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"Das System der Herkunftsnachweise in seiner aktuellen Form wirkt nicht optimal"

Die STX Group hat Effizienz und Dekarbonisierung der Energieversorgung von Unternehmen zum Geschäftsmodell gemacht. Im Interview erklärt Managing Partner, Jens Schumacher, warum viele von ihnen noch zögern
18.03.2025

Jens Schumacher: "Der Trend zur Energiespeicherung hat gerade erst begonnen".

Die international agierende STX Group ist seit 20 Jahren als Handelshaus für erneuerbare Energien tätig und gehört damit zu den Pionieren der Branche. Das erste Produkt bot das Unternehmen im europäischen Emissionshandel (ETS), im Rahmen des Kyoto-Protokolls, an. Im Interview mit der ZfK erläutert Jens Schumacher, Managing Partner der STX Group, unter anderem die aktuellen Grünstrommodelle seines Unternehmens und spricht über die Vor- und Nachteile des Handels mit Herkunftsnachweisen.

Herr Schumacher, war die Energiekrise mit hoher Preisvolatilität eine besondere Geschäftschance für Sie?

Einerseits ja, denn Marktvolatilität bringt mehr Nachfrage nach Absicherungslösungen. Andererseits waren die Preise so hoch, dass einige Kunden nicht mehr zahlungsfähig waren. Wir legen Wert auf langfristige Kundenbeziehungen und beraten Unternehmen, wie sie sich strategisch absichern können. Durch die hohen Energiepreise wurden Investitionen in Effizienzmaßnahmen und erneuerbare Energien allerdings wesentlich attraktiver. Manche Technologien, wie Batteriespeicher, haben sich in nur zwei Jahren amortisiert. Unternehmen sollten jedoch strategisch vorgehen und berechnen, welche Maßnahmen sich wirtschaftlich am meisten langfristig lohnen.

Die starke Nachfrage nach Effizienzlösungen und Ökostrom scheint mit der Stabilisierung der Marktpreise wieder nachzulassen. Wie nehmen Sie diesen Trend wahr?

Wir bemerken einen Wandel, allerdings nur bedingt. Die Preisentwicklung ist bei den Endkunden noch nicht so stark spürbar wie in anderen Bereichen, etwa bei Mineralölprodukten. Während der Krise sind die Preise für erneuerbare Energien extrem in die Höhe gestiegen – teilweise um bis zu 800 Prozent. Erdgas war der treibende Faktor auf Grund der deutschen Abhängigkeit von gewissen Importen. Jahre später sehen wir eine Erholung und wieder günstigere Beschaffungsmöglichkeiten für Erdgas und Bioerdgas für die Verstromung oder im Transportsektor, welche die Geschäftsmodelle mit Bioerdgas für Energieversorger und Industrielle finanziell attraktiv machen.  

Für Unternehmen, die bereits ein klares Bekenntnis zu Erneuerbaren abgegeben haben, ist das eine günstige Gelegenheit zum Einstieg, da wir uns preislich wieder auf einem niedrigeren Niveau bewegen.

"Ich würde nicht sagen, dass sich Kunden bewusst von erneuerbaren Energien abwenden."

Was ist mit denen, die aus Kostengründen noch zögern?

Ich würde nicht sagen, dass sich Kunden bewusst von erneuerbaren Energien abwenden. Aber es gibt politische Unsicherheiten, die die Investitionsentscheidungen erschweren. Denn die Frage ist: Wohin geht die Reise? Fest steht, dass die Energiewende kommen muss. Ob sie schneller oder langsamer umgesetzt wird, ist offen und stark von der politischen und wirtschaftlichen Lage abhängig.

Aktuell herrscht weniger eine Energiekrise und eine allgemeine Unsicherheit in der Wirtschaft und der globalen Politik. Unternehmen müssen Kosten senken, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Da liegt die Versuchung nahe, bei erneuerbaren Energien zu sparen – besonders wenn internationale Konkurrenz außerhalb Europas weniger engagiert ist und die Kostendifferenz von Energie und CO2 als Wettbewerbsvorteil nutzen.

