Flaschenhals Gasturbinen? "Einen überhitzten Verkäufermarkt wünscht sich niemand"
Geht es nach Wirtschaftsminister Robert Habeck, ist die Kraftwerksstrategie "entscheidungsreif". Präsentiert wurden die Rahmenbedingungen jedoch bis dato noch nicht. Dabei ist die Position führender Kraftwerkbetreiber weithin bekannt. Doch was erwarten sich Turbinenhersteller? Ein Gespräch mit dem Siemens-Energy-Manager und Wasserstoffexperten Erik Zindel. Heute Teil eins:
Herr Zindel, nehmen wir an, ein Unternehmen will in Deutschland ein Wasserstoffkraftwerk neu bauen. Mit wie viel Bauzeit muss es rechnen?
Erik Zindel: Das hängt von der Größe des Kraftwerks ab. Kleinere Anlagen lassen sich etwas schneller realisieren. Bei größeren Kraftwerken kann man aber von mindestens drei Jahren ausgehen, sofern denn alle notwendigen Komponenten verfügbar sind. Dem gehen aber Genehmigungsverfahren voraus, die ebenfalls zwei bis fünf Jahre dauern können.
Wer also auf der grünen Wiese bauen will, sollte mit mindestens fünf bis sechs Jahren Vorlaufzeit rechnen, bevor das erste Elektron ins Netz eingespeist werden kann. Die Vergangenheit lehrt zudem, dass sich Genehmigungsverfahren manchmal auch sehr lange hinziehen können.
Jahrzehnte dürfte die Umrüstung bereits bestehender Kraftwerke auf Wasserstoff hoffentlich nicht dauern, wohl auch nicht drei Jahre. Da dürfte es doch deutlich schneller gehen, oder?
Zindel: Da muss man unterscheiden. Bei neuen, H2-ready Gaskraftwerken ist der Wasserstoffumbau ja bereits vorgedacht, so dass der Umbau nach unserer Einschätzung im Rahmen eines größeren planmäßigen Stillstands vorgenommen werden kann. Prinzipiell lassen sich auch klassische Gaskraftwerke, die nie für den Umstieg auf Wasserstoff geplant waren, umrüsten.
Allerdings müssen wir im Einzelfall prüfen, was sinnvoll ist und was nicht. Arbeitsaufwand und Kostenumfang können sehr unterschiedlich ausfallen. Bei einigen Projekten könnte es sein, dass die Umrüstkosten aufgrund der konkreten lokalen Gegebenheiten exorbitant hoch sind. Dann ist ein Neubau eigentlich sinnvoller. Zudem kommt es darauf an, ob das Kraftwerk vollständig auf Wasserstoff umgerüstet oder Wasserstoff nur zu einem gewissen Prozentsatz beigemischt werden soll. Bei 100 Prozent ist es aufwändiger.
Ein möglicher Flaschenhals ist auch die Verfügbarkeit von Turbinen. Wie ausgelastet sind Sie denn derzeit?
Zindel: Derzeit ist die Nachfrage gut. Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass die Energieversorger bis 2030+ zusätzliche 20 bis 25 Gigawatt neue Gaskraftwerkskapazität für Deutschland gleichzeitig bauen wollen, während auch andere Märkte weiter anziehen, kann das Herausforderungen mit sich bringen.
Höchste Zeit also, Ihre Fertigungskapazitäten zu erweitern.
Zindel: Das ist eine Entscheidung, die am Ende die Unternehmensleitung trifft. Und es braucht eine gewisse Planbarkeit. Investitionen rentieren sich dann, wenn man weiß, dass im Anschluss auch Aufträge kommen.
Das heißt zugespitzt, wir laufen in einen Markt mit wenig Angebot und viel Nachfrage, wenn nach Veröffentlichung der Kraftwerksstrategie plötzlich eine ganze Reihe von Kraftwerkbetreibern Turbinen bestellen wollen. Es dürfte wahrlich schlechtere Situationen für Turbinenhersteller geben, oder?
Zindel: Einen überhitzten Verkäufermarkt wünscht sich natürlich niemand. So etwas kann schnell überdrehen. In der Branche haben wir sehr spezielle Lieferketten, teilweise mit sehr spezialisierten Komponenten, aber auch enorme Materialanforderungen. Wenn dann die weltweite Nachfrage auf diese limitierte Lieferantenbasis trifft, kann es zu Verspätungen und Lieferschwierigkeiten kommen, was die Kosten weiter in die Höhe treibt. Das möchte niemand.
Was fordern Sie von der Bundesregierung, damit dieses Szenario nicht eintritt?
Zindel: Je schneller die ersten Kunden neue Kraftwerke in Auftrag geben, und den Auftragseingang über mehrere Jahre strecken, desto besser. Voraussetzung dafür ist übrigens nicht nur eine fertige Strategie, auf deren Basis neue Kraftwerke ausgeschrieben werden können, sondern langfristig auch ein neues Strommarktdesign.
Das mag ja sein, aber noch einmal nachgehakt: Könnten Sie nicht vorausschauend bereits Kapazitäten erhöhen, selbst wenn derzeit weder eine Kraftwerksstrategie noch ein neues Strommarktdesign noch konkrete Aufträge vorliegen? Die Spatzen pfeifen es doch von den Dächern, dass Wasserstoffkraftwerken die Zukunft gehört.
