Strom

Ein Strommarkt taucht ab: Was hinter den vielen Negativstunden steckt

Warum verschenken Kraftwerksbetreiber eigentlich lieber Strom oder zahlen drauf, als ihre Anlagen herunterzufahren? Unter anderem dieser Frage geht das Analysehaus Energy Brainpool in einem Gastbeitrag nach.
22.01.2024

An 301 Stunden bewegte sich der deutsche Day-Ahead im vergangenen Jahr in negativem Terrain.

Von:
Sebastian Ligewie,
Energieanalyst
Energy Brainpool


Die Hoffnung auf weiße Weihnachten blieb zwar auch 2023 unerfüllt, dafür überraschten die Spotmärkte sowohl an Heiligabend als auch am Tag darauf fast durchgehend mit Strom zu negativen Preisen. Verantwortlich dafür war das Sturmtief Zoltan, das deutsche Windkraftanlagen kräftig antrieb.

Wirklich selten ist es mittlerweile nicht mehr, dass es an Feiertagen zu sogenannten Negativstunden kommt. Bemerkenswerter ist, dass dieses Phänomen auch immer öfter außerhalb der Feiertage auftritt.

Aufwärtstrend auch in Frankreich

In Deutschland ist die Anzahl der Negativstunden seit 2018 spürbar gestiegen, von 27 auf 301 Stunden im Jahr 2023. Doch mit dieser Entwicklung sind die deutschen Märkte keinesfalls alleine.

Auch unsere Nachbarn in Frankreich und den Niederlanden verzeichnen einen ähnlichen Aufwärtstrend, mit 147 Stunden für Frankreich und sogar 316 Stunden für die Niederlande. Noch mehr Negativstunden häufte die schwedische Gebotszone 4 mit 368 Stunden an, nachdem sie jahrelang auf vergleichsweise niedrigem Niveau verharrt hatte.

Strom verschenken statt Anlagen herunterfahren?

Damit negative Preise auf den Spotmärkten aufscheinen, muss das Angebot an Erzeugern, die zu einem Preis unter null bieten, die Nachfrage übersteigen.

Dies mag zunächst kontraintuitiv erscheinen: Warum sollten Kraftwerksbetreiber lieber Strom verschenken oder draufzahlen, als ihre Anlagen herunterzufahren?

Herunterregeln nicht immer so leicht möglich

Jedoch ist ein Herunterregeln für Kraftwerke nicht immer so leicht möglich. Beispielsweise unterliegen ältere Kohlekraftwerke technischen und organisatorischen Einschränkungen. Diese verringern die schnelle Anpassung bei Lastwechsel.

Auch können es wärmegeführte Heizkraftwerke oder ein Bieten an den Regelenergiemärkten notwendig machen, dass entsprechende Kraftwerke unabhängig von den Marktpreisen ihren Strom anbieten müssen. Selbst bei Negativstunden erhalten sie die gleiche Vergütung. Folglich speisen sie auch dann Strom ins Netz ein, wenn eigentlich ausreichend Strom vorhanden ist.

Marktsignal für mehr Flexibilität

Zusammenfassend lässt sich sagen: Wenn eine hohe erneuerbare Erzeugung auf einen unflexiblen fossilen Kraftwerkspark trifft, können negative Preise entstehen. Diese sind nicht per se schlecht.

Vielmehr sind sie ein Indikator für die wachsende Durchdringung der erneuerbaren Energien der Strommärkte. Sie sind zudem als Marktsignal für mehr Flexibilität zu verstehen.

Neue Flexibilitäten durch Sektorkopplung

Hierfür muss zum einen der Kraftwerkspark so umgebaut werden, dass unflexible konventionelle Kraftwerke durch erneuerbare Erzeugungsanlagen ersetzt werden, die sich schnell hoch- und herunterfahren lassen. Zum anderen müssen auch auf Verbraucherseite durch Sektorenkopplung neue Flexibilitäten entstehen.

Das Berliner Analysehaus Energy Brainpool schreibt jeden Monat für die ZfK-Printausgabe eine Kolumne zu neuen Entwicklungen auf den Energiemärkten, die nun auch online veröffentlicht wird. Thema des vorangegangenen Artikels: "Aufstrebender PPA-Markt: Wohin geht die Reise?"

Info: Täglich aktualisierte Energiemarktdaten und -grafiken finden Sie hier im ZfK-Datenraum, der in Kooperation mit Energy Brainpool befüllt wird.