Welche Rolle spielt die Politik?

Regulierungen beeinflussen den Markt natürlich sehr stark, insbesondere in der aktuellen Lage. Ein Beispiel ist die Verpflichtung von Mineralölkonzernen, Biokraftstoffe beizumischen. Wenn sie das nicht tun, müssen sie hohe CO2-Abgaben zahlen. Solche Mechanismen treiben den Wandel zu erneuerbaren Energien voran. Aus meiner Sicht ist genau das die Aufgabe des Regulators, einen gewissen Druck auf den Markt auszuüben, in Erneuerbare zu investieren.

Welche Modelle bietet die STX Group für erneuerbare Energien an?

Wir begannen vor 20 Jahren im Rahmen des Kyoto-Protokolls mit dem europäischen Emissionshandel (ETS), der unser erstes Produkt darstellte. Dann haben wir unser Portfolio erweitert, um den sich wandelnden Anforderungen des Marktes gerecht zu werden. Unsere ersten Kunden waren Energieversorger, die zunächst CO2-Zertifikate (EU-ETS) nachfragten. Später kamen Herkunftsnachweise für Grünstrom hinzu, um erneuerbare Energien nachzuweisen. Dies zeigt, wie sich unser Angebot stetig weiterentwickelt hat.

Dabei arbeiten wir mit einem dreistufigen Ansatz. Im ersten Schritt helfen wir Unternehmen, ihre Energieeinsparpotenziale ausschöpfen, beispielsweise durch Investitionen in effizientere Maschinen, LED-Technologien oder bessere Isolierungen. Hier helfen wir mit strategischer Beratung und Mechanismen wie Energieeffizienz, auch White Certificates genannt, in Ländern wie Frankreich, Spanien, Polen und Italien. Nach der Reduktion des Energieverbrauchs geht es darum, auf erneuerbare Strom- und Gasquellen umzusteigen.

Dazu gehören Bioerdgas sowie Biokraftstoffe. Trotz aller Einsparungen verbleiben oft Restemissionen. Hier kommen Carbon Credits ins Spiel oder es müssen CO2-Abgaben entrichtet werden. Sobald Unternehmen diese Schritte für sich umgesetzt haben, sind Emissionen entlang der Lieferkette, Scope-3-Emissionen, dran. Hier unterstützen wir großflächig Industrieunternehmen bei der Dekarbonisierung.

Im Grünstrombereich arbeiten wir grundsätzlich mit drei Hauptmodellen: Bundled solutions: PPA & VPPAs; Unbundled solutions: Zertifikatelösungen über HKNs für erneuerbaren Strom; und dann die sogenannten Hybridmodelle, bei denen wir physische Lieferungen und Zertifikate kombinieren.

"Der Trend zur Energiespeicherung hat gerade erst begonnen."

Wir erleben aktuell einen Speicherboom, eine gewisse Breite bei marktfähigen Vermarktungslösungen gibt es aber noch nicht. Warum?

Die Energiewende ist unumgänglich, aber ohne ausreichende Speicherkapazitäten wird sie nicht funktionieren, das ist unumstritten. Doch wer sagt denn, dass Speicher die einzige Lösung bleiben? Wir haben ja bereits Pumpspeicherkraftwerke, die seit Jahrzehnten genutzt werden. Ich bin sicher, dass wir in Zukunft noch ganz neue, skalierbare Lösungen sehen werden, die wir heute noch nicht kennen.

