Kritik an 1Komma5Grad: "Es gibt keinen kostenlosen Strom"

Philipp Schröder ist Gründer und CEO von 1Komma5Grad.
Bild ©1Komma5Grad/Bearbeitung: ZfK
Damit ginge er auch vor Gericht, erklärt 1Komma5Grad-CEO Philipp Schröder. Das Energieunternehmen bietet "Deutschlands günstigsten Strom ab 0 Cent/kWh" an, manchmal werben die Hamburger auch mit "kostenlosem Strom".
Zu dem Claim steht der CEO. Bei den Mitbewerbern kommt das nicht gut an, was mehrere Gründe hat, die den eigentlichen Slogan weit übertreffen.
1Komma5Grad richtet sich mit einem dynamischen Tarif und dem Energiemanagementsystem "Heartbeat" an Hausbesitzer. Kritiker meinen, dass diese aufgrund des Werbeversprechens annehmen müssten, dass mit dem "kostenfreien Strom" ein durchschnittlicher Wert gemeint sei, also am Ende des Jahres keine Stromkosten angefallen sind.
Konkurrenz findet Versprechen unseriös
Der beworbene Preis kommt jedoch nur stundenweise zustande. Ein Branchenexperte erklärt: "Es gibt keinen kostenfreien Strom, selbst bei negativen Strompreisen muss das Netzentgelt gezahlt werden." "Man spürt das wachsende Misstrauen in die Branche, ausgelöst durch falsche Werbung und windige Versprechen", kommentierte ein Solarunternehmer. Die Sorge dahinter: Das Geschäftsgebaren eines einzelnen Unternehmens schade letztlich dem Image aller Solarunternehmen.
Wie solch ein Angebot verwirrend sein kann, erklärte Kristoph Siemens, Lead Sales bei Rabot Energy, in einem Video auf LinkedIn. Sein Vater habe ein Prospekt mit dem Slogan "Kostenloser Strom für Braunschweig" bekommen, berichtet er. Im Text des Prospekts hieß es weiter, dass Heartbeat-Kunden im Schnitt bereits 80 Prozent ihrer Stromkosten sparten. Der Vater habe seinen Sohn also gefragt, warum sein Unternehmen mit dem dynamischen Tarif nur 40 Prozent der Stromkosten senken könnte. "Da habe ich ihm gesagt: Das würde ich auch gerne wissen."
80 Prozent niedrigere Stromkosten sind mit PV-Anlage möglich
"Besonders schade ist es für die Unternehmen, die mit ehrlichen und realistischen Aussagen arbeiten und nun das Nachsehen haben", kommentierte Enerix-Geschäftsführer Peter Knuth das Video. "Die Erkenntnis, dass man auf leere Versprechen hereingefallen ist, kommt beim Kunden leider oft erst zu spät“ Die beworbene Kostensenkung ist laut dem Fachmann aber nur mit einer Kombination aus PV, Speicher und Energiemanagementsystem realistisch. "Aber wer weiß, vielleicht hat der Anbieter wirklich den magischen Tarif entdeckt?", meint Knuth ironisch.
So rechnet 1Komma5Grad
Dass der Strom immer kostenfrei ist, möchte Schröder auch nicht behaupten – als Werbeslogan sei "kostenfreier Strom" aber zulässig, da er in bestimmten Situationen mit Negativstrompreise zutreffe. Seit Mai habe das Unternehmen Daten veröffentlicht, die das Sommerhalbjahr betreffen. Daraus ginge hervor, dass 40 Prozent der Kunden, einschließlich der Anschaffungskosten für die Solaranlage, Kosten von weniger als null Cent haben.
Dies sei darauf zurückzuführen, dass durch Überschusseinspeisung, Eigenverbrauchsvorteile und optimierter Netzbezug mehr Einnahmen generiert werden, als Kosten anfallen.
"Wir behaupten auch nicht, dass der Netzstrompreis null beträgt,
da sonst keine Preisgarantie notwendig wäre."
- Philipp Schröder, 1Komma5Grad
"Wir behaupten auch nicht, dass der Netzstrompreis null beträgt, da sonst keine Preisgarantie notwendig wäre. Stattdessen kommunizieren wir den Preisdeckel, da die Mischkalkulation in der Regel deutlich vorteilhafter ist", erklärt er. "Wir bleiben dabei, dass Kunden mit guten Voraussetzungen dauerhaft und im Schnitt auch kostenlos versorgt werden."
