Wärme

"Die Debatte über die Finanzierung der Wärmewende steht erst am Anfang"

Kommunen und Stadtwerke müssen ihre komplette Wärmeversorgung umbauen. Wohin die Reise geht, soll die Wärmeplanung zeigen – eine Aufgabe mit vielen Hürden und Fallstricken. Zwei Partner von Forvis Mazars im Interview.
17.09.2024

Hans-Martin Dittmann (l.) ist seit 2019 Partner bei Forvis Mazars. Matthias Haß ist seit 2021 Rechtsanwalt und Partner bei Forvis Mazars am Standort Berlin.

Was sind für Sie aktuell die größten Hürden bei der Wärmewende und was kann die kommunale Wärmeplanung in diesem Zusammenhang leisten?

Matthias Haß: Um die Wärmewende erfolgreich zu gestalten, sind insbesondere technische und infrastrukturelle Hürden zu überwinden; so bedarf es neuer Technologien für eine erfolgreiche Umstellung auf eine nachhaltige Wärmeerzeugung, eines erheblichen Ausbaus der Infrastruktur für erneuerbare Energien sowie der Entwicklung effizienter Speicherlösungen. Eine weitere große Hürde für die kommunale Wärmeplanung ist aktuell aus unserer Sicht der Fachkräftemangel. Denn das Thema setzt technischen Sachverstand voraus, der nicht nur auf kommunaler Ebene nicht in unbegrenzter Menge personell verfügbar ist. Zudem stellen die nicht ganz einfachen Fragen der Organisation ein Hindernis dar. Das Thema erfordert die Einbindung einer Vielzahl von Akteuren, darunter an vorderster Stelle die Stadtwerke mit ihrem Sachverstand. Das ist insbesondere für kleinere Kommunen eine Riesenherausforderung. Als weitere Hürde, die die gesamte kommunale Gemeinschaft betrifft, tritt das Thema Finanzierung hinzu. Die kommunale Wärmewende erfordert erhebliche Investitionen in die Infrastruktur, vor allem zur Ertüchtigung des Stromnetzes, zum Ausbau von Verteilnetzen. Für den Ausbau der Wärmeinfrastruktur sind Kosten von bis zu 1 Billion Euro im Gespräch. Die Diskussion über die Finanzierung der Wärmewende, also der Umsetzung der Wärmeplanung, steht heute erst am Anfang.

Welche Rolle sollen die Stadtwerke im Prozess der kommunalen Wärmeplanung einnehmen? Welche Rolle hat die Kommune?

Hans-Martin Dittmann: Die kommunalen Stadtwerke sind ein unverzichtbarer Partner der Kommune, das ist auch im Wärmeplanungsgesetz (WPG) so abgebildet. Die Stadtwerke haben den Großteil der nötigen Datenbasis für die Bestandsanalyse, damit auch gleichzeitig die Grundlage der Potenzialanalyse. Sie sind Berater und Treiber der Wärmewende, denn sie können am besten einschätzen, was notwendig ist, um die gesteckten Ziele der Wärmewende vor Ort zu erreichen – insbesondere beim Ausbau der erforderlichen Infrastruktur. Die Kommunen sind in den Ländern gesetzliche Aufgabenträger der Wärmeplanung, sie steuern den Prozess gemeinwohlorientiert. Sie sind die zentralen Akteure. Die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Stadtwerken ist dabei teilweise rechtlich eine Gratwanderung, wenn man an das Vergabe- oder Wettbewerbsrecht denkt.

Müssen die Bürger zwingend eingebunden werden? Wenn ja, in welcher Form?

Dittmann: Das Wärmeplanungsgesetz enthält relativ genaue Vorgaben, wie die Öffentlichkeit frühzeitig und fortlaufend an der kommunalen Wärmeplanung zu beteiligen ist. Wesentliche Schritte wie die Bestandsanalyse und die Potenzialanalyse sind im Internet zu veröffentlichen (§ 13 WPG). Eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger erleichtert, wie aus anderen großen Infrastrukturvorhaben bekannt, nicht nur die Akzeptanz, sondern kann auch die Qualität der Planungsgrundlagen verbessern. Allerdings sind die Akzeptanz und der Informationsbedarf in der Bevölkerung eine große Herausforderung, denn vielen Menschen sind die Vorteile und Chancen der Wärmewende nicht bewusst.

Wie die Wärmewende konkret ausgestaltet wird, hat massive Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle von kommunalen Unternehmen. Wer sollte in den Kommunen, wer bei den Stadtwerken den Hut aufhaben? Ist Wärmeplanung „Chefsache“?

