Deutschland

Reiche: "Der Underperformer wird aktuell belohnt"

Zum Auftakt der VKU-Verbandstagung fordert die VKU-Hauptgeschäftsführerin von der Bundesregierung, die Potenziale der Verteilnetze für die Energiewende stärker zu nutzen. Bei der Umsetzung der Vorschläge der Kohlekommission plädiert sie für marktwirtschaftliche Anreize statt Verbote.
11.03.2019

VKU-Hauptgeschäftsführerin Katherina Reiche bei ihrer Rede zum Auftakt der VKU-Verbandstagung in Berlin: "Stadtwerke sind Manufakturen für Lebensqualität"

VKU-Hauptgeschäftsführerin Katherina Reiche hat zum Auftakt der VKU-Verbandstagung in Berlin an die Bundesregierung appelliert, die Potenziale des Verteilnetzausabaus für die Energiewende nochmals zu prüfen und künftig stärker zu gewichten. "Wir brauchen sowohl den Ausbau der Verteil- als auch der Übertragungsnetze", stellte sie klar. Im Übertragungsnetzbereich stocke der angekündigte Ausbau aber merklich, nur wenige Kilometer der geplanten Stromtrassen seien bisher realisiert.

"Aktuell wird hier der Underperformer belohnt", stellte Reiche am 70. Geburtstag des Verbandes klar. Der VKU ist heute vor genau 70 Jahren in Rüdesheim am Rhein gegründet worden.

Mit Blick auf die Ende Januar vorgelegten Empfehlungen der Kohlekommission forderte Reiche die Politik auf, diese aufzunehmen und umzusetzen, insbesondere auch Themen wie die Fortführung der KWK-Förderung, eine Reform der Abgaben, Entgelte und Umlagen sowie eine Power-to-X-Strategie seien dabei zentral. "Die meisten Probleme entstehen bei ihrer Lösung", zitierte sie in Anlehnung an Leonardo da Vinci. Reiche hatte als Mitglied der Kommission die Vorschläge miterarbeitet.

Forderung nach Kapazitätsmarkt erneuert

Die Energiewende dürfe nicht länger in erster Linie eine Stromwende bleiben, sondern müsse auch stärker den Wärme- und Mobilitätsbereich umfassen. "Das geht aber nicht nur mit Verboten, dafür braucht es auch marktwirtschaftliche Anreize", so Reiche und erneuerte die VKU-Forderung nach einem Kapazitätsmarkt. "Flexible Leistung muss sich lohnen", so die VKU-Hauptgeschäftsführerin.

Das was in den Reallaboren der Energiewirtschaft und bei den Schaufenstern für intelligente Energie (Sinteg) an Lösungen entstehe, dürfe zudem nicht am bestehenden Entgelte-, Abgaben- und Umlagensystem scheitern, das eine praktische Anwednung dieser Entwicklungen oftmals unwirtschaflich mache.

Stadtwerke sind laut Reiche "Manufakturen für Lebensqualität" mit einer entsprechenden Infrastruktur vor Ort. Vor allem im Bereich der Digitalisierung und im Rahmen von Smart-City-Anwendungen sieht sie viel Potenzial. "Kommunale Unternehmen sind hier die Spinne im Netz, denen die Digitalisierung eine immer größere Vernetzung verschiedener Lebensbereiche in den immer komplexer werdenden Städten ermöglicht". Eine erfolgreiche Smart-City-Strategie stelle dabei den Bürger in den Mittelpunkt.

Level-Playing-Field für Datennutzung

Damit kommunale Unternehmen diese Potenziale im Smart-City-Bereich auch heben können, benötigen sie eine Datensouveränität. Es müsse ein Level Playing Field bei der Nutzung privater und öffentlicher Daten geben. Auch im Breitbandbereich sieht Reiche Handlungsbedarf. "Wir brauchen einen flächendeckenden Breitbandausbau. Wir müssen aufholen bei 4G, hier liegen wir hinter Albanien." Gleichzeitig müsse ein umfassendes 5G-Netz aufgebaut werden, hier warb sie dafür, dass auch regionale Frequenzen ausgeschrieben werden.

Für Änderungen plädierte sie auch beim Gemeindewirtschaftsrecht, das Stadtwerke aktuell in vielen Bundesländern benachteiligt. In der aktuellen Ausgestaltung verhindere dies oftmals die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle von kommunalen Unternehmen, beispielsweise in Kooperation mit Start-ups.

"Wasserwirtschaft darf nicht Reparaturbetrieb der Nation werden"

Auch die Leistungen für Umweltschutz und Lebensqualität der Mitgliedsunternehmen hob die VKU-Hauptgeschäftsführerin hervor. "Die Wasserwirtschaft darf nicht zum Reparaturbetrieb der Nation werden", sagte Reiche und verwies auf die nicht eingehaltenen Nitrat-Grenzwerte in Deutschland.

Mit Blick auf die im europäischen Vergleich deutlich höhere Pro-Kopf-Müllmenge in Deutschland sowie der zunehmenden Vermüllung mancher Innenstädte forderte sie ein Umdenken und Verhaltensänderungen ein. Wenn aktuell Prognosen stimmten, dann werde der Umfang von Plastik in den Meeren 2050 genau so groß sein wie die "Gesamtmasse an Fisch".

Ebling: kommunale Daseinsvorsorge wesentlicher Bestandteil der Demokratie

Zuvor hatte VKU-Präsident Michael Ebling darin erinnert, dass 2019 nicht nur der VKU ein Jubiläum begeht, sondern unter anderem auch 100 Jahre Frauenwahlrecht, der Mauerfall oder 70 Jahre Grundgesetz gefeiert werden. Die kommunale Daseinsvorsorge und die kommunale Selbstverwaltung seien ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Demokratie, schlug er den Bogen zum Grundgesetz. "Die ausreichde Versorgung mit Wärme, Wasser und Strom sind wesentlicher Bestandteil eines würdevollen Lebens."

Noch zu wenig Frauen in den kommunalen Chefetagen

Heute bedeuteten gleichwertige Lebensverhältnisse "Breitband überall und für alle". Die Daseinsvorsorge 4.0 brauche aber auch einen entsprechenden gesetzlichen Rahmen. Mit Blick auf das Thema 100 Jahre Frauenwahlrecht zeigte sich Ebling selbstkritisch. "Hier gibt es beim Frauenanteil in den Chefetagen noch Nachholbedarf, auch bei den Kommunalen brauchen wir mehr Frauen in den Vorstandsetagen", forderte der VKU-Präsident.

Um die weiblichen Vorbilder in Leitungspositionen in der Energie- und Kommunalwirtschaft ins Scheinwerferlicht zu rücken, hat VKU-Hauptgeschäftsführerin Katherina Reiche das Buch "Netzwerkerinnen" herausgegeben. Es umfasst Porträts von 20 Managerinnen aus der Energiewirtschaft und ist im Ch. Goetz Verlag, München erschienen. (hoe)