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Chemieverband: Gasmangel würde nicht flächendeckend eintreten

Sollte Russland nach der Wartung von Nord Stream 1 kein Gas mehr nach Deutschland liefern, drohen im Winter Engpässe. Die Chemieindustrie erwartet aber keinen bundesweit gleichzeitigen Mangel. Manche Regionen könnten schneller betroffen sein als andere.
19.07.2022

Die Chemie- und Pharmabranche ist mit einem Anteil von 15 Prozent größter Gasverbraucher in Deutschland.

Ein möglicher Gasmangel würde Deutschland aus Sicht der Chemiebranche schrittweise und regional unterschiedlich treffen. «Wir werden einen Gasmangel nicht gleichzeitig in Deutschland sehen und auch nicht flächendeckend», sagte Jörg Rothermel, Energieexperte beim Verband der Chemischen Industrie (VCI), am Dienstag in Frankfurt.

Der Osten und Süden würden im Ernstfall wahrscheinlich zuerst betroffen sein. «Im Süden haben wir nur zwei Speicher. Außerdem ist das Netz nicht für stärkere Gasflüsse aus dem Norden und Westen ausgelegt.»

 

 

Die große Sorge in Deutschland derzeit ist, dass Russland bei der Ostseepipeline Nord Stream 1 nach einer geplanten Wartung, die Ende dieser Woche vorbei sein könnte, den Gashahn nicht wieder aufdreht und die bereits gedrosselten Lieferungen ganz versiegen.

Auf die Chemie- und Pharmabranche entfällt knapp ein Drittel des Industrieverbrauchs

In jedem Fall bleibe Unsicherheit, erklärte Rothermel. «Das beste Gas nutzt nichts, wenn es zu teuer wird und nicht mehr wirtschaftlich ist.» Man müsse sich dauerhaft auf erhöhte Gaspreise einrichten. «Anfang letzten Jahres betrug der Gaspreis um die 20 Euro die Megawattstunde. Jetzt liegt er bei 150 bis 180.»

Die Chemie- und Pharmabranche ist mit einem Anteil von 15 Prozent größter Gasverbraucher in Deutschland. Knapp ein Drittel des Industrieverbrauchs entfällt auf sie. Der VCI hat oft vor den Folgen eines Gasmangels auch für die ganze deutsche Industrie gewarnt.

VCI: Einsparpotenziale bei Switch auf Heizöl und Kohle nicht so groß

Der VCI geht davon aus, dass die Branche mit dem Einsatz anderer Brennstoffe wie Heizöl und Kohle kurzfristig nur zwei bis drei Terawattstunden Gas sparen kann. Die Chemie- und Pharmabranche braucht aber insgesamt rund 135 Terawattstunden Gas im Jahr - davon 100 als Energieträger und 35 als Rohstoff für die Produktion. «Für unsere Unternehmen gilt, dass wir aktuell noch einmal alles geben, um auch die allerletzten Gas-Einsparpotenziale zu heben», sagte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup.

Der Darmstädter Pharma- und Technologiekonzern Merck sieht sich unterdessen für einen möglichen plötzlichen Gasmangel gerüstet. «Wir sind sehr gut darauf vorbereitet», sagte Vorstandschefin Belén Garijo der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (Dienstag) auf eine entsprechende Frage. «Wir sind darauf vorbereitet, dann unsere Produktionsprozesse unter anderem auf Erdöl zu verlagern.» Zugleich verringere man die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern.

Sie sei «ziemlich zuversichtlich, dass wir weiterhin Medikamente liefern können», führte Garijo aus. Merck habe sich mit Rohstoffen eingedeckt. So habe man auch den Kauf von Öl vorweggenommen. «Aber gleichzeitig hängt es sehr von der Dauer der Engpässe ab, und wie wir es schaffen, parallel dazu auf alternative Quellen umzustellen.» (dpa/hoe)