Stirbt der Vertrieb des klassischen Stromtarifs bald aus?

Was passiert mit dem Vertrieb, wenn Maschinen mit Maschinen reden?
Bild: © AdobeStock/KI generiert
Von Pauline Faust
Statt mit einem Kunden werden Energieversorger schon in wenigen Jahren mit einer KI kommunizieren. Genauer gesagt, dessen persönlichem KI-Assistenten, der im Auftrag des Kunden den besten Stromliefervertrag raussucht und verwaltet. Und statt einem Sachbearbeiter wird wiederum die KI des Versorgers den Kunden betreuen.
Dies ist eine These, die in der Branche zum Vertrieb der Zukunft auf dem BDEW-Kongress in Berlin am 4. Juni angeregt diskutiert wird. "Wenn in fünf Jahren eine KI mit einer KI spricht, worauf müssen wir uns einstellen?", fragt Diana Rauhut, Vorständin der Mainova. Zwar habe Mainova Zukunftspläne, doch angesichts der rapiden Entwicklung im KI-Bereich stellt sich die Frage, ob man sich nicht komplett neu aufstellen müsste.
"Der Vertrieb von morgen ist automatisiert, vernetzt und KI-gestützt", meint auch Oliver Hoffmann, Geschäftsführer von Respect Energy. Sein recht junges Unternehmen (Gründung 2013) stelle sich nach dieser These auf. "Aktuell beobachten wir, dass viele Kundinnen und Kunden noch mit den Nachwirkungen der Energiekrise zu kämpfen haben – insbesondere mit sehr hohen Energiepreisen aus bestehenden Verträgen. Wenn diese zu uns wechseln, können sie häufig 3, 4 oder sogar 5 Cent pro Kilowattstunde sparen. Das ist für viele ein ausschlaggebender Grund zum Anbieterwechsel." Respect Energy profitiere dabei davon, dass die Cost-to-Serve – also die Kosten, die pro betreutem Kunden anfallen – dauerhaft niedriger sind. "Das liegt daran, dass wir keine historisch gewachsene Systemlandschaft und keine schwerfälligen Prozesse mit uns tragen, auch unsere schlanken Strukturen und der gezielte Technikeinsatz ermöglichen es uns, besonders effizient zu arbeiten."
Hoffmann betont zudem den Wandel zum Prosumer. Nähe zum Kunden werde künftig durch Partizipation geschaffen (dynamische Tarife, bidirektionales Laden etc.).
Vor dieser Herausforderung steht auch Martina Butz, Geschäftsführerin der Stadtwerke Hanau. "Wir sind divers aufgestellt und haben auch ländliche Gebiete im Versorgungsbereich", sagt sie. Gerade dort sei das Thema integrierte Lösungen sehr groß: "Wir haben vor vielen Jahren schon gesagt, dass wir Energiedienstleister sind."
Butz: auch Kunden in der Grundversorgung mitnehmen
Allerdings gebe es auch die Kunden in der Stadt und unter ihnen viele in der Grundversorgung. "Ein Großteil der Kunden weiß nicht, woher der Strom kommt." Nicht jeder wolle sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzten und diese Kunden müssten die Stadtwerke auch in Zukunft noch ansprechen. "Die Kundengruppe wird zwar kleiner, aber sie ist da und sie ist ein großer Bestandteil unserer Tätigkeit", so Butz.
Einen weiteren Umbruch im Vertrieb sieht Torben Schuster, Head of Energy Transition & Utilities beim Beratungsunternehmen Capgemini Invent. "Der Wert eines Kunden in 2035 misst sich nicht am Energieverbrauch, sondern an seiner installierten Leistung, die er hat und die ich steuern kann, wie flexibel diese Leistung ist und wie lange man den Kunden binden kann", sagt Schuster in einem Thesen-Vortrag. Dies sei ein kompletter Wandel, da sich die Frage stelle, ob Energievertriebe diese maßgeschneiderten Produktpaletten überhaupt anbieten könnten, oder ob es dafür nicht auch starke Verbundpartner bräuchte. Die Daseinsberechtigung für einen Energievertrieb würde sich dann aus seiner Fähigkeit, Kunden zu erreichen und zu binden ergeben.
KI weiß, was der Kunde will
Durch die KI entstünden zudem hohe Potenziale zur Kundenbindung: "Ich kann alle Informationen über den Kunden sammeln, was er in seiner Customer- und Lebens-Journey braucht." So könnte der Versorger pro-aktiv auf den Kunden zugehen und zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Lösungen anbieten, etwa einen preiswerteren Stromvertrag oder ein ergänzendes Produkt.
"Mit richtigem KI-Einsatz lasse ich den Kunden nicht spüren, dass ich in einem Massengeschäft bin und ich alle seine Daten sammle, dokumentiere und intelligent aufbereite." Auch könnte so sichergestellt werden, dass die Ressourcen in die Bindung der relevanten Kunden fließen.