ZfK WärmewendeNachrichten

Was für ein kaltes Nahwärmenetz spricht

Die Wärmewende entscheidet sich vor allem im Gebäudesektor – und hier spielen Nahwärmenetze eine zentrale Rolle. Besonders kalte Nahwärmenetze eröffnen neue Möglichkeiten. Ein Gastkommentar.
09.09.2025

Der Projektentwickler Bonava hat bei der Planung der Wärmeversorgung eines neuen Wohnquartiers in Germersheim eine Machbarkeitsstudie genutzt.


Gastbeitrag von
Jan Fleischer
Abteilungsleiter Energieeffizienz bei BFE Institut für Energie und Umwelt
Daniel Jung
Geschäftsführer MVV Regioplan


Kalt oder warm?

Klassischerweise werden Nahwärmenetze in Wohn- oder Gewerbequartieren mit Temperaturen zwischen 75 und 90 °C im Vorlauf betrieben. Die Temperatur wird ganzjährig konstant gehalten, damit auch die Brauchwarmwasserbereitung direkt gespeist werden kann.

Dieses hohe Temperaturniveau sorgt ganzjährig für Verteilungsverluste von rund 10 bis 20 Prozent. Bei einem bestehenden, Erdgas-betriebenen BHKW und Kessel kann der „Brennwerteffekt“ aufgrund der hohen Rücklauftemperaturen üblicherweise nicht oder nur anteilig genutzt werden. Dadurch steht die latente Wärme, weitere ca. 10 Prozent, nicht für eine Verbesserung des Gesamtwirkungsgrads des Nahwärmenetzes bei klassischem Betrieb zur Verfügung.

Eine Alternative bietet ein kaltes Nahwärmenetz: Das Temperaturniveau ist hier geringer und wird nach Bedarf dezentral, beispielsweise, mit einer Wärmepumpe auf ein höheres Niveau gehoben. Je niedriger die Netztemperatur ist, desto geringer sind die Netzverluste – also desto höher die Effizienz. Ebenfalls geringer sind die Installationskosten der Nahwärmeleitung, weil bei Netztemperaturen zwischen 5 und 15 °C auf die Dämmung verzichtet werden kann.

Auf diesem Temperaturniveau kann vorhandene Abwärme mit sehr niedrigem Temperaturniveau, etwa aus einem Kühlturm oder Rückkühler eines Gewerbequartiers oder Rechenzentrums, sehr gut aufgenommen werden und wird nicht verschwendet.

Welche Temperatur für das jeweilige Nahwärmenetz die optimale Balance zwischen hoher Effizienz und Installationskosten bietet, muss projektspezifisch bestimmt werden. Eine Machbarkeitsstudie umfasst alle relevanten Faktoren, stellt die Alternativen mit technischen und finanziellen Aspekten gegenüber und liefert damit eine solide Basis für die weitere Planung und Umsetzung, auch im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung. Machbarkeitsstudien für Nahwärmenetze werden ebenfalls durch das BEW gefördert.

Praxisbeispiel: Wohnquartier in Germersheim

Der Projektentwickler Bonava hat bei der Planung der Wärmeversorgung eines neuen Wohnquartiers in Germersheim eine Machbarkeitsstudie genutzt. Das Ergebnis: Ein kaltes Nahwärmenetz, für das die Abwärme aus dem geklärten Abwasser der naheliegenden Kläranlage genutzt wird. Sie wird auf dem vorhandenen Temperaturniveau des Abwassers in die Gebäude geführt und dort dezentral durch Wärmepumpen auf das benötigte Niveau angehoben. Somit konnten die Erdleitungen kostengünstig ohne Dämmung verlegt werden, trotzdem entstehen praktisch keine wärmeseitigen Netzverluste.

Bestehende Nahwärmenetze klimafreundlich machen

Auch vorhandene Nahwärmenetze lassen sich von einer zentralen Wärmeerzeugung, zum Beispiel mittels BHKW und Kessel, auf eine klimafreundliche Lösung umstellen. Als Wärmequellen für ein kaltes Nahwärmenetz kommen beispielsweise Geothermie, Abwasser, Flusswasser oder gewerbliche Abwärme infrage, der individuelle Temperaturbedarf lässt sich dezentral effizient per Wärmepumpe erzeugen.

Wird ein solches Nahwärmenetz mit PV und/oder Solarthermie sowie gegebenenfalls einzelnen baulichen Maßnahmen und einer dezentralen Speicherung von elektrischer und thermischer Energie kombiniert, lässt sich auch im Bestand eine vollständige Dekarbonisierung der Wärmeversorgung erreichen. Das ist nicht nur ein wesentlicher Beitrag zur Erreichung der Klimaziele, sondern auch für eine sichere, unabhängige und langfristig kosteneffiziente Wärmeversorgung.