Wärme

Wärme durch Video-Streaming

Allein in Stockholm speisen rund 30 Rechenzentren ihre Nahwärme in das dortige Fernwärmenetz. Deutschland hinkt hier hinterher, obwohl das Potenzial laut der Beratungsgesellschaft Drees & Sommer riesig sei.
18.05.2020

Auf dem IN-Campus in Ingolstadt will Audi künftig die Abwärme des Rechenzentrums als Heizenergie nutzen.

Nicht nur der gestiegene Serienkonsum auf Netflix, Amazon Prime und Co. stellt die Kapazitäten der Rechenzentren auf eine harte Probe. Auch unzählige E-Mails, Social Media Posts, Videokonferenzen oder Kryptowährungen wie Bitcoin tragen zu einem gigantischen Datenverkehr bei, sagt das auf Bau- und Immobilien spezialisierte Beratungsunternehmen Drees & Sommer mit Sitz in Stuttgart. Die Folge sei ein extrem hoher Energieverbrauch. „Konzepte für umweltfreundliche Rechenzentren müssen auch in Deutschland stärker Einzug halten“, fordert Dederichs, Head of ICT bein Drees & Sommer mit Sitz in Stuttgart.

Gemäß einer kürzlich veröffentlichten Bitkom-Studie beträgt global das CO2-Äquivalent von Rechenzentren und Kommunikationsnetzen etwa 200 bis 250 Megatonnen. „Unser digitaler Alltag, beruflich wie privat, braucht Unmengen an Strom, verursacht CO2 und wirkt sich erheblich auf das Klima aus. Eine Stunde auf Netflix zu streamen, benötigt genau so viel Energie, wie etwa sieben Kilometer mit dem Pkw durch die Stadt zu fahren“, erklärt Dederichs.

Verbrauch entspricht Berlins Strombedarf

Schätzungen zufolge werden Data Center bis zum Jahr 2025 bis zu einem Fünftel des globalen Stromverbrauchs ausmachen. Wo genau er derzeit weltweit liegt, ist aufgrund fehlender Angaben vieler Betreiber unklar. Die Bandbreite reicht von 200 bis 500 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr. Laut Berechnungen des Borderstep Instituts entfielen auf die geschätzt mehr als 55.000 deutsche Rechenzentren, davon viele im Eigenbetrieb der Unternehmen oder Banken, etwa 13 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr – dem gesamten jährlichen Strombedarf einer Großstadt wie Berlin.

Luft nach oben bei der Abwärme

Bei Drees & Sommer begleitet Dederichs mit seinem ICT-Team derzeit die Konzeption, den Bau und Betrieb zahlreicher Rechenzentren. Bei letzterem bieten ihm zufolge nicht nur erneuerbare Energien viel Potential in Sachen Nachhaltigkeit. Luft nach oben sieht er vor allem auch bei der Nutzung der Abwärme.

Anders als in Schweden würden in Deutschland noch zu wenig Rechenzentren existieren, die an das Nah- und Fernwärmenetze angeschlossen seien. In Stockholm gibt es bereits rund 30 Rechenzentren, die ihre Abwärme in das Stockholmer Fernwärmenetz einspeisen. Bis 2035 sollen sie sogar etwa zehn Prozent des Heizbedarfs von Stockholm decken.

Abnehmer im Sommer wie Winter finden

„Über das gesamte Jahr gibt ein Rechenzentrum Abwärme ab. Ideal sind daher benachbarte Abnehmer, die sie permanent und nicht nur im Winter zum Heizen benötigen. Das gilt für Schwimmbäder, Wäschereien oder für landwirtschaftliche Vorhaben wie Urban Farming. Das muss eine Stadt oder Kommune frühzeitig bei Genehmigungen berücksichtigen und kluge Quartiersplanungen fördern“, sagt Andreas Ahrens, Rechenzentrumsexperte bei Drees & Sommer.

Laut Ahrens reicht bei den meisten Data Center die Temperatur der Abwärme mit bis zu 30 Grad Celsius für direkte Heizzwecke zumeist nicht aus. Hier könne es sich lohnen, über den Einbau sogenannter Niedertemperaturheizungen bei angrenzenden Büro- und Wohngebäuden nachzudenken. Alternativ könnten die Rechenzentrumsbetreiber mittels Wärmepumpen die Temperatur auch erhöhen. „Das steigert jedoch die ohnehin schon erheblichen Herstellungs- und Betriebskosten der Betreiber. Die Kosten für die Temperaturerhöhung müssen daher unter dem Verkaufspreis für die Wärme liegen, damit es sich für die Betreiber rechnet“, sagt Ahrens.

Anreize für Umweltfreundlichkeit schaffen

Letzteres erschweren die hohen Strompreise in Deutschland, woran das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) mit der gleichnamigen Umlage einen großen Anteil hat. Drees & Sommer-Partner Klaus Dederichs befürwortet, Rechenzentren von der EEG-Umlage zu befreien, bei denen die Abwärme genutzt wird: „Die Data Center erfüllen dann ja das EEG-Ziel, nämlich umweltfreundliche Energien zu fördern“.

Insbesondere Skandinavien punktet bei Rechenzentren-Betreibern mit niedrigen Strompreisen, geringen Kosten für die Kühlung und teilweise auch mit Steuervergünstigungen. Im vergangenen Jahr stoppte Amsterdam allerdings den Bau von Rechenzentren. Für sie sollen künftig strengere Umweltauflagen gelten. Klimaschutz bei Data Centers will auch die Europäische Kommission vorantreiben. Im Strategiepapier „Shaping Europe´s Digital Future“ skizziert sie einen Fahrplan für die Klimaneutralität der Rechenzentren bis 2030. Für den Masterplan sollen mindestens 100 Milliarden Euro mobilisiert werden.

Null-Energie-Konzept bei Audi

Aktuell verfolgt Audi im Technologiepark IN-Campus auf dem Gelände einer ehemaligen Erdölraffinerie im Osten von Ingolstadt setzt Audi Maßstäbeeinen Null-Energie-Campus. Das Rechenzentrum soll im Laufe des Jahres 2022 in den Live-Betrieb gehen und die Abwärme der rund 8.000 Server als Heizenergie genutzt werden. (sg)