Strom

Ausstiegs-Stadt München erlaubt Atomstrom-Kauf

Das produktionsstärkste AKW der Welt, Isar 2, könnte zweieinhalb Jahre länger laufen. Dies, weil die Eigner, Eon und SWM, Reststrommengen anderer Meiler erwerben wollen. Oder müssen, je nach Lesart.
26.09.2018

Das Kernkraftwerk Isar 1 (rechts) und Isar 2 (links) bei Nacht. Isar 1 wurde am 17. März 2011 abgeschaltet, Isar 2 läuft noch bis spätestens 31. Dezember 2022.

Der Wirtschaftsausschuss des Münchner Stadtrats hat den Stadtwerken München (SWM) grundsätzlich erlaubt, von den Konzernen RWE und Vattenfall Reststrommengen aus den Meilern Krümmel, Brunsbüttel und Mülheim-Kärlich anzunehmen und diese dann im Atomkraftwerk Isar 2 produzieren zu lassen. Dies berichten heute die Münchner und Rosenheimer Regionalzeitungen.

SWM waren die Kernkraft einmal fast los

Damit gibt es eine neue Volte in der an Paradoxa und Sachzwängen reichen Geschichte des deutschen und lokalen Atomausstiegs. Denn bereits vor einem Vierteljahrhundert hatte der Münchner Rat beschlossen, dass die SWM ihre 25 Prozent an Isar 2 veräußern muss – natürlich zu wirtschaftlichen Bedingungen. Im Gegensatz zur medial verbreiteten Meinung, die SWM hätten sich da wie der berühmte Hund zum Jagen tragen lassen müssen, hatte der spätere SWM-Chef Kurt Mühlhäuser in den Nuller-Jahren mit dem 75-Prozent-Eigner und Betriebsführer von Isar 2, Eon, einen solchen Deal bis zur Notarsreife gebracht. Es wäre im Wesentlichen ein Asset Deal gewesen: die Isar-2-Scheibe der SWM gegen die Innkraftwerke. Doch kurzfristig schnappte den SWM der österreichische Verbund mit einem höheren Gebot diese Laufwasserkraftwerke weg. So erzählte es zumindest Mühlhäuser danach Journalisten.

"Ist doch widersprüchlich"

Und jetzt gibt ein Ausschuss desselben Kommunalparlaments 25 Jahre später – unter Rot-Schwarz (damals Rot-Grün) – grünes Licht zum Erwerb weiterer Atomstrommengen, die zu einer längeren Laufzeit von Isar 2 führen könnten – auf Empfehlung des heutigen SWM-Chefs Florian Bieberbach. Nur die Grünen stimmten dagegen: Ihnen wäre kein Preis dafür zu hoch gewesen, dass Isar 2 wie geplant Mitte 2020 vom Netz geht und nicht vielleicht erst Ende 2022, wenn endgültig Schluss sein muss mit der deutschen Atomkraft. "Es ist doch widersprüchlich, wenn man den frühestmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie möchte und dann Reststrommengen dazukauft", kommentierte Fraktionschefin Katrin Habenschaden. Die verbraucherpolitische Sprecherin der bayerischen Landtags-Grünen, Rosi Steinberger, schrieb am Mittwoch von 20 Tonnen mehr Atommüll, der allein durch die SWM-Reststromaufkäufe entstehen würde.

Die Begründung der SWM und der Rathauskoalition

Bieberbach, CSU und SPD betonten denn auch im Ausschuss, dass sie nur zähneknirschend Atomstrom kaufen wollen. Die Begründung lautet wie folgt:

  • Wenn die SWM Reststrommengen links liegen lassen würden, werde aber Eon sehr wohl solche aufkaufen, wenn es für den Konzern lukrativ sei. Dann profitiere nur Eon. Die SWM schauten in die Röhre. Sie müssten sich aber unabhängig von den Reststrommengen im selben Verhältnis wie bisher an den laufenden Kosten des AKW beteiligen.
     
  • Es sei spekulativ, ob Isar 2 dadurch wirklich länger laufe.
     
  • Es geschehe aus staatsbürgerlicher Verantwortung heraus und auf einen Appell des Bundes hin, um den Steuerzahler vor Zusatzbelastungen zu verschonen. Das kommt so: Im ersten Atomausstieg 2002 unter Rot-Grün wurden für jeden einzelnen Meiler Reststrommengen festgelegt, die er maximal noch erzeugen darf. Für Isar 2 wäre Mitte 2020 Schluss gewesen. Atomkraftwerke laufen aus betriebswirtschaftlichen Gründen meistens auf Volllast, es sei denn, sie sind in Revision. Die Betriebserlaubnis für Isar 2 erlischt aber erst Ende 2022.
    Im zweiten Atomausstieg 2011 nach Fukushima kürzte der Bund die Reststrommengen der Meiler Krümmel, Brunsbüttel und Mülheim-Kärlich. Dagegen gingen RWE und Vattenfall erfolgreich gerichtlich vor. Die Kürzungen für diese Meiler bleiben zwar bestehen, aber die Differenzmengen können auf andere Blöcke übertragen werden, bei Wettbewerbern eben gegen Geld. Es handelt sich insgesamt um 7,5 Mrd. kWh. Je mehr davon RWE und Vattenfall zu wirtschaftlichen Preisen übertragen, desto weniger muss der Bund an sie Schadenersatz zahlen. Den Schadenersatz zahlt letztlich der Steuerzahler. Daher der Appell. (geo)