Haß: Kommunale Wärmeplanung ist eine originär strategische Aufgabe, die nicht nur die Weichen für das Unternehmen „Stadtwerke“, sondern auch die Weichen für das Unternehmen „Kommune“ in den nächsten Jahrzehnten stellt. Entsprechend der vorherrschenden Ämterstruktur tragen in der Regel das Fachamt für Umwelt/Energie, daneben das Stadtplanungsamt, die Kämmerei, das Bauamt oder das kommunale Immobilienmanagement Verantwortung für das Gelingen der Wärmeplanung. Viele Städte haben die unterschiedlichen Funktionen in einer Stabsstelle gebündelt. Bei den Stadtwerken ist das zumindest in den Grundsatzentscheidungen ein Thema der Geschäftsführung.

Wie ist die „Auslagerung“ der Wärmeplanung an externe Dienstleister zu beurteilen? Insbesondere kleine Kommunen gehen diesen Weg, da sie selbst nicht die nötigen Ressourcen für eine eigene Planung haben.

Haß: Die „Auslagerung“ der Wärmeplanung auf externe Dienstleister ist einerseits aufgrund der knappen, insbesondere Personalressourcen verständlich, andererseits aber nur in Grenzen möglich und wünschbar, denn diese Aufgabe kann nicht komplett ausgelagert werden. Es geht schließlich um das Gemeinwohl. Generell ist die Kommune näher an den Akteuren. Der Gesetzgeber hat den kleineren Kommunen zwar eine längere Planungsfrist (30.6.2028) eingeräumt. Es bleibt aber abzuwarten, ob diese Erleichterung ausreichend ist.

Bei der Wärmeplanung wird mit vielen Daten unterschiedlichster Herkunft gearbeitet. Wie wichtig ist das Thema Datenschutz und -sicherheit?

Dittmann: Das Thema Datenschutz ist bei der Wärmeplanung fundamental. Das WPG enthält im 3. Abschnitt (§§ 10-12) eigene datenschutzrechtliche Regelungen. Das ist auch notwendig, weil bei der Kommunalen Wärmeplanung eine große Menge an Daten zum Energieverbrauch oder zu privaten Wohngebäuden verarbeitet werden muss. Der Gesetzentwurf versucht, mit dem Thema schonend umzugehen durch Bündelung und Anonymisierung von Daten. Es wird in der Praxis sehr darauf ankommen, dass die Kommunen die vorgegebenen Datenschutzmaßnahmen beachten, um den Schutz der personenbezogenen Daten sicherzustellen.

Der Einsatz von Wasserstoff in der Wärmeplanung sorgt für viele Fragezeichen – auch weil unklar ist, ob dieser überhaupt in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen wird. Machen Kommunen bzw. Stadtwerke sich angreifbar, wenn sie nun auf eine Wärmeoption setzen, die sich später als nicht umsetzbar erweist? Oder anders gefragt: Haben sie das Recht, Wärmeoptionen kategorisch auszuschließen, obwohl etwa viele Bürger oder Unternehmen diese Option gerne nutzen würden?

Haß: In § 14 ist die Prüfung, ob sich ein Gebiet oder Teilgebiet für ein Wärmenetz oder alternativ Wasserstoffnetz eignet, vorgesehen. Auch wenn eine langfristige verbindliche Prognose über den Einsatz von Wasserstoff aus heutiger Sicht schwierig bis unmöglich ist: Die Nutzung von grünem Wasserstoff dürfte ausgehend von der heutigen H2-Verfügbarkeit und dem heutigen Preisniveau kurzfristig wohl noch keine tragende Rolle in der dezentralen Wärmeversorgung spielen. Davon abgesehen dürfte es auch angesichts der langen Planungs- und Wirkungszeiträume strategisch vernünftig für die Kommunen sein, mehrgleisig zu fahren. Die Kommunen sollten Risiken des Wärmemarktes so weit wie möglich diversifizieren und nicht nur auf eine einzige Wärmeoption setzen. Zumindest sollten sie sich einen „Plan B“ offenhalten, um auf Entwicklungen im Energiemarkt in den kommenden Jahrzehnten möglichst flexibel reagieren zu können.

Wie weit sollte man sich generell bei der Wärmeplanung aus dem Fenster lehnen? Resultieren aus der Planung einklagbare Rechte und Pflichten etwa für Netzbetreiber?

