ÖPNV

Viel Skepsis nach Vorstoß zum Gratis-ÖPNV

Der überraschende Vorschlag, mit kostenlosem Nahverkehr auf Feinstaub und Stickoxide zu reagieren, stößt bei Kommunen auf Zurückhaltung.
14.02.2018

Die Bundesregierung hält einen zeitweiligen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr in Städten zugunsten besserer Luft für denkbar. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Mittwoch in Berlin, die Bundesregierung wolle zusammen mit Ländern und Kommunen über Modelle für einen temporären kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nachdenken. "Wir sind bereit, Schritte zu machen", sagte Seibert am Mittwoch in Berlin. Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums sagte, die Bundesregierung wolle mit dem Vorschlag über einen möglichen kostenlosen ÖPNV eine Diskussion anstoßen. Die Bundesregierung sei bereit, den "Gestaltungsspielraum" der Kommunen zu erweitern. Eine Förderung sei denkbar, falls es für eine Kommune sinnvoll erscheine, ein vorübergehendes Gratis-Angebot beim ÖPNV zu machen. Dann werde die Bundesregierung schauen, was machbar sei. Aussagen zu einer möglichen Finanzierung durch den Bund machte der Sprecher nicht.

Bei Experten und vor allem bei Kommunalpolitikern überwiegt die Skepsis. Wenn es für kostenlosen Nahverkehr keine ausreichende Kapazität gebe, könnte solch ein Angebot sogar negative Auswirkungen haben. "Noch stärker überfüllte Busse und Bahnen zu den Spitzenzeiten würden bei den Kunden zu unglaublicher Frustration führen", sagt Bastian Chlond vom Karlsruher Institut für Verkehrswesen (IfV). Der Verkehrsexperte empfiehlt, sich auf ein besseres ÖPNV-Angebot in den Nebenzeiten zu konzentrieren. Da nämlich sei eine kürzere Taktung kein Problem, sagt Chlond.

"Eine Dienstleistung, die nichts kostet, ist schwierig. Was nichts kostet, ist nichts wert"

In Mannheim, einer der geplanten Modellstädte, glaubt man jedoch nicht, dass kostenloses Fahren kurzfristig umsetzbar ist. "Als schnell umsetzbare und kurzfristig wirksame Maßnahme sehe ich nur Verbesserungen im ÖPNV - dazu zählen zum Beispiel attraktive Fahrpreise, dichtere Takte und neue Verbindungen", sagte Bürgermeister und ÖPNV-Dezernent Christian Specht. "Wir werden uns nun mit dem Bund zusammensetzen, um zielführende ÖPNV-Maßnahmen für Mannheim zu besprechen." Wenn der Rhein-Necker-Bund seine öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos anbieten würde, spreche man über Kosten in Höhe von 300 Millionen Euro pro Jahr - ohne Kosten für Instandhaltung und Ausbau.

Beim Stuttgarter Verkehrsverbund sieht man freie Fahrt für alle Gäste ebenfalls kritisch. "Eine Dienstleistung, die nichts kostet, ist schwierig. Was nichts kostet, ist nichts wert", heißt es ja oft. Die Dienstleistung muss einen Wert haben, sonst wird sie nicht gewürdigt", sagte VVS-Sprecherin Ulrike Weißinger. Statt Bus und Bahn kostenlos anzubieten, sei es sinnvoller, das Geld in die Infrastruktur zu stecken, sagte Weißinger. "Besser wären Investitionen etwa in neue Fahrzeuge und neue Strecken."

Lies: Dürfen uns nicht ausschließlich auf die großen Städte konzentrieren

Kostenlose Busse und Bahnen wären nach Angaben des Verkehrsverbundes RMV auch im Rhein-Main-Gebiet teuer. Derzeit betragen die jährlichen Einnahmen durch verkaufte Tickets hier rund 900 Millionen Euro pro Jahr, wie der Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV), Knut Ringat sagte. "Eine Summe, die dann durch andere Quellen finanziert werden muss." Der Nahverkehr kann nach Einschätzung von Hessens Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) nicht kostenlos und attraktiv gleichzeitig sein. "Es wäre völlig verfehlt, das Geld komplett auszugeben, um den Fahrpreis auf Null herunter zu subventionieren und dann keine Mittel mehr zu haben, um das Angebot zu verbessern und die Infrastruktur auszubauen", sagte Al-Wazir. 

Aus Sicht von Münchens zweitem Bürgermeister Josef Schmid kann der Vorschlag die Verkehrsprobleme der Stadt nicht lösen. München habe vor allem ein Kapazitätsproblem, sagte Schmid (CSU). Daher würde es nicht helfen, wenn noch mehr Fahrgäste auf die schon jetzt während der Stoßzeiten teils überfüllten U-Bahnen umsteigen. Hinzu kämen Störungen und Zugausfälle auf der bestehenden S-Bahn-Stammstrecke. "Deshalb bräuchten wir was ganz anderes ganz dringend in München und in den Ballungsräumen, nämlich ein Sonderprogramm des Bundes zur Finanzierung des Ausbaus des Öffentlichen Personennahverkehrs." Laut Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies müssen vor allem die Regionen besser an die Städte angebunden werden. "Das heißt, wir müssen auch dafür sorgen, dass wir eine bessere Taktung haben, und vor allen Dingen, dass wir uns nicht ausschließlich auf die großen Städte konzentrieren", erklärte der SPD-Politiker.

Tübingen sieht sich für kostenlosen ÖPNV gewappnet

Tübingens Oberbürgermeister Manfred Palmer (Grüne) sieht seine Stadt für die offenen Fragen rund um den kostenlosen ÖPNV gewappnet. Er hat sich am Mittwoch mit einem Brief an die Bundesregierung gewandt und darum gebeten, Tübingen mit seinen 90.000 Einwohnern neben Mannheim, Herrenberg und Reutlingen zur vierten Modellstadt im Südwesten zu machen. Das fertige Konzept dafür sei bereits vorhanden.

Demnach müssten rund neun Millionen Euro Fahrgeldeinnahmen im Jahr ersetzt werden, damit die Tübinger gratis Bus und Bahn fahren können. Fällt die Barriere "Fahrpreis", rechnet die Kommune mit einem Drittel mehr Fahrgäste. Schon heute nutzen die Kunden den Tübinger ÖPNV nach Palmers Angaben für rund 20 Millionen Fahrten im Jahr. Würde diese Zahl wie angenommen um rund sieben Millionen Fahrten pro Jahr steigen, wolle man die Kapazität des Busverkehrs um ein Drittel ausbauen. Das würde noch einmal sechs Millionen Euro kosten. (hil/dpa)