Deutschland

Klimaforscher Schellnhuber: "Enorme Sorgen" wegen Kohlekommission

Es ist eine riesige Aufgabe: Deutschland will nach dem Atom- auch aus dem Kohlestrom aussteigen. Eine Kommission hat viele Details ausgehandelt, zentrale Fragen sind allerdings noch offen. Am Freitag steht die womöglich entscheidende Sitzung an.
24.01.2019

Hans Joachim Schellnhuber ist Direktor Emeritus des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und gründete das Institut im Jahr 1992. Er ist Professor für Theoretische Physik an der Universität Potsdam und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU).

Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber hat davor gewarnt, in der Kohlekommission Lobby-Interessen über den Klimaschutz zu stellen. "Es geht um Arbeitsplätze, Ostdeutschland, Gewinne, Dörfer, Fledermäuse, das ist alles wichtig – aber bedroht ist aus meiner Sicht unser aller gemeinsames Interesse, nämlich die Zukunft unserer Zivilisation", sagte der Direktor Emeritus des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) der Deutschen Presse-Agentur. "Ich mache mir enorme Sorgen, dass am Ende jeder und alles bedient wird, nur nicht die Vorsorge für die Zukunft getroffen wird."

Die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission könnte sich an diesem Freitag auf ein Konzept für den Kohleausstieg einigen. In einem Entwurf des Abschlussberichts ist von Entlastungen für Stromkunden die Rede, von Entschädigungen für Kraftwerksbetreiber sowie konkreten Vorschlägen für den Strukturwandel etwa in der Lausitz. Es ist aber noch nichts beschlossen, Zusagen für den Klimaschutz fehlen bisher.

Schüler gehen auf die Straßen für einen schnellen Kohleausstieg

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte, sicherte den betroffenen Regionen umfangreiche Unterstützung zu. Die Bergbaugewerkschaft IG BCE warnte vor der Sitzung vor "Fundamentalpositionen". Hunderte oder sogar Tausende Schüler wollen am Freitag für einen schnellen Ausstieg aus der Kohle demonstrieren, statt in die Schule zu gehen.

Vor der vielleicht entscheidenden Sitzung der Kohlekommission haben die Umweltverbände vor einem Scheitern gewarnt. Es sei nicht klar, ob am Freitag oder kommende Woche eine Einigung gelinge, sagte BUND-Chef Hubert Weiger am Donnerstag in Berlin. Martin Kaiser von Greenpeace sagte, eine "Ankündigungsdiplomatie" mit fernen Zielsetzungen könne man nicht mittragen, es brauche für den Kohleausstieg "definierte Ein- oder Zweijahresschritte". Der Präsident des Naturschutzrings DNR, Kai Niebert, sagte: "Wir werden den Tisch nicht verlassen." Man werde erst aufstehen, wenn die Kommission scheitere – oder den Klimaschutz entscheidend voranbringe.

52 Mrd. Euro für Entschädigungen

Was bisher an Entschädigungen, Subventionen, Investitionen und Entlastungen im Entwurf für den Abschlussbericht vereinbart sei, koste die Steuerzahler etwa 52 Mrd. Euro, sagte Niebert. Allerdings könnten die Folgen des Klimawandels um ein Vielfaches teurer werden. Die staatlichen Ausgaben seien nur zu rechtfertigen, wenn im Gegenzug der Klimaschutz vorangebracht werde.

BUND-Chef Weiger betonte, dass der Erhalt des Hambacher Forsts in Nordrhein-Westfalen und der Dörfer in Tagebau-Nähe ein zentrales Anliegen sei. Bisher ist diese Zusage im Entwurf für die Kommissionsempfehlung als strittig gekennzeichnet. Greenpeace-Vertreter Kaiser sagte, man wolle sich an diesem Freitag nicht zu einem Kompromiss drängen lassen. Der 1. Februar sei allerdings "der letzte Termin für uns", um eine Lösung zu finden.

Aus wissenschaftlicher Sicht müsse 2030 das Ende der Kohleverstromung sein

Schellnhuber, Mitglied der 28 Mitglieder umfassenden Kommission, sagte der dpa, aus wissenschaftlicher Sicht müsse die Kohleverstromung spätestens 2030 beendet werden. Strecken könne man die Zeit, wenn man in anderen Sektoren enorme Fortschritte machen würde. "Bei der Mobilität, im Gebäudebereich, in der Landwirtschaft haben wir noch viel dickere Bretter zu bohren." Er betonte, die Welt schaue beim Klimaschutz auf Deutschland, ein Scheitern des beschleunigten Kohleausstiegs sei "eigentlich eine Lizenz zum Nichtstun" für alle anderen Länder. "Insofern hängt an dieser kleinen Kommission, an diesem Land, fast alles, was den Klimaschutz angeht. Wir sind an einem historischen Scheideweg."

IG BCE-Chef Michael Vassiliadis sagte der dpa, der Entwurf des Abschlussberichts zeige, dass in der Kohlekommission langsam energiepolitischer Realismus Einzug halte. "Ohne belastbare Antworten auf offene Fragen nach der Sicherheit unserer Stromversorgung, nach bezahlbaren Energiepreisen, nach einem reißfesten Sicherheitsnetz für die Beschäftigten und nach einer Neuaufstellung der Reviere werden wir in der Klimapolitik nicht erfolgreich sein." Er erwartete nun "von allen Beteiligten Antworten und Kompromissbereitschaft – und nicht das ermüdende Wiederholen altbekannter Fundamentalpositionen". Dies zielt vor allem auf Umweltverbände in der Kommission, die einen schnellen Kohle-Ausstieg fordern. Vassiliadis ist ebenfalls Mitglied der Kohlekommission.

Fridays For Future macht mobil

Auf einen schnellen Ausstieg drängen auch die Schüler, die am Freitag um 12.00 Uhr vor dem Bundeswirtschaftsministerium demonstrieren wollen, während dort die Kohlekommission tagt. Der Aufruf dazu stammt von der Bewegung Fridays For Future (Freitage für die Zukunft). Auch die Grüne Jugend, die Nachwuchsorganisation der Grünen, unterstützt den Protest. Die Kommission müsse die Schritte für den Kohleausstieg bis 2025 einleiten und sofort die dreckigsten Kraftwerke vom Netz nehmen, forderte Sprecherin Ricarda Lang. "Sonst verspielt sie die Chance unserer Generation auf einen lebenswerten Planeten." (dpa/al)