Dittmann: In § 23 WPG ist ausdrücklich geregelt, dass der Wärmeplan keine rechtliche Außenwirkung hat und insofern auch keine einklagbaren Rechte und Pflichten begründet. Insofern sind die Rechtsschutzmöglichkeiten für die Betreiber von Wärme- oder Gasverteilernetzen stark eingeschränkt; diese können sich aber durch Stellungnahmen in das Verfahren einbringen und haben nach § 18 Abs. 4 WPG außerdem die Möglichkeit, Vorschläge für die Versorgung eines beplanten Teilgebietes mittels eines Wärmenetzes oder Wasserstoffnetzes vorzulegen.

Soweit das WPG darüber hinaus auch die Entscheidung über die Ausweisung von Gebieten zum Bau von Wärmenetzen oder als Wasserstoffnetzausbaugebiet auf der Grundlage der kommunalen Wärmeplanung regelt, entfaltet diese Maßnahme hingegen durchaus Außenwirkung. Denn für das entsprechende Gebiet greifen dann die Anforderungen für Eigentümer bestehender Gebäude (§ 71 Abs. 8 Satz 3 GEG).

Ein Thema, das bei der Wärmeplanung immer wieder aufploppt, ist das eines „Anschlusszwangs“ bei der Fernwärme. Würden Sie empfehlen, beide Themen zusammenzudenken bzw. gemeinsam anzugehen? Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit der Erschließung mit Fernwärme liebäugeln einige Kommunen ja mit einem solchen Ansatz.

Haß: Das Thema Anschluss- und Benutzungszwang bei der Fernwärme, sei es über das Kommunalrecht der Länder für den Bestand oder als faktischer Zwang über die städtebaulichen Verträge im Neubau, entspringt in der kommunalen Praxis meist aus wirtschaftlichen Überlegungen. Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) erlaubt den Einsatz dieses Instruments auch zum Zweck des Klima- und Ressourcenschutzes (§ 109 GEG). Allerdings liegt hier ein erhebliches Spannungsfeld zur Eigentumsfreiheit des Grundstückseigentümers, insbesondere unter den Gesichtspunkten der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit. Hat der Bestandseigentümer zum Beispiel eine Wärmepumpe eingebaut, dürfte der Nachweis, dass der Anschluss an die Fernwärme für den Klimaschutz unbedingt erforderlich ist, kaum noch gelingen. Nichtsdestotrotz ist das Thema des Benutzungszwangs nicht förderlich für die Wärmewende, da die Bestandseigentümer nun verständlicherweise abwarten.

Sollten Kommunen und Stadtwerke bei der Wärmeplanung voneinander lernen? Kann man hier mit „Blaupausen“ arbeiten?

Haß: Das Voneinanderlernen im Sinne von Best Practice kann beim Thema Wärmeplanung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Kommunen und Stadtwerke in Deutschland sind mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs, und viele insbesondere kleinere Kommunen stehen noch am Anfang oder haben die berühmte Angst vor dem weißen Blatt. Andere Kommunen, durchaus auch kleinere, verfügen hingegen bereits über eine ausgefeilte Wärmeplanung. Hier ist ein Austausch der Kommunen und Stadtwerke untereinander immens wichtig.

Was würden Sie Kommunen und Stadtwerken abschließend raten? Was sind die drei wichtigsten Erfolgsfaktoren für eine gelungene Wärmeplanung?

Dittmann: Die drei wichtigsten Erfolgsfaktoren für eine gelungene Wärmeplanung sind aus unserer Sicht das Zusammenwirken der Kommune mit allen wesentlichen Akteuren vor Ort, eine Diversifizierung von Risiken langfristiger Planung (keine Beschränkung auf eine Energiequelle) sowie eine gelungene Einbindung der Bürgerinnen und Bürger.

Die Fragen stellte Ariane Mohl.

Dr. Hans-Martin Dittmann ist seit 2019 Partner bei Forvis Mazars. Er ist seit 30 Jahren als Rechtsanwalt im öffentlichen Wirtschaftsrecht tätig, leitet den Public&Social Sector bei Forvis Mazars sowie die Rechtsberatung in den Bereichen Public Services/Energy am Standort Berlin.

Dr. Matthias Haß ist seit 2021 Rechtsanwalt und Partner bei Forvis Mazars am Standort Berlin. Er war zuvor 20 Jahre in leitender Funktion im Bundesfinanzministerium sowie im Sächsischen Staatministerium der Finanzen tätig und berät insbesondere bei der Umsetzung von komplexen Beschaffungs- und Infrastrukturprojekten im öffentlichen Sektor.