Der Trend zur Energiespeicherung hat gerade erst begonnen. Da wird in den kommenden Jahren noch viel passieren. Europa ist in diesem Bereich führend, sowohl was die Technologie als auch die Regulierung betrifft. Viele neue Gesetze und Vorschriften, die hier eingeführt werden, setzen Maßstäbe für den Rest der Welt. Die EU plant beispielsweise, Energiemärkte granularer zu gestalten, sodass Grünstrom nicht mehr nur auf Jahresbasis, sondern in Viertelstundenintervallen nachgewiesen werden muss. Dies ist zwingend notwendig, weil grüner Wasserstoff zunehmend an Bedeutung gewinnt. Das zwingt Unternehmen dazu, Energie dann zu nutzen, wenn sie verfügbar ist.

Ist Speichervermarktung etwas für Ihr Portfolio?

Wir sprechen bereits mit unseren Kunden darüber, aber aktuell gibt es nur eingeschränkt handelbare Energiespeicherlösungen. Es ist ähnlich wie beim Wasserstoff: Erst wenn eine Infrastruktur existiert, entsteht ein funktionierender Markt. Sobald das passiert, wird es auch Marktmechanismen geben, die mehr als nur die großen Unternehmen einbeziehen. Wichtig ist, dass der Regulator klare und stabile Rahmenbedingungen schafft. Ohne diese Planungssicherheit werden Investoren zurückhaltend bleiben. Nur wenn Investoren langfristige Sicherheit haben, werden sie in Forschung und Entwicklung investieren. Dadurch entstehen neue Technologien, die dann wieder zu neuen Märkten führen.

Warum zögern noch einige Unternehmen bei ihren Dekarbonisierungsplänen?

Zum einen geht es um die berühmte Planungssicherheit: Unternehmen brauchen eine klare Perspektive und verständliche Richtlinien, welche unkompliziert zu implementieren sind. Wenn die Politik ihre Linie häufig ändert, verunsichert das die Investoren und Unternehmen gleichermaßen. Langfristige und verlässliche, regulatorische Rahmenbedingungen sind essenziell. Dazu kommt die Frage der Finanzierung: Investitionen in neue Technologien erfordern Kapital. Banken und Investoren brauchen Planungssicherheit, um Gelder bereitzustellen. Erst dann entstehen Innovationen und Skaleneffekte, die erneuerbare Energien wirtschaftlicher machen. Schließlich muss der Markt so gestaltet sein, dass viele Akteure teilnehmen können.

Wenn nur wenige große Unternehmen die Regeln vorgeben und den Markt dominieren, fehlen Wettbewerb und Innovation im großen Stil.

Sind hohe Energiepreise eine Hürde oder eine Motivation, auf erneuerbare Energien umzusteigen?

Das ist ein schwieriges Thema. Hohe Energiepreise sind ein Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Regionen, zum Beispiel den USA und auch China. In vielen Bereichen sind erneuerbare Energien noch mit einem Aufpreis verbunden. Aber wir sehen, dass Technologien wie Solar und Wind immer günstiger werden. Wenn wir jedoch das Thema Energiepreise und erneuerbare Energie vertieft betrachten, fehlt weiterhin die Innovation, um weitere erneuerbare Energieträger bezahlbar zu machen.

Ganzheitlich betrachtet muss jede Unternehmung Klarheit über die sogenannten "Abatement Costs" haben, die sogenannten Vermeidungskosten. Die Unternehmen müssen wissen, wie hoch die entsprechenden Kosten zur  CO2-Reduktion auf ganzheitlicher Basis sein müssen. Einige werden überrascht sein über die Lösungen, die heutzutage schon günstiger sind als rein fossile Leistungen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Bei der Elektromobilität haben wir in den letzten Jahren einen Hype erlebt, welcher aktuell wieder abgeschwächt ist. Technologisch betrachtet, sobald Batteriespeicher günstiger und leichter sind und größere Kapazität haben, werden sich Elektrofahrzeuge durchsetzen – als eine Paralleltechnologie zu Verbrennungsmotoren, die in Zukunft bestimmt auch mit Wasserstoff betrieben werden.

