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Energiewende: Klassische Finanzierungsansätze kommen an ihre Grenzen

Die Investitionsvolumina vieler Energieversorger steigen in den kommenden Jahren um das Drei- bis Vierfache der heutigen Beträge. Damit rücken alternative Finanzierungsansätze ins Blickfeld. Ein Gastbeitrag von Olaf Geyer von Arthur D. Little.
30.09.2024

Olaf Geyer ist Partner und Head of Energy, Utilities and Ressources Practice Central Europe bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little.

Der Transformationsdruck der Energiewende setzt die Versorgerbranche operativ wie auch finanziell verstärkt unter Zugzwang. Stadtwerke stehen dabei vor großen Investitionsentscheidungen, verschiedene Großprojekte werfen ihre Schatten voraus: vom Netzausbau über den Aufbau erneuerbarer Energien bis hin zum Launch eines Lösungsgeschäfts gibt es zahlreiche Projekte, die erhebliche Herausforderungen darstellen.

Ein Trend, der gerade erst an Fahrt aufnimmt: Für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre zeichnen sich Investitionsvolumina gegenüber heute ab, die rund das Drei- oder Vierfache der heutigen Investitionen bedeuten. Der Hochlauf beginnt bei vielen EVU bereits ab dem Jahr 2026, allerdings sinken in vielen Geschäftsfeldern (Stromerzeugung, Commodities Vertrieb, Gasnetze) perspektivisch die Ergebnisbeiträge. Der Rückgang dieser Cash-Flows reduziert die Fähigkeit der Innenfinanzierung und kann eine gefährliche Abwärtsspirale einläuten. Für Entscheider gilt es nun, die Weichen zu stellen, um auch in Zukunft handlungsfähig zu bleiben.

Klassische Finanzierungsansätze kommen an ihre Grenzen

In der Vergangenheit haben Stadtwerke ihren Investitionsbedarf in der Regel aus Innenfinanzierungen vorgenommen. Das heißt, die Unternehmen haben Teile der Gewinne reinvestiert und darüber hinaus Bankdarlehen verwendet, um Ihre Investitionen zu finanzieren.
Aufgrund der anstehenden transformatorischen Projekte und der Belastungen etablierter Cash-Cows, wird dieser etablierte Ansatz in der Zukunft nicht mehr ausreichen, um im aktuellen Bestandsgeschäft im Wettbewerb um Kunden – wie auch im Rennen um die Dekarbonisierung – schritthalten zu können.

Es bedarf neuer Finanzierungsansätze und eines breiten und individuellen Finanzierungs-Mixes. Hierbei gilt es, die Bedürfnisse des Energieversorgers mit denen seiner Anteilseigner in Einklang zu bringen. Auch muss dabei sichergestellt werden, dass das EVU nicht nur den nötigen Kapitalbedarf deckt, sondern auch stets in der Lage ist, seine finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen und seine Wachstums- und Transformationsziele zu erreichen.

Alternative Ansätze rücken ins Blickfeld

Diese Gemengelage legt einen Paradigmenwechsel innerhalb der Branche nahe. Bevor Entscheider also über Lösungen zur Finanzierung nachdenken, sollten auch die Möglichkeiten der Vermeidung von klassischen Einmal-Investitionen in Betracht gezogen werden. Ideen zum Anlagen-Leasing oder zur Digitalisierung in Netzen und Anlagen sind hier gangbare und bereits erprobte Ansätze. Auch die Verbesserung der Innenfinanzierungsfähigkeit durch Effizienzsteigerungsinitiativen und Kostensenkung kann einen Beitrag leisten.

Vielen EVU ist bereits heute klar, dass sie “neues” Eigenkapital benötigen. Woher dies kommen soll, ist in vielen Fällen jedoch noch offen. Die Möglichkeit, mit bestehenden Gesellschaftern eine Kapitalerhöhung zu vereinbaren, ist meist vor dem Hintergrund der angespannten Finanzsituation in den Kommunen begrenzt. Aus Zeiten der Vollausschüttung kommend, ist die anteilige Thesaurierung von Gewinnen und damit eine Reduzierung der Ausschüttung häufig der einzig realistische Kompromiss zwischen den beteiligten Parteien.

