Fernwärme: "Wir brauchen eine Entgeltregulierung ähnlich wie bei Stromnetzen"

Ralph Lenkert sitzt seit 2009 für die Linke im Deutschen Bundestag.
Bild: © Inga Haar/Deutscher Bundestag
Nach Berechnungen des "Tagesspiegels" hielt in der zu Ende gehenden Wahlperiode niemand so viele Reden wie der Linken-Abgeordnete Ralph Lenkert. Und auch im Energieausschuss machte der nun 57-Jährige beständig die Anliegen seiner zur Gruppe geschmolzenen Fraktion geltend. Ob Lenkert in den neuen Bundestag einzieht, ist ungewiss. Dafür müsste er das Direktmandat in seinem Wahlkreis gewinnen, denn auf der Thüringer Landesliste steht er nicht mehr. Wofür seine Partei energiepolitisch wirbt, erklärte Lenkert zum Auftakt der ZfK-Bundestagswahlserie.
Herr Lenkert, die Linke setzt sich für eine stärkere Preisaufsicht für Strompreise ein. Haben Sie konkrete Anhaltspunkte, dass die Preise, etwa bei den Dunkelflauten im November und Dezember, missbräuchlich zustande kamen?
Bei den beiden Dunkelflauten fehlten einfach die Kraftwerkskapazitäten. Es geht eher um die Übergangsphasen, in denen wir im Norden noch einen gewissen Windstrom haben und wir kein Gaskraftwerk bräuchten. Wenn Anbieter dann einzelne Windparks oder Kraftwerke in Wartung schicken, wirkt sich das stark preistreibend aus.
Das ist bei Großanbietern, die über viele verschiedene Erzeugungsanlagen verfügen, durchaus machbar. Das ist aber nur schwer zu beweisen. Deswegen brauchen wir eine Preisaufsicht, die in solchen Fällen stichprobenartig kontrolliert.
Das Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur dürfen bereits prüfen. Das reicht Ihnen nicht aus?
Nein, denn es handelt sich nur um nachgelagerte Prüfung. Und vor allem reichen die Konsequenzen nicht aus. Ein zweiter Weg, wie sich gegen Marktmissbrauch vorgehen lässt, wäre ein großer staatlicher Akteur, der sich am Markt beteiligt. Dieser könnte durch seine Preissetzung auch Spekulation verringern.
Mehr Prüfungen bedeuten auch mehr Bürokratieaufwand für die Unternehmen.
Das ist richtig. Trotzdem wäre es notwendig, dass Stromerzeuger ihre Preisbildung begründen können. Diese Begründungen müssten dann stichprobenartig kontrolliert werden. Das heißt im Klartext: Wenn sie die Preise nicht erhöhen, haben sie keine Bürokratie.
In der Fernwärme gibt es eine Preisformel, die staatlich vorgegeben ist. Sind Sie mit der bisherigen Lösung zufrieden?
Diese Preisformeln sind oft unheimlich kompliziert, was von der Regulierung auch so vorgegeben wird. Viele dieser Preisformeln beziehen sich auf den Gaspreis, weil der über Jahrzehnte stabil war. Das hat bei steigenden Gaspreisen dazu geführt, dass die Fernwärmeanbieter Extragewinne gemacht haben. Manche Versorger haben das ausgenutzt, andere hingegen nicht. Wir müssen das System grundlegend verändern.
Was stellen Sie sich konkret vor?
Wir müssen bei Wärmenetzen zu einem ähnlichen System kommen wie bei den Stromnetzen. Wärmenetze sind technische Monopole. Damit es vernünftig läuft, braucht es eine Entgeltregulierung, ähnlich wie bei den Gas- und Stromnetzen. Wärmeerzeugung und Wärmenetz sollten aber nicht getrennt werden, das verursacht hohe, unnötige Kosten.
In Ihrem Wahlprogramm steht: "Wir wollen ein Gewinnverbot im Wärmebereich." Glauben Sie, dass private Unternehmen dann überhaupt noch in Fernwärmenetze investieren?