Zindel: Wir werden nicht auf Verdacht Kapazitäten aufbauen, solange wir nicht wissen, ob diese auch realistisch verkauft werden. Politische Entscheidungen können sich verzögern oder ändern, oder die Finanzierung in Frage gestellt werden. Aus diesem Grunde sind klare langfristige Rahmenbedingungen für die Investition in unserer Industrie so wichtig.
Für wie wichtig halten Sie es eigentlich, dass neue Wasserstoffkraftwerke auch Wärme erzeugen?
Zindel: Ich halte das für sehr wichtig. In der kalten Dunkelflaute werden wir nämlich künftig nicht nur eine Residuallast im Strom-, sondern auch im Wärmebereich zu decken haben. Denn dann wird auch nicht mehr genügend grüner Strom zur Verfügung stehen, um alle Wärmepumpen zu betreiben. Es hat deshalb Sinn, in Wasserstoffkraftwerken nicht nur Strom zu produzieren, sondern auch Wärme auszukoppeln.
Die Wärmeauskopplung spielt aber in den bisher bekannten Plänen zur Kraftwerksstrategie keine Rolle.
Zindel: Leider ist es derzeit so, dass viele von Sektorkopplung reden, aber nicht entsprechend handeln. Dabei sollte allen klar sein, dass wir mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Auslaufen fossiler Energien den Strom- und Wärmesektor nicht mehr getrennt voneinander betrachten können. Hier können Wasserstoffkraftwerke eine wichtige Rolle einnehmen – und nicht nur dort.
Wo denn noch?
Zindel: H2-ready Gaskraftwerke können in der Zukunft auch genutzt werden, um notwendige Netzdienstleistungen abzudecken. Da geht es um sperrig klingende, aber für die Netzstabilität wesentliche Aufgaben wie Blindleistungskompensation, Spannungsregelung, Kurzschlussleistung und Momentanreserve. Große konventionelle Kraftwerke lieferten diese in der Vergangenheit mit ihren fest gekuppelten Synchrongeneratoren praktisch gratis mit.
Künftig aber kommen wir immer mehr in Situationen, in denen erneuerbare Energien in der Hauptrolle sein werden. Dann werden wir vielleicht Stunden im Jahr haben, in denen wir nahezu keine Generatoren mehr am Netz haben. Dann fehlen besagte Netzdienstleistungen. Entweder bauen die Netzbetreiber Anlagen, die diese Aufgaben erbringen. Oder wir rüsten die neuen Wasserstoffkraftwerke so aus, dass sie das ganze Jahr über diese Netzdienstleistungen bereitstellen können.
Bleiben wir bei den Kosten. Wie viel Geld müssen denn Betreiber für neue Wasserstoffkraftwerke einplanen?
Zindel: Insgesamt werden Wasserstoffkraftwerke moderat teurer werden als vergleichbare Erdgaskraftwerke. Einige Komponenten sind etwas aufwändiger und wir benötigen ein paar zusätzliche Nebenanlagen. Wir erwarten aber keine Kostenexplosion, es bleibt also im Rahmen. Deutlich teurer dürfte der Betrieb der Anlage durch die höheren Brennstoffkosten werden.
Weshalb?
Zindel: Wasserstoff kostet auf absehbare Zeit viel mehr als Erdgas. Ohne zusätzliche Anreize über den Energy-only-Markt hinaus – etwa über Vergütung bereitgestellter Leistung in Form eines Kapazitätsmarkts und sogenannter Differenzverträge mit garantiertem Mindestpreis, wird kein Unternehmen in Wasserstoffkraftwerke investieren.
Inwiefern können Wasserstoffturbinen eigentlich wirkungsgradmäßig mit konventionellen Gasturbinen mithalten?
Zindel: Für die Einführungsphase gehen wir davon aus, dass wir zunächst für einen begrenzten Zeitraum noch mit Performance-Einführungswerten arbeiten werden. Wir erwarten aber, dass wir mittelfristig nahezu die gleichen Werte erreichen werden, die wir heute bei Erdgasbetrieb haben.
Das heißt?
Zindel: Modernste kombinierte Gas- und Dampfkraftwerke mit Turbinen unseres Unternehmens mit einer Leistung von bis zu 900 Megawatt haben derzeit einen Wirkungsgrad von mehr als 63 Prozent. Dieses Niveau erwarten wir perspektivisch auch mit unseren Wasserstoffturbinen zu erreichen.
Es wird vielleicht langfristig noch einen kleinen Unterschied geben, denn der Eigenbedarf im Wasserstoffkraftwerk wird etwas höher ausfallen, weil mehr Lüftung benötigt wird. Zudem wird der Wassergehalt im Abgas höher sein. Deshalb muss man die Kamintemperatur um ein paar Grad Celsius anheben. Da geht etwas Energie verloren.
Wie energieträgeroffen werden von Siemens Energy hergestellte Wasserstoffturbinen eigentlich sein? Werden Turbinen, die zu 100 Prozent mit Wasserstoff betrieben werden, auch noch Erdgas verbrennen können?
Zindel: Das ist das Ziel, wir wollen volle Brennstoffflexibilität zwischen Erdgas und Wasserstoff gewährleisten, auch für alle Mischverhältnisse dazwischen.
Das Interview führte Andreas Baumer
Hinweis: Im zweiten Teil des ZfK-Interviews erklärt Siemens-Energy-Manager Zindel, wann die Energiebranche mit ersten marktreifen Wasserstoffturbien des Konzerns rechnen kann und wie hoch schon jetzt die Nachfrage nach wasserstofffähigen Kraftwerken ist. Den Artikel finden Sie hier.