Pionierarbeit bei der Finanzierung der Wärmenetze: Das Konstanzer Modell

Neue Wege in der Finanzierung: Die Stadtwerke Konstanz – im Bild die Geschäftsführer Norbert Reuter (links) und Gordon Appel – haben mit ihrer Projektfinanzierung des ersten Wärmenetzes Pionierarbeit geleistet.
Bild: © Stadtwerke Konstanz
Von Hans-Peter Hoeren
Die Stadtwerke Konstanz wollen in den nächsten Jahren rund 550 Millionen Euro in die Wärmewende investieren. Im Mittelpunkt steht dabei der Bau von sechs neuen Wärmenetzen. Die Stadt Konstanz will bis 2035 klimaneutral werden. Da der Kommunalversorger dieses Ziel finanziell nicht allein aus eigener Kraft und über traditionelle Bankdarlehen stemmen kann, sollen die Wärmenetze gemeinsam mit Partnern umgesetzt werden.
Die jeweiligen Partner bringen dabei Eigenkapital und Know-how mit ein. Mit Iqony hat man bereits einen Investor für das erste Wärmenetz gefunden. Die Ausgestaltung dieser Kooperationen zwischen einem privatwirtschaftlichen und einem kommunalen Unternehmen ist für die Stadtwerke Konstanz Neuland. Im Gespräch mit der ZfK erklärt Gordon Appel, der für die Energie- und Wärmewende zuständige Geschäftsführer der Stadtwerke Konstanz, wie man vorgegangen ist, berichtet über die Lessons Learned und gibt einen Ausblick.
Welche Kriterien waren entscheidend bei der Auswahl des Partners?
In einem ersten Schritt haben die Stadtwerke Konstanz intern die Prämissen für die Ausgestaltung einer Projektpartnerschaft festgelegt.
Auf dieser Basis hat man über eine Vielzahl an Gesprächen drei Unternehmen identifiziert, die infrage kommen würden.
"Auf dieser Grundlage haben wir eine Bewertungsmatrix erstellt und die drei Unternehmen eingeladen, an einer Markterkundung teilzunehmen", erklärt Gordon Appel. Das Ganze erfolgte inhouse, Berater waren nicht involviert, lediglich zusätzliche juristische Expertise wurde bei der Ausformulierung der Verträge hinzugezogen.
Wichtige weitere Auswahlkriterien in der Matrix:
- Beteiligung auf Augenhöhe/jeder Partner hält 50 Prozent der Anteile an einer neuen Projektgesellschaft
- Renditeerwartung des Kooperationspartners
- Unternehmenssitz der Projektgesellschaft sollte Konstanz sein
- Erfahrungen beim Betrieb von Wärmenetzen und Großwärmepumpen sowie mit kommunalen Partnerschaften
"Der Anbieter mit den größten Übereinstimmungen bei den Kriterien wurde von uns als favorisierter Kooperationspartner ausgewählt", sagt Gordon Appel.
Die Stadtwerke Konstanz wollen in den kommenden Jahren sechs neue Wärmenetze bauen.
Grafik: © Stadtwerke Konstanz
Was war den Stadtwerken Konstanz ganz besonders wichtig?
Die meisten Investoren wünschen sich eine Vollkonsolidierung der gemeinsamen Projektgesellschaft in Ihrer Bilanz. Dafür müssen Sie im Falle der Uneinigkeit letztlich die finale Entscheidung treffen können (Beherrschung). Das war offenbar auch bei den drei Unternehmen der Fall, die sich in der Endauswahl befanden. Das geht mit einer Beteiligung von über 50 Prozent am einfachsten. "In so einer Konstellation ist es aber immer schwieriger, die Zustimmung der kommunalen Gremien zu bekommen, weil man dann als Juniorpartner dasteht“, sagt Gordon Appel.
