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Das Whistleblower-Gesetz geht an den Start

Am 2. Juli tritt das lang erwartete Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft – es schützt Menschen, die Missstände in Unternehmen und Behörden aufdecken. Was bedeutet das für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber?
28.06.2023

Eine Meldestelle für vertrauliche Informationen braucht jedes Unternehmen mit über 50 Mitarbeitern.

Spätestens seit den Enthüllungen von Julian Assange, Edward Snowden und Chelsea Manning dürfte jeder den Begriff "Whistleblower" kennen – es geht um Menschen, die Missstände in Unternehmen und Behörden aufdecken. Bisher waren diese gesetztlich nicht ausreichend geschützt. Monatelang wurde darüber verhandelt, wie das neue Hinweisgeberschutzgesetz (auch Whistleblower-Gesetz genannt) aussehen soll. Mit dem zweiten Juli 2023 wird es nun wirksam.

In Deutschland hätte eine entsprechende EU-Richtlinie schon im Dezember 2021 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Die EU-Kommission verklagte Deutschland deshalb im Februar vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). 

Betroffen sind von dem neuen Gesetz alle Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern sowie Behörden. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts gab es davon im Jahr 2021 rund 90 000 in der Bundesrepublik.

Wichtige Fragen und Antworten zum Gesetz:

Was beinhaltet das Whistleblower-Gesetz?

Hinweisgeber, die auf Fehlverhalten in Behörden und Unternehmen aufmerksam machen, sollen durch das Gesetz vor Entlassung und Schikanen geschützt werden. Dafür müssen Unternehmen Anlaufstellen schaffen, die solche Meldungen vertraulich entgegennehmen und bearbeiten. Wer gegen das Gesetz verstößt, dem droht ein Bußgeld von bis zu 50 000 Euro. Zusätzlich wird beim Bundesamt für Justiz eine externe Meldestelle geschaffen. Whistleblower können entscheiden, ob sie Verstöße intern oder extern melden.

Gab es so etwas nicht schon?

Laut Gesetzentwurf der Bundesregierung setzen Großunternehmen bereits mehrheitlich auf Meldestellen. Der Energieversorger Eon hat nach eigenen Angaben seit 2016 ein zentrales Hinweisgebersystem. Sowohl Mitarbeiter als auch Dritte könnten sich schriftlich oder per Sprachnachricht an eine Hinweisgeber-Hotline wenden. Auch für VW, BMW und Mercedes-Benz bringe das Gesetz keine wesentliche Veränderung mit sich, teilten die Autohersteller mit. «Wir schärfen lediglich die Prozesse der Kommunikation mit der Personalabteilung im Hinblick auf potenzielle Hinweisgeberbenachteiligung [...] nach», hieß es bei BMW.

Wieviel wird es kosten, die fehlenden Meldestellen einzurichten?

Während in vielen Großunternehmen Meldestellen längst üblich sind, fehlen bei kleinen und mittleren Firmen noch etwa 10 000 Meldestellen. So sagt es der Gesetzentwurf der Bundesregierung. Bis zu vier Unternehmen könnten sich aber eine Meldestelle teilen.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die einmalige Einrichtung der internen Meldestellen die deutsche Wirtschaft rund 190 Millionen Euro kosten wird. Für mittlere Unternehmen seien das im Schnitt etwa 12 500 Euro pro Meldestelle, für große Unternehmen bis zu doppelt so viel. Schätzungen der Bundesregierung zufolge sollen sich die jährlichen Personal- und Sachkosten auf rund 5800 Euro pro Meldestelle belaufen.

"Die einmalige Einrichtung der internen Meldestellen wird die deutsche Wirtschaft rund 190 Millionen Euro kosten."
Aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung

Warum gab es den langen Streit bis zur Umsetzung?

Ein erster Entwurf der Bundesregierung war vom Bundesrat gestoppt worden. Die unionsregierten Länder befürchteten eine übermäßige finanzielle Belastung von kleinen und mittleren Unternehmen. Der nun erreichte Kompromiss sieht vor, dass die geplanten Meldestellen für Hinweisgeber nicht dazu verpflichtet sind, auch anonyme Meldungen möglich zu machen. Bei Bußgeldern wurde die Obergrenze von 100 000 Euro auf 50 000 Euro heruntergesetzt.

Werden Missstände am Arbeitsplatz nun wirklich schneller aufgedeckt?

Die Richtlinie sei ein Meilenstein für einen besseren Schutz von Whistleblowern, sagte der Jurist David Werdermann. Der Verfahrenskoordinator der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) bemängelte aber auch Lücken. Durch den Kompromiss sei das Gesetz an entscheidender Stelle verwässert worden: die Anonymität. Annegret Falter, die Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks, sagt dazu: «Zwar verbietet das Gesetz Repressalien gegen Whistleblower, gänzlich verhindern wird es sie leider nicht.» Ein Unterstützungsfonds, um zum Beispiel rechtliche und psychologische Beratung zu finanzieren, sei nicht vorgesehen. Der Entschädigungsanspruch bei immateriellen Schäden, wie infolge von Mobbing, sei dem Kompromiss zum Opfer gefallen.

"Wer gegen das Gesetz verstößt, dem droht ein Bußgeld von bis zu 50 000 Euro."
Aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung

Was sind die Folgen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?

Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), sagt, das Hinweisgeberschutzgesetz könne zu einer Kultur in Unternehmen beitragen, in der Whistleblower nicht mehr als Querulanten gelten. «Wer den Mut hat, Missstände zu melden, sollte nicht Repressalien und Nachteile befürchten müssen, sondern verdient Dank und Anerkennung.»

Trotz der entstehenden Kosten für kleine und mittlere Unternehmen sieht die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Vorteile für die Unternehmen: Da auf die verpflichtende Anonymität der Meldeverfahren verzichtet wurde, hält dies den bürokratischen Aufwand gering und entlastet kleine Unternehmen. Außerdem könne kein Unternehmer etwas dagegen haben, Fehlentwicklungen im eigenen Betrieb frühzeitig aufzudecken und zu korrigieren.

Läutet das Gesetz einen Wandel ein?

Einige Unternehmen wollen nun eine sogenannte Speak-up-Kultur fördern, um ihre Mitarbeiter darin zu bestärken, Verstöße zu melden. Die Deutsche Post teilte beispielsweise mit, den Beschäftigten werde klar kommuniziert, dass "ihre abgegebenen Hinweise mit größtmöglicher Vertraulichkeit behandelt und sie bei Abgabe eines Hinweises in gutem Glauben vor Vergeltungsmaßnahmen geschützt werden".

Der Technologiekonzern Bosch mache im Arbeitsalltag auf das Thema aufmerksam: «durch Aktionen der Compliance Offices vor Ort und digital, interaktive Angebote wie beispielsweise einen Compliance-Selbsttest, Compliance-Dialoge in den Abteilungen und weltweite Sensibilisierungs-Kampagnen.»

So kann jedes Unternehmen eigene Wege schaffen, um seinen Mitarbeitern das Melden von Missständen zu erleichtern und ihnen die Angst vor unguten Konsequenzen zu nehmen. (dpa/ah)