Wir sind der Meinung, dass alle Wärmenetze kommunalgesellschaftlich organisiert sein sollten. Natürlich braucht es gewisse Einnahmen, damit sich die Netze refinanzieren können. Aber es sollte eben keine Gewinnausschüttungen in andere Bereiche geben. Dafür ist Wärme zu wichtig. In Dänemark ist die Wärmeversorgung beispielsweise gemeinwohlorientiert organisiert. Dort werden keine Gewinne abgeführt, sondern alle Einnahmen für die Wärmeversorgung verwendet.
Viele Gemeinden sind in Deutschland notorisch unterfinanziert. Woher soll das Anfangskapital stammen?
Nach unserem Steuerkonzept wären sie finanziell besser gebettet, dann hätten sie das Geld. Wir würden eine Vermögenssteuer einführen, die an Länder und Kommunen fließt. Ähnliches bei der Erbschaftssteuer. Damit könnte die Stadt die Finanzierung der Wärmenetze übernehmen. Später wird daraus ein sich selbst tragendes System.
Sie lehnen den CO2-Preis für Heizen ab. Wie wollen Sie sicherstellen, dass trotzdem Anreize zur Dekarbonisierung gesetzt werden?
In einzelnen Bundesländern, etwa in Thüringen, gibt es Ziele, die Fernwärmenetze bis 2035 möglichst zu dekarbonisieren. Das ist schon mal ein deutlicher Anreiz. Wir wollen aber auch auf Bundesebene mehr Ordnungsrecht nutzen. Hinzu kommt die massive Förderung erneuerbarer Energien, etwa für die Umrüstung von Heizungen. Sprich für Wärmepumpen und das Wärmeversorgungssystem. Wir wollen die klimaneutrale Wärme für Mieterinnern und Mieter sowie für Eigenheimbesitzer kostenneutral schaffen.
Wie wichtig ist Ihnen dabei Technologieoffenheit?
Das ist für mich kein Entweder-oder. Jeder Ort muss für sich entscheiden, was wo die beste Lösung ist. Was ich aber nicht sehe, ist, dass in einer Straße ein Fernwärme- oder Nahwärmenetz liegt und dass dort gleichzeitig das Stromnetz ausgebaut wird, um zusätzliche Wärmepumpen zu installieren. Das wäre Ressourcenverschwendung.
Also doch der Anschluss- und Benutzungszwang?
Erst einmal freiwillig. Aber nach einer gewissen Zeit könnte das erforderlich sein. Wenn in einer Straße ein Wärmenetz und gleichzeitig ausreichend Kapazitäten im Stromnetz vorhanden sind, dann kann man auch die Wahl lassen. Aber ich muss die Gesamtkosten sehen. Beides auszubauen, macht keinen Sinn.
Sie wollen die Strompreise kurzfristig um bis zu 9 Cent pro Kilowattstunde senken. Wie soll das funktionieren?
Wir würden als erstes eine Gebotszonentrennung vornehmen. Das kostet einmal eine bis drei Milliarden Euro, spart aber Netzentgelte von etwa vier Cent pro Kilowattstunde. Hinzu kommt die Senkung der Stromsteuer um 1,95 Cent. Ein anderes Merit-Order-System, Änderungen am § 19 NEV und am § 13k des EnWG könnten einen weiteren Cent einsparen.
Die Bundesnetzagentur hat sich gegen die Zonentrennung ausgesprochen.
Die Bundesnetzagentur kann dagegen sein, wie sie möchte. Die Probleme werden so groß sein, dass sie dazu gezwungen sein wird. Oder die Europäische Union wird sie zwingen. Einer von beiden. Norwegen hat bereits erklärt, den grenzüberschreitenden Stromexport über Nordlink 2026 auslaufen zu lassen, wenn es dann in Deutschland noch eine einheitliche Gebotszone gibt. Der Druck wird wachsen.
Die Industrie wollen Sie auch in die Pflicht nehmen.
