Strom

Ausbau von Bayerns Windkraft erreicht neuen Tiefpunkt

Saubere und bezahlbare Energie findet jeder gut. Trotzdem sind gerade Windräder in Bayern ein Dauerstreitthema. Mit Folgen: Im Freistaat werden inzwischen praktisch keine Anträge mehr gestellt.
17.01.2022

Der Druck auf Bayerns Regierung steigt: Sowohl die Ampel-Koalition als auch die Wirtschaft im Freistaat wollen die 10H-Regel abgeschafft sehen.

Der ohnehin seit Jahren nur noch schleppende Ausbau der Windkraft in Bayern ist im vergangenen Jahr an einem neuen Tiefpunkt angekommen. Zwar wurden in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres im Freistaat immerhin noch sechs neue Anlagen genehmigt, im gleichen Zeitraum wurden aber erstmals seit Einführung der 10-H-Abstandsregel keinerlei neue Genehmigungsanträge für neue Windräder gestellt.

Das geht aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf Anfrage der Grünen im Landtag hervor, die der Deutschen Presse-Agentur in München vorliegt. Zum Vergleich: 2012 wurden 271 Genehmigungsanträge gestellt, 2013 waren es 400, 2014 waren es 220 und 2020 lediglich drei.

Seehofers Erbe

«Bei der Windkraft sind wir in Bayern jetzt auf dem Nullpunkt angelangt», sagte der energiepolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Martin Stümpfig. Damit sei nach mehr als sieben Jahren 10-H-Regel der Tiefstpunkt erreicht. «Das heißt auch: wenn heute nichts beantragt wird, wird auch die nächsten Jahre kein Zubau erfolgen, denn die Genehmigungsverfahren dauern im Schnitt vier Jahre. Jetzt muss deshalb endlich die Windkraft durch Abschaffung von 10H zum Leben erweckt werden.»

Die 10-H-Regel schreibt vor, dass der Abstand eines Windrades zu Wohnsiedlungen mindestens das Zehnfache der Bauhöhe betragen muss - bei 200 Meter Rotorhöhe also zwei Kilometer. Die Vorschrift von 2014 geht auf Ex-Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) zurück.

Söder und Aiwanger müssen Rechenschaft ablegen

Über die Abstandsregeln wird seit Jahren viel gestritten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will am Donnerstag mit der Staatsregierung über das Thema sprechen, da die neue Bundesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien forcieren will. Jüngst forderte auch die eigentlich CSU-nahe Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) eine Abschaffung der 10-H-Regel. Die CSU lehnt dies aber bislang weiterhin ab. Sie setzt für Bayern auf alternative erneuerbare Energien wie Sonne und Geothermie.

Die SPD fordert wegen des Streits eine Regierungserklärung zur Energieversorgung des Freistaats. «Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) müssen die Frage beantworten, wie in Bayern Wirtschaft und Verbraucher mit klimaneutraler Energie zu bezahlbaren Preisen versorgt werden sollen», sagte SPD-Fraktions- und Landeschef Florian von Brunn der dpa in München. Die SPD im Landtag ist für die Abschaffung der 10-H-Regel, notfalls auch über eine Änderung des Bundesrechts durch die neue Ampelregierung von SPD, FDP und Grünen in Berlin.

Der Druck steigt

Mit Blick auf Söders Aussagen zu regenerativen Energiealternativen in Bayern zur Windkraft betonte von Brunn: «Bei der Wasserkraft sind die Potenziale fast ausgereizt und bei der Geothermie gibt es seit Jahren von Regierungsseite Stillstand und nur Ankündigungen. Auch die bayerische Wirtschaft fordert vehement eine Aufhebung von 10H.»

Für Stümpfig belegen die Zahlen zum Ausbau eindrücklich, dass die Aussage der CSU, 10-H würde die Akzeptanz von Windrädern in der Bevölkerung steigern, einfach nur Quatsch sei. «Für mehr Akzeptanz braucht es Bürgerbeteiligung, transparente Verfahren und ein klares Bekenntnis der Politik zur Windkraft», betonte er.

150 bis 200 Anlagen bräuchte es im Freistaat jährlich

In Betrieb gingen im vergangenen Jahr in Bayern nur acht Windanlagen. Zugleich gingen 2021 zwei Anlagen wieder vom Netz, so dass unter dem Strich nur sechs Anlagen neu hinzugekommen sind. Bayern hat damit den geringsten Bruttozubau in Bezug auf die Fläche, wie der bayerische Länderbericht zur Windkraft aufzeigt. «Die Flaute der letzten Jahre setzt sich nahtlos fort. Das ist aber dramatisch für das flächengrößte Bundesland – ein riesiges Potenzial wird verschenkt», sagte Stümpfig. Für eine saubere Energieversorgung und zum Erreichen der Klimaziele brauche es in Bayern 150 bis 200 Anlagen pro Jahr.

Söder machte indes nicht den 10-H-Erlass, sondern die natürlichen Gegebenheiten verantwortlich. «In Bayern eignen sich weniger Flächen für Windkraft, so dass dann in wenigen Gebieten sehr viele Windräder geballt stehen müssten – mit allen Akzeptanzproblemen, die das in der Bevölkerung auslöst», sagte der CSU-Chef dem «Handelsblatt».

Hälfte der ausgewiesenen Flächen ist frei

Dies ist laut Stümpfig nicht richtig: Ein Ausweg ist schon aufgezeigt: Mehr als die Hälfte der ausgewiesenen Windkraftflächen in Bayern seien noch frei, betonte er. Söder selbst habe im Sommer 2021 angekündigt, die Abstandsregel in den sogenannten Vorranggebieten auf 1000 Meter zu reduzieren. Dadurch könne der Windenergie schnell benötigte Fläche zur Verfügung gestellt werden. «Jetzt gilt es endlich mal die Ankündigungen auch in Taten umzusetzen», sagte Stümpfig. In den kommenden zwei Jahren müsse die verfügbare Fläche dann von derzeit 0,5 Prozent auf 2 Prozent erweitert werden.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Oliver Krischer (Grüne), appellierte an die Kooperationsbereitschaft der Länder. «Keine Landesregierung wird sich dem notwendigen Ausbau entziehen können, wenn sie Klimaschutzziele erreichen und Versorgungssicherheit garantieren will», sagte er der Düsseldorfer «Rheinischen Post» (Montag). (lm/dpa)