Datengetrieben zur Wärmewende: Kiel ist Vorreiter

Die Landeshauptstadt Kiel hat bei der kommunalen Wärmeplanung Maßstäbe gesetzt.
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Von Vivien Neubert
"Eine Idee, was funktionieren und praktikabel sein könnte, die hatten wir schon", fasst Meike Becker, Projektleiterin der kommunalen Wärmeplanung in der Landeshauptstadt Kiel, das Vorgehen selbstbewusst zusammen. Die Fördestadt hat bereits 2016 als Masterplan-Kommune eine Klimaschutz-Strategie erarbeitet und profitierte bei der kommunalen Wärmeplanung von ihren Erfahrungen. Daher konnte das Projektteam schnell starten, obwohl es für kommunale Wärmeplanungen keine Blaupause und keine detaillierten Vorgaben gibt.
"Wir haben viel Kontinuität im Klimaschutzteam", erläutert Meike Becker. "Dadurch vereinen wir viel Wissen, kennen die Datenquellen und arbeiten vertrauensvoll mit den Ansprechpartnern zusammen – zum Beispiel mit den Stadtwerken, der Stadtverwaltung, der Wohnungswirtschaft oder Schornsteinfegern."
Zu diesem eingespielten Team gehörten auch Wärme-Experten der Averdung Ingenieure und Berater aus Hamburg. Auch hier war das vertrauensvolle Verhältnis der Schlüssel zum Erfolg, denn Mitglieder des Projektteams kannten sich bereits aus vorangegangenen Klimaschutzprojekten. Daher lagen zwischen Auftragsvergabe und Abstimmung sowie Veröffentlichung der Wärmeplanung nur knapp zwölf Monate.
Basis für alles: der Umgang mit Daten
Neben den guten Kontakten und dem gegenseitigen Vertrauen gehöre der Umgang mit Daten zu den entscheidenden Erfolgsfaktoren der kommunalen Wärmeplanung, so Becker. Zunächst einmal gehe es darum, alle benötigten Informationen zu organisieren – etwa Versorgungsdaten von den Stadtwerken, Heizungs- und Brennstoff-Informationen von Schornsteinfegern oder Gebäudealter und Neubauvorhaben von der Stadtverwaltung.
Vor allem aber brauche es eine Strategie für den Umgang mit den Daten und mit Datenlücken. Als Beispiel könne sie die Sanierungsrate des Bundes nennen – diese sei zwar fundiert, treffe auf Kiel aber nicht zu, erläutert die Projektleiterin. Folglich vertraue man mehr auf die eigenen Erfahrungen und die sich daraus ergebenden Fakten. "Wir trauen uns, eigene Schlüsse zu ziehen und Entscheidungen zu treffen."
Erfolgsfaktor Kommunikation
Ein weiterer Erfolgsfaktor sei die Öffentlichkeitsarbeit. Diese Erfahrung hat die Stadt aus dem Klimaschutzprojekt 2016 mitgenommen. "Wir waren damals wie heute alle sehr zufrieden, vor allem mit dem Grad der öffentlichen Teilhabe", betont Meike Becker. In Kiel wurden dazu eine Internetseite mit dem aktuellen Sachstand sowie ein rege genutztes Kontaktformular geschaffen. Dazu gab es einen partizipativen Prozess mit regelmäßigen Beteiligungsforen, in die alle Stakeholder einbezogen waren: Arbeitsgruppen, Ortsbeiräte, das Gebäudemanagement Schleswig-Holstein für die Landesliegenschaften, Vertreter der örtlichen Wohnungswirtschaft, Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger.
"Das war sehr ambitioniert", berichtet Meike Becker. "Vor allem verlangte uns unser schnelles Vorgehen in Kombination mit dem Anspruch, umfangreich zu informieren und zu beteiligen, einiges ab." Zu den größten Herausforderungen zählt sie, dass Bürgerinnen und Bürger, bei denen ein Heizungstausch bevorstehe, schnell wissen wollten, was auf sie zukomme und sich Verbindlichkeit wünschten. Hier galt es, zu erläutern, inwiefern die Wärmeplanung die Entscheidungsfindung unterstützen könne.
Kieler Wärmeplan berücksichtigt Technik und Solidarität
Die Ergebnisse des Austauschs, der vielen Daten und der umfangreichen Analysen können sich im Kieler Wärmeplan sehen lassen. Eine wichtige Grundlage bildet das bereits in großen Teilen Kiels bestehende Fernwärmenetz der Stadtwerke Kiel. Der Kieler Wärmeplan beinhaltet 49 Erweiterungsflächen, die die Stadtwerke Kiel in den kommenden 15 Jahren ausbauen wollen. Parallel gilt es, das Fernwärmenetz Schritt für Schritt bis 2040 zu dekarbonisieren.
Außerdem haben die Stadt und Averdung untersucht, wo Nahwärmeversorgung etabliert werden kann und wo regenerative Wärmequellen zur Verfügung stehen. Darüber hinaus haben die Ingenieure Bereiche ausgewiesen, in denen dezentrale Lösungen wie Wärmepumpen die kosteneffizienteste Versorgungsvariante darstellen.
Eine weitere Kategorie bilden die "Gebiete mit besonderem Beratungsangebot". Hier könnte nach Aussagen des Ingenieurbüros die Aufstellung von Luft-Wärmepumpen aufgrund der engen Bebauung flächendeckend schwierig sein, da gesetzlich geltende Schallschutzanforderungen gegebenenfalls nicht eingehalten werden können. Seit Beginn des Jahres wurden bereits 50 Energieberatungen im Rahmen der Kieler Wärmeplanung in Anspruch genommen.
Philipp Lieberodt von Averdung betont die politisch-ökonomische Ausrichtung der Wärmeplanung: "Viele unserer Auftraggeber wünschen sich, flächendeckende Wärmenetze zu bauen. Hier spielt die Annahme eine Rolle, dass man für eine CO2-neutrale Wärmeversorgung das technisch Mögliche ausreizen müsse. Dabei werden die Möglichkeiten der Wärmepumpen noch unterschätzt. Allerdings erinnern wir daran, dass im Sinne des Gemeinwohls nicht nur eine klimafreundliche, sondern auch eine kosteneffiziente, solidarische Lösung gewählt werden sollte." In Kiel hätten sich alle Beteiligten darauf geeinigt und dem Kieler Wärmeplan zugestimmt.
Gute Vorzeichen für die Umsetzung
Dementsprechend optimistisch sind Meike Becker und Philipp Lieberodt in Bezug auf die Umsetzung der Planung. "Die Kurzlebigkeit von Gesetzen und Förderprogrammen und die damit verbundene Unsicherheit sind derzeit das größte Hemmnis. Die Kommunen brauchen jetzt zehn bis 15 Jahre Planungssicherheit", erklärt Lieberodt. Nachbarländer wie Dänemark machen das besser, so der Physiker, denn dort setze man energiepolitisch langfristigere Leitplanken und sei unabhängiger von wechselnden Regierungen. "Im neuen Koalitionsvertrag stimmen uns die bessere finanzielle Ausstattung des Klima- und Transformationsfonds sowie die erklärte Absicht, die BEW-Förderung auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen, sehr positiv."