Ja, wir würden die 7000-Stunden-Regel in der Stromnetzentgeltverordnung überarbeiten. Derzeit sind Unternehmen verpflichtet, auch in der Dunkelflaute Strom abzunehmen, um ihren Rabatt nicht zu verlieren. Das produziert unnütze Mehrkosten. Wir wollen die Regelung "Nutzen statt Abregeln" zudem für den industriellen Verbrauch öffnen. Wenn Industriebetriebe ihre Produktion verlagern, wird das eine spürbare Entlastung bringen.
Was passiert mit den Stromnetzen?
Wir streben die Verstaatlichung der Übertragungsnetze an. Dann sparen wir uns die Kosten für die Gewinnmargen der Übertragungsnetzbetreiber. Außerdem gibt es Projekte, die nicht sinnvoll sind, und vor allem aus der Struktur der vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland heraus entstehen, statt aus einer sachlichen Notwendigkeit. Wir würden den Übertragungsnetzausbau auf das notwendige Maß reduzieren.
Und das bringt neun Cent pro Kilowattstunde weniger?
Mit den genannten Maßnahmen wären wir bei sieben Cent. Auf diesen Nettopreis kommt noch die Mehrwertsteuer drauf. Wenn wir die reduzieren, kommen wir auf fast neun Cent Entlastung.
Sie wollen zudem Stromerzeuger und den internationalen Stromhandel an den Netzkosten beteiligen. Das wäre doch ein Standortnachteil für Deutschland.
Die Netzentgelte können laut EU-Regeln auf Endkunden sowie auf Erzeuger und Händler umgelegt werden. Deutschland hat nur die Endkunden ausgewählt. Das lässt sich ändern. Für Händler wäre das zwar ein Nachteil, aber nicht für einheimische Erzeuger und Produzenten.
Im Stromhandel braucht es außerdem eine Entfernungspauschale. Sonst geht dieser Irrsinn weiter, dass wir Strom durch die ganze Republik transportieren und die Allgemeinheit dafür zahlt. Das wird im Transportwesen auch nicht gemacht. Wenn Sie mit dem Lkw aus Schleswig-Holstein nach Bayern fahren, müssen Sie Maut bezahlen.
Auf der anderen Seite braucht es einen Zubau von steuerbarer Kraftwerkskapazität. Was halten Sie vom Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zum Kraftwerkssicherheitsgesetz?
Die bisherige Lösung ist für uns sehr schlecht. Die Bioenergie ist flexibel einsetzbar. Trotzdem findet sie im Kraftwerkssicherheitsgesetz fast keine Beachtung. Außerdem sollten für Ersatzkraftwerke Standorte bevorzugt werden, die eine Wärmeabnahme haben. Warum sollen diese Ersatzraftwerke in der Dunkelflaute nicht einspringen?
Dann könnte die Abwärme gleichzeitig noch in ein Fernwärmenetz fließen. Wenn ich dagegen neue Gaskraftwerke auf der grünen Wiese baue, ist die Abwärme, die dort entsteht, verloren. Das ist Schwachsinn. Trotzdem werden in der Fernwärme viele Großwärmepumpen installieren, bei viel Erneuerbare-Energien-Strom ist das effektiver.
Was würde aus der Kraft-Wärme-Kopplung werden?
Die Kraft-Wärme-Kopplung ist im bisherigen Kraftwerkssicherungsgesetz nicht ausreichend berücksichtigt worden. Es ist viel günstiger, die bestehenden KWK-Anlagen in ein neues Energiesystem zu überführen, als neue Kraftwerke hinzuzubauen. Bis 2030 werden wir keine neuen Gaskraftwerke in dem erforderlichen Maße zubauen. In der Folge muss dann der Kohleausstieg überprüft werden. Das ist das Verschulden des jetzigen Ministeriums von Robert Habeck.
Das Interview führte Julian Korb
Dieses Interview ist Teil der ZfK-Bundestagswahlserie. Bis zum 23. Februar werden auf der ZfK-Website Interviews mit energiepolitischen Vertretern aller im Bundestag vertretenen Parteien erscheinen.