In Zukunft werde sich die Situation ändern. "Die Werte aus den letzten 7 Monaten werden durch dynamische Netzentgelte noch besser werden: Ab 2025 kommen die negativen Preise noch besser an, da die Netzentgelte teilweise von 24 Cent auf 1 Cent abgesenkt werden", sagt Schröder. "Außerdem haben wir errechnet, dass wir mit dem Paragraphen 14a, dynamischen Netzentgelten und sonstiger Direktvermartung höhere Erträge im Verkauf am Intraday Market erzielen als im EEG."
Neuen Hinweis eingeführt
Auf einen Kritikpunkt ist 1Komma5Grad eingegangen: "Wir haben unsere Inhalte entsprechend angepasst. Überall wurde der Zusatz eingefügt, dass das optimale Preisversprechen nur in Verbindung mit einer Solaranlage gilt."
Wenn man Schröder zuhört, kann der Eindruck entstehen, dass es eine Kampagne gegen 1Komma5Grad gibt. "Ich verstehe das auch nicht so ganz, wir verkaufen kein Haarwuchsmittel oder irgendwelche Pastinakensalben, sondern wir machen Energiewende und wir können es jetzt auch nicht ändern, dass die meisten Kunden am Ende mehr Einnahmen haben, als sie Ausgaben haben."
"1Komma5Grad profitiert von einer Sondersituation."
Überzeugen kann Schröder seine Kritiker damit jedoch nicht. "1Komma5Grad profitiert von einer Sondersituation mit negativen Strompreisen – das wird aber nicht lange so bleiben“, meint ein Fachmann. "Das ist ein Marktfehler gegen den die BNetzA auch vorgehen will. Die EEG-Vergütung bei negativen Preisen soll schließlich auch wegfallen."
Hart umkämpfter Solarmarkt
Der Wettbewerbsdruck in der Solarbranche ist stark gestiegen: Die Meldungen von Insolvenzen häufen sich und die PV-Neuinstallationen in diesem Jahr sind um ein Drittel eingebrochen. Die Lage ist also angespannt.
1Komma5Grad hingegen ist laut seinem CEO ein gegen den Trend skalierendes Unternehmen: "Unsere Auftragswerte wachsen in Deutschland organisch im Schnitt 50 bis 60 Prozent.“ Auch weitere Übernahmen seien geplant.
Politische Verwerfungen
Dass 1KommaGrad offenbar in Teilen der Solarbranche wenig beliebt ist, könnte auch mit den auseinandergehenden politischen Interessen zusammenhängen. Schröder wirbt für ein "New Solar" und setzt auf Komponenten aus China – während einige in der Branche Wert auf "Made in Germany" und hohe Standards in der Ausbildung legen, so erklärt es ein Brancheninsider gegenüber der ZfK.
Dazu äußerte 1Komma5Grad sich wie folgt: "Unser Produktmix ist überwiegend made in Europe! 100 Prozent unserer Ladeinfrastruktur kommt nicht aus China, unsere Wärmepumpe ist Stiebel und beim Solarmodul nutzen wir sogar in Deutschland produziertes Polysilizium, was unsere Produkte hochwertiger und am Ende auch teurer macht. Das bieten so weniger als fünf Prozent des Marktes an."
Kritik an der Debatte
Zwei von der ZfK angefragte Branchenexperten kritisieren die Diskussion und Polarisierung um 1Komma5Grad – auch wenn sie inhaltlich nicht mit dem Unternehmen übereinstimmen. "Wir haben genug eigene Themen, mit denen wir uns auseinandersetzten müssen: Was wir brauchen ist mehr Solar", meint eine Expertin.
Ein anderer Branchenkenner erklärt, dass sich die Solarindustrie angesichts der nächsten Bundestagswahl stärker miteinander solidarisieren sollte: "Wenn wir eine konservative Regierung bekommen, brauchen wir eine geeinte Stimme." (pfa)
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Anmerkung der Redaktion:
Änderung um 11:30 Uhr, 24. Oktober: Der Hinweis "1Komma5Grad rechnet oft ohne Netzentgelte" wurde entfernt. Wie das Unternehmen hinwies, sind die Netzentgelte bei der im Artikel besprochenen Kalkulation eingepreist: "Wir beziehen uns immer auf den effektiven Strompreis, unseren Heartbeat-Preis: Er beinhaltet bereits Abgaben, Umlagen, Netzentgelte & Steuern."