Deshalb habe man auf einer Anteilsverteilung von jeweils 50 Prozent und einer Partnerschaft auf Augenhöhe beharrt. "Uns war wichtig, dass sich bei den entscheidenden Fragen beide Partner einig sein müssen", so Appel.
"Nur in einem wesentlichen Fall hat der Investor
bei Uneinigkeit zwischen den Partnern das letzte Wort."
Wo genau war der Interessensausgleich am herausforderndsten?
Eine paritätische Verteilung der Gesellschaftsanteile (50:50) mit dem Erfordernis der Vollkonsolidierung beim Investor ist nicht unbedingt geübte Praxis. Wunsch der Stadtwerke Konstanz war es, so wenig wie möglich Sachverhalte zu vereinbaren die einer Beherrschung unterliegen und dennoch den Wirtschaftsprüfer davon zu überzeugen, dass eine Beherrschung oder beherrschende Stellung der Iqony besteht.
Um hier einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessen zu erzielen, haben sich die Stadtwerke Konstanz und die Iqony auf eine Art "milde Form der Beherrschung" verständigt. Konkret bedeutet das: Nur in einem wesentlichen Fall hat der Investor bei Uneinigkeit zwischen den Partnern das letzte Wort: Bei der Renditeerwartung oder genauer der Mindestrendite der gemeinsamen Projektgesellschaft.
"Wenn man beispielsweise im Rahmen der Wirtschaftsplanung für das kommende Jahr feststellt, dass die anvisierte Mindestrendite verfehlt wird und man ist beispielsweise uneinig, ob man zusätzlich in Maßnahmen zur Effizienzsteigerung einer Großwärmepumpe investieren will, um die Ertragsperspektiven abzusichern, kann das in dem Fall letztlich der Investor allein entscheiden." In quasi allen anderen Fällen müssen die Partner einstimmig entscheiden. Diese Regelung haben das Projekt für die Gremien deutlich zustimmungsfähiger gemacht. Letztlich sei es ja auch im Interesse der Stadtwerke, dass die geplante Mindestrendite erreicht wird.
Seethermie: Beim ersten Wärmenetz nutzen die Stadtwerke Konstanz vor allem die Umweltwärme aus dem Bodensee.
Grafik: © Stadtwerke Konstanz
Wie hoch sind die Kapitalkosten und wie sieht der Business-Case konkret aus?
"Die Erwartung des Investors und der Stadtwerke, an die Eigen- und die Gesamtkapitalrendite des Projekts war für uns ein ganz entscheidendes Kriterium“, sagt Gordon Appel. Hintergrund ist, dass die Renditeerwartung einen entscheidenden Einfluss auf den Wärmepreis hat. Will man so viele Bürger*innen wie möglich von einem Anschluss an das Wärmenetz überzeugen, sind sozialverträgliche Wärmepreise erforderlich.
Man habe das in der Bewertungsmatrix mit 35 Prozent gewichtet. Renditen im zweistelligen Bereich seien für den Kommunalversorger mit Blick auf die Kalkulation tragfähiger Endkundenpreise nicht akzeptabel gewesen. Gleichzeitig müssten aber auch die hohen Vorlaufkosten in der Projektentwicklung und das Risiko abgebildet werden. Laut ZfK-Informationen gelten je nach Business-Case Eigenkapitalrenditen zwischen sechs und neun Prozent als tragbar.
Nach rund 15 Jahren soll sich die Investition amortisiert haben.
Wie lange dauerte es von der Auswahl des Partners bis zum tragfähigen Business-Case?
An die Auswahl des favorisierten Kooperationspartners schlossen sich unter anderem technische Optimierungen und Kalkulationen auf Basis der vorliegenden Machbarkeitsstudie, die Aushandlung der Verträge und die Entwicklung eines für beide Seiten tragfähigen Business-Cases sowie die Einholung der notwendigen Gremienbeschlüsse an.
