Karriere

Wenn die neue Führungskraft aus einem Start-up kommt

In jungen Unternehmen „sozialisierte“ Manager verfügen über eine hohe Innovationskraft, von der Energieversorger profitieren können. Allerdings sind für die Integration einige Regeln zu beachten, um Kulturkonflikte zu vermeiden. ZfK-Interview mit Unternehmensberaterin Vanessa Besler de Castro.
21.06.2024

Start-ups "denken" ihre Produkte und ihren Service vom Kunden her.

