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Studie: In Bundesministerien fehlt Fachwissen und Praxiserfahrung

Wird der Regierungsapparat in Berlin von Führungskräften ohne ausreichende ökonomische Kompetenz und mit mangelndem Bezug zur wirtschaftlichen Realität beherrscht? Eine neue Studie kommt hier zu klaren Ergebnissen – und stellt zudem eine regionale Unwucht bei der Herkunft der Leitungsebene fest.
11.04.2024

Zu wenig Praxisnähe? In vielen Ministerien – hier das Bundeswirtschaftsministerium in Berlin-Mitte – dominieren Fachleute aus Politik- und Rechtswissenschaften die Leitungsebene.

Die deutschen Bundesministerien sind einer Studie zufolge auf Leitungsebene von Expertinnen und Experten mit politikwissenschaftlichem und juristischem Hintergrund dominiert. Nur knapp ein Viertel verfüge über ein abgeschlossenes Studium im Bereich der Wirtschaftswissenschaften oder der MINT-Fächer, heißt es in der Studie „Top-Verwaltung im Fokus“ der Unternehmensberatung Horváth. Zudem hätten nur 42 Prozent vor ihrer Tätigkeit in einem Bundesministerium Berufserfahrung in der Privatwirtschaft gesammelt.

Von allen Studiengängen sind demnach Politikwissenschaftler mit einem Anteil von 28,4 Prozent am häufigsten in den Bundesministerien vertreten. Dahinter folgten mit 26,1 Prozent die Juristen. Erst auf dem dritten Platz lägen Ökonomen mit 19,3 Prozent. Die sogenannten MINT-Fächer belegen laut Studie mit 4,5 Prozent den abgeschlagenen sechsten Platz hinter den Verwaltungs- und Geisteswissenschaften (jeweils 5,7 Prozent).

Zu wenig Erfahrungen in der Privatwirtschaft

Auch an praktischen Erfahrungen in der Privatwirtschaft mangele es in den Ministerien. Das gelte vor allem für verbeamtete Staatssekretäre. Nur 37,1 Prozent von ihnen hätten zuvor in einem Unternehmen der freien Wirtschaft gearbeitet, auf Bundesministerien-Ebene seien es immerhin 45,8 Prozent, damit aber auch weniger als die Hälfte.  

Für die Studie hatte Horváth nach eigenen Angaben im Dezember 2023 die Lebensläufe von 88 Bundesministern und Staatssekretären der 15 Bundesministerien systematisch analysiert.

Potenziale bei Zukunftsthemen bleiben liegen

„Der deutlich dominierende Anteil an Fachleuten aus Politik- und Rechtswissenschaften birgt das Risiko, dass zu wenige praxisnahe und funktionierende Anreize oder Steuerungssysteme für die Wirtschaft entstehen“, wird Simon Arne Manner, Public-Experte und Partner bei Horváth in einer Mitteilung vom Donnerstag zitiert. „Dies führt dazu, dass technologische Innovationspotenziale bei Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz, Energiewende oder Dekarbonisierung nicht ausgeschöpft werden. Stattdessen steht die Regulierung rechtlicher Details im Vordergrund und die Bürokratie nimmt weiter zu.“
 
Ein Vergleich der Lebensläufe und Hintergründe von Verantwortlichen in Ministerien mit denen von Führungskräften in deutschen Konzernen mache deutlich: „Es existieren zwei Welten mit immer weniger Berührungspunkten“, so Manner.

„Interdisziplinäre Formate für persönlichen Austausch gibt es immer weniger, stattdessen finden Diskussionen, oft kompromisslos, immer öfter in Medien und sozialen Netzwerken statt. Wir müssen hier dringend Brücken bauen, um die notwendigen Transformationen, von Energiewende bis hin zu Automation und künstlicher Intelligenz, gemeinsam zu meistern“, resümiert der Experte.

Bayern und Ostdeutschland unterrepräsentiert

Die Studie kommt zudem zu dem Schluss, dass einige Bundesländer in den Ministerien unterrepräsentiert sind. Dies gelte vor allem für Bayern. Obwohl das Bundesland 15,8 Prozent der gesamtdeutschen Bevölkerung ausmache, stammten nur 6,8 Prozent der Minister und Ministerinnen bzw. Staatsekretäre und Staatssekretärinnen aktuell von dort.

Ein ähnliches Bild ergebe sich mit Blick auf Ostdeutschland. 14,9 Prozent der deutschen Bevölkerung lebten im Osten, in der Top-Verwaltung kämen jedoch nur acht Prozent von dort. Im Gegensatz dazu stelle Nordrhein-Westfalen 25 Prozent der Minister- und Staatssekretärsposten, aber lediglich 21,5 Prozent der Bevölkerung. (hil)