Das hat laut Gordon Appel rund fünf Monate gedauert. In den nächsten Monaten müssen noch die Wärmepreise finalisiert und die Verträge mit den Wärmekunden geschlossen werden. Zu Beginn des kommenden Jahres soll die Projektgesellschaft gegründet sein.
"Aktuell ist die Wärme aus einem erneuerbaren Wärmenetz noch teurer als Wärme aus fossilen Energien. Die Preise werden sich mit den ab 2026 steigenden CO2-Preisen und den steigenden Netzentgelten im Erdgasnetz sukzessive angleichen."
Wie konkurrenzfähig werden die Wärmepreise im Vergleich zu einer fossilen Versorgung sein?
Die Vollkosten für Wärme aus einem erneuerbaren Wärmenetz sind auch mit der Bundesfördereung für effiziente Wärmenetze (BEW-Förderung) aktuell noch teurer als Wärme aus fossilen Energiequellen wie Gas oder Öl. Die Vollkosten (Verbrauchs-, Betriebs- und Kapitalkosten) für Wärme aus fossilen Energiequellen liegen derzeit bei rund 15-20 Cent pro Kilowattstunde. Bei erneuerbarer Wärme liegt die Preisspanne eher zwischen 20 und 25 Cent.
Lege man beispielsweise als Anfangspreis für die Wärme aus dem Wärmenetz 22 Cent zugrunde, dann werde sich das Preisniveau mit den ab 2026 steigenden CO2-Preisen sowie absehbar steigenden Netznutzungsendgelten im Erdgasnetz über die nächsten Jahre angleichen, prognostiziert Appel. Zudem muss laut Gebäudeenergiegesetz ab 2029 der Erneuerbaren-Anteil im Bestand bei 15 Prozent liegen (in den Folgejahren steigend), wenn die fossile Heizung nach dem 01.01.2024 eingebaut wurde und beim Ausfall einer älteren Heizung ab Mitte 2026 beziehungsweise 2028 sowie im Neubau bereits jetzt bei 65 Prozent. Das bedeutet im Bestand, zum Beispiel durch den Bezug von Biomethan, zusätzliche Mehrkosten.
Die Ermittlung der Preise für die Versorgung aus erneuerbaren Wärmenetzen ist dabei um einiges umfassender als im fossilen Fernwärmebereich. "Der Strom mit seiner Vielzahl an Umlagen, die Erschließung der Wärmequelle oder die Effizienz fließen bei der Nutzung von Großwärmepumpen ein oder auch Erdgas für die Spitzenlastabdeckung", so Appel. Bei der Fernwärme bildet die Primärenergie die Kalkulationsgrundlage, beim ersten Wärmenetz in Konstanz nutzt man vor allem die Umweltwärme aus dem Bodensee. Das mache den Business-Case viel komplexer.
Was sind die wichtigsten Lessons Learned und Erfolgsfaktoren aus Sicht der Stadtwerke Konstanz?
- Umfassende Share- und Stakeholder-Kommunikation: Die kommunalen Gremien wurden regelmäßig in kürzeren Zeitintervallen über den Stand des Projekts informiert und von Anfang an eng eingebunden.
- Komplexität reduzieren: Statt einer langwierigen, europäischen Ausschreibung des Projekts mit einem Leistungsverzeichnis wurde ein Markterkundungsverfahren vorgenommen. Die geplante Projektgesellschaft wurde dann Anfang Juni im Rahmen einer sogenannten "Ex-ante-Transparenzbekanntmachung“ im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Die Widerspruchsfrist ist mittlerweile abgelaufen.
- Kompetenzbasierter Ansatz: Aufgabenteilung über Dienstleistungsverträge fixiert (Stadtwerke beispielsweise für Abrechnung, Kundenservice, Vertrieb zuständig; Iqony für technische Projektentwicklung)
"Wir werden in der Finanzierung der Energie- und Wärmewende
künftig ganz unterschiedlich große Puzzlesteine benötigen."



