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Tabuthema: Was die Wiener Stadtwerke bei psychischer Belastung anders machen

Im Kommunalunternehmen soll das Thema offen angesprochen werden können. Eines der Leuchtturmprojekte des Unternehmens und der erste Teil der ZfK-Themenreihe "Gesundheitsmanagement im Fokus", der aus dem VKU-Personalnetzwerk entstanden ist.
16.05.2025

Eine Studie belegt, dass lediglich 21 Prozent der Beschäftigten im Arbeitskontext über psychische Belastungen sprechen. Im Familien- oder Freundeskreis sind es hingegen 63 Prozent.

Von Boris Schlizio

Was ist "Best Practice" in der kommunalen Personalarbeit? Wie können Personalerinnen und Personaler voneinander lernen? Es muss nicht jedes Mal das Rad neu erfunden werden – Fehler müssen sich nicht wiederholen, sondern Lösungsansätze lassen sich gemeinsam entwickeln. Hier setzt das VKU-Personalnetzwerk an: ein freiwilliger, lockerer Zusammenschluss von Fach- und Führungskräften aus dem Bereich Human Resources.

"Die Zahl der Anmeldungen wächst kontinuierlich", sagt Heiko Schäffer, Geschäftsführer der Abteilung Zentrale Dienste, Digitales und Personalfragen beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Ein Austausch im geschlossenen Rahmen – und doch entstand aus dem letzten Webinar in Zusammenarbeit mit der ZfK zugleich eine vierteilige Themenreihe "Gesundheitsmanagement im Fokus". Im ersten Teil richtet sich der Blick über die Grenze hinweg auf die Wiener Stadtwerke.

  • Karin Korn ist bei den Wiener Stadtwerken für das Strategische Gesundheitsmanagement verantwortlich.

Resilienz fördern

Mit rund 18.000 Mitarbeitenden ist das kommunale Unternehmen der größte Infrastrukturdienstleister der Stadt. "Wir befinden uns in Zeiten großer Transformationen. Um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten, braucht es nicht nur resiliente Einzelpersonen, sondern auch eine resiliente Organisation", betont Karin Korn, Leiterin des Strategischen Gesundheitsmanagements. 

Resilienz beschreibe die Kraft eines Unternehmens, gerade auch in Krisen oder Veränderungsprozessen achtsam, lebendig und wirksam agieren zu können. Wie beispielsweise, "Räume zu schaffen – für eigene Ideen, für Sinnhaftigkeit, zum Ausprobieren und auch zum Zulassen von Fehlern." Denn der Veränderungsdruck sei bei der Arbeit klar spürbar.

Bei den Wiener Stadtwerken ist das laut Korn ganz deutlich ein kulturelles Thema: "Betriebliches Gesundheitsmanagement greift bewusst in die Unternehmenskultur ein und verändert diese. Es werden notwendige Strukturen geschaffen, um eine gesunde Unternehmenskultur zu steuern und zu entwickeln." Das stärke im Gegenzug auch die Arbeitgebermarke und schaffe Raum für Innovation und Weiterentwicklung.

Wie das funktionieren kann?

Dafür setzen die Wiener Stadtwerke auf drei zentrale Hebel in der Betrieblichen Gesundheitsförderung: Verhaltensprävention, Verhältnisprävention und Führung. 

Gesunde Ernährung, Stressmanagement und Sport zählen beispielsweise zur individuellen, vom Unternehmen geförderten Verhaltensprävention. Das Modell unterstreicht zudem, dass Führungskräfte einen direkten und indirekten Einfluss auf das Wohlbefinden und die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten haben. Denn sie wirken als Rollenvorbilder für Gesundheit. Und drittens: Zur Verhältnisprävention zählen eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung, flexible Arbeitszeiten und auch der Ausbau von Kommunikationsstrukturen. 

"Diese drei Hebel müssen ineinandergreifen, um eine langfristige gesundheitsorientierte Unternehmenskultur glaubhaft zu machen“, so Korn.

Enttabuisierung

Und es gibt Handlungsbedarf. Laut Korn waren beziehungsweise sind bereits 39 Prozent der Bevölkerung in Österreich in der Vergangenheit oder aktuell von psychischen Erkrankungen betroffen: "Und oft sind sie nur die Ursache anderer Erkrankungen. Die Dunkelziffer ist wesentlich größer“, so Korn.
Ein Hauptproblem sei die Tabuisierung. Eine Studie belegt, dass lediglich 21 Prozent der Beschäftigten im Arbeitskontext über psychische Belastungen sprechen. Im Familien- oder Freundeskreis sind es hingegen 63 Prozent. Auch hier sieht Korn die Unternehmen in der Pflicht, eine offene Kultur zu schaffen.

Darum gibt es bei den Wiener Stadtwerken eine externe Beratungsstelle für psychologische Unterstützung – in schwierigen Situationen wie zum Beispiel bei Konflikten oder Mobbing. So sollen niedrigschwellige Angebote in einem geschützten Rahmen geschaffen werden. Im Jahr 2024 wurden 186 Klientinnen und Klienten registriert. Die Inanspruchnahme steige stetig, so Korn.

Leuchtturmprojekte

Doch jede Gesundheitsmaßnahme ist nur so wirksam, wie sie sich in der Praxis bewährt, betont die Expertin. Aus diesem Grund wurde der BGM-Wirksamkeitsreport erstellt, mit dem Ziel, Leuchtturmprojekte im BGM ausfindig zu machen, die die größte Wirkung in der Organisation oder bei spezifischen Zielgruppen erzielen. Dadurch wird qualitätsgesichert gearbeitet und Fachwissen für die Organisation zur Verfügung gestellt. Der Report soll die Effektivität von BGM-Maßnahmen beschreiben und nach außen kommunizieren, Transparenz schaffen und vor allem fundierte Entscheidungen für zukünftige Gesundheitsinitiativen ermöglichen – einschließlich konkreter Handlungsempfehlungen.

Im Hinblick auf die steigenden psychischen Belastungen gehört mittlerweile auch "Erste Hilfe für die Seele" dazu. Dieses Pilotprojekt bei der Wien Energie bildet Führungskräfte zu Ersthelfern bei psychischen Problemen aus. Das wissenschaftlich fundierte Programm stammt aus Australien. "Wie gehe ich als Führungskraft auf Personen zu, die sich plötzlich im Arbeitskontext zurückziehen, traurig oder unkonzentriert wirken?" Für solche Fragen gilt es, Bewusstsein zu schaffen und konkrete Werkzeuge an die Hand zu geben.

Das Konzept soll auf weitere Arbeitsbereiche ausgeweitet werden. Denn Korn betont: "Massiver Andrang und eine aufgeheizte Stimmung in der Energiekrise setzen nicht nur die Teams im Kundenservice unter extremen Druck."