaufen. Die Folge: Die deutschen Firmen fragten dauerhaft weniger Gas nach.
"Abhängigkeiten nicht abschließend geklärt"
Außerdem müsse man abwarten, wie stark sich der russische Gasriese Gazprom auf die Suche nach Abnehmern in China mache, sagte Peter. Verkaufe Russland mehr Gas in die Volksrepublik, würde dort auch weniger Flüssigerdgas verbraucht.
Dieses Gas könnte dann wieder für Europa frei werden. Seine Einschätzung: "Die Abhängigkeiten sind hier noch nicht abschließend analysiert." (aba)