Alternative Instrumente der Eigenfinanzierung in Form von privatem Kapital rücken in den Fokus. Durch Mezzanine-Kapital, oft von Bürgern oder Versicherungen zur Verfügung gestellt, ist auch die Finanzierung von Projekten über Kooperationspartner möglich. Diese werden häufig über die Gründung einer gemeinsamen Gesellschaft, die entsprechend mit Eigenkapital ausgestattet wird, beteiligt. Auch die Finanzierung einzelner Assets durch Dritte – man denke etwa an Wärmeerzeugungsanlagen oder Netze – wird in der kommenden Zeit zunehmen.

Energiewende-Fonds hätte viel Potenzial

Jedoch kommt frisches Kapital von privaten Investoren oft nicht ohne Herausforderungen. Zum einen sind Investitionen oft erst ab einer Höhe von 20 bis 30 Mio. Euro für größere Investoren interessant, zum anderen ist mit einer Verzinsung von 9 bis 13 Prozent, je nach Risikoverteilung, zu kalkulieren. Bedingungen, welche den Spielraum von Energieunternehmen von vornherein einschränken dürften. Auch deshalb kann der Vorschlag von BDEW und VKU zur Bereitstellung eines Energiewende-Fonds zur Finanzierung der Transformation eine echte Alternative für Stadtwerke werden.

Das gesellschaftliche Mammutprojekt der Energiewende erfordert nun entschlossene Maßnahmen auf Seite der Utilities, komplexe Neuprojekte müssen schnell umgesetzt werden, um Dekarbonisierungsziele zu erreichen und als Dienstleister weiterhin relevant zu bleiben.  

Thesaurierungen nehmen zu

Bereits heute sehen wir erste Ansätze zur Diversifizierung der Finanzierungsinstrumente. Das zeigt etwa das Beispiel der Stadtwerke Stuttgart mit einer Eigenkapitalerhöhung von 100 Mio. Euro. Wir sehen auch zahlreiche Thesaurierungen bei Stadtwerken in der Größenordnung von 50 Prozent und mehr sowie das ESG-Linked-Schuldscheindarlehen der Stadtwerke Düsseldorf mit einem Volumen von 145 Mio. Euro. Die entschiedene Öffnung gegenüber externen Investoren ist also bereits im Gange, erfordert aber auch eine Umstellung der EVU, da neue Instrumente evaluiert werden müssen, neue Abläufe und Offenlegungspflichten implementiert werden sollten.

Unausweichlich ist, dass die kommunalen Anteilseigner ihren Stadtwerken den notwendigen finanziellen Spielraum lassen, um auch langfristig in die Zukunft zu investieren. Die Stadtwerke können den Transformationsprozess nur gestalten, wenn sie die notwendigen Investitionen auch tätigen dürfen.

Dies bedeutet für Kommunen einen schmerzhaften Einschnitt. So führen die guten Jahresüberschüsse der letzten Jahre und der ebenfalls hohe Finanzierungsbedarf der meisten Kommunen häufig zu schwierigen Ausgangslagen bei Verhandlungen. Eine höhere Ausschüttung – anstatt Gelder für die anstehenden Investitionen im Unternehmen zu belassen – kann sich in Zeiten beschleunigter Transformationsprozesse schnell rächen.

Ausblick und Fazit

Für die meisten EVU geht es zunächst darum, Transparenz über die langfristige Finanz- und Liquiditätssituation zu schaffen. Hierzu werden die künftigen Geschäftsentwicklungen für alle Geschäftsfelder entlang der finanziellen Größen wie Erlöse, Ergebnis, Investitionen und Kapitalentwicklung modelliert. Auf der Basis kann dann der jeweils passende Finanzierungs-Mix abgeleitet werden.

Ohne Zweifel werden in der kommenden Dekade die Weichen für dauerhaften Erfolg in der Branche gestellt: Die Finanzverantwortlichen der Industrie sind aufgefordert, neue Wege zu erproben und dabei gleichzeitig den Dialog zwischen Anteilseignern im Sinne der langfristigen Resilienz ihrer Unternehmen zu gestalten. Das Zeitfenster für diese Entscheidungen wird sich innerhalb der nächsten Dekade schließen, sodass der Handlungsdruck zunehmend erheblicher wird.

(Gastautor Olaf Geyer arbeitet seit vielen Jahren in der Strategie-Beratung von Stadtwerken und Energieversorgern. Er ist Partner und Head of Energy, Utilities and Ressources Practice Central Europe bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little).