Es gibt also immer eine Phase in der Innovation neuer Technologien, welche Subventionen bedürfen, um die Markteintrittshürde zu senken und die Technologien und Lösungen skalierbarer zu machen. Und wenn die Politik weiterhin technologieneutral bleibt und gute Rahmenbedingungen bietet, wird der Markt sich langfristig immer selbst regulieren.

Wie Sie schon sagten, die internationalen Mitbewerber kommen günstiger davon.

Ja, aber deshalb gibt es Bestrebungen, einen globalen CO2-Preis einzuführen in Zusammenhang mit CBAM und der Einführungen nationaler CO2-Preise außerhalb Europas. Wenn alle Marktteilnehmer mit den gleichen CO2-Kosten arbeiten müssen, wird der Wettbewerb fairer. Natürlich ist das schwierig umzusetzen, insbesondere in der aktuellen Zeit, aber langfristig notwendig.

Wären die Herkunftsnachweise (HKNs) auch kein geeigneter Ausgleichsmechanismus für den Markt?

Nun, aktuell liegt es letztendlich beim Käufer, welche Mindestkriterien seine Energie erfüllen muss. Die HKNs aus alten Wasserkraftanlagen haben in Deutschland für viel Diskussionsstoff gesorgt über die Zweckmäßigkeit dieser Nachweise aus alten Anlagen, mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit neuer EEG-Projekte hierzulande. Aber was ist die Funktion eines HKNs eigentlich? Per Definition ist es ein elektronisches Dokument, welches Auskunft über die Erzeugung einer Megawattstunde Strom gibt, für die Stromkennzeichnung, mit dem langfristigen Gedanken einer vollständigen Stromnachweisführung aller Technologien.

Wir beraten unsere Kunden dahingehend, welche Standards für sie notwendig sind. Wenn sie beispielsweise nach internationalen Berichtsstandards wie RE100 oder CDP folgen, müssen sie sicherstellen, dass die Nachweise aus Anlagen stammen, welche nicht älter als 15 Jahre sind. Auf diese Weise kann man die Diskussion mit alten Anlagen umgehen. Schlussendlich liegt es in einem aktuell noch freiwilligen Marktumfeld am Kunden, welchen Standard er für ausreichend betrachtet.

Führtdas nicht auch zu Marktverzerrungen?

Absolut. Das System der Herkunftsnachweise in seiner aktuellen Form wirkt nicht optimal. Wenn wirklich jede Einheit Strom – egal ob fossil oder erneuerbar – einen Herkunftsnachweis bekäme, hätten wir diese Diskussion gar nicht. Dann würde sich sofort die Frage stellen: Wer kauft meinen Kohlestrom? Wer will französischen Atomstrom importieren?

Momentan gibt es HKNs fast ausschließlich für die Erneuerbaren. Aber auf europäischer Ebene setzen immer mehr Länder auch HKNs für nicht-erneuerbare Energie ein. Das eröffnet neue Marktmechanismen. Wer fossile Energie im Portfolio hat, könnte diese nur zu negativen Preisen loswerden, was langfristig dazu führen würde, dass sich das System von selbst reguliert.

Außerdem brauchen wir eine präzisere Nachweisführung. Mit der neuen EU-Richtlinie RED III wird es bald notwendig sein, den Stromverbrauch nicht nur auf Jahresbasis zu bilanzieren, sondern für gewisse Anwendungen auch auf 15-Minuten- oder Stundenbasis. Das würde uns einen großen Schritt weiterbringen: Dann kaufen Unternehmen wirklich den Strom, der gerade benötigt wird – und nicht einfach irgendeinen Nachweis. Schlussendlich, je größer der Markt und je standardisierter er auf europäischer Ebene wird, umso effizienter ist das System und erfüllt einen ganzheitlichen zukünftigen Zweck für alle Marktteilnehmer: erneuerbare Energie verfügbar zu haben, wenn sie benötigt wird.

Das Interview führte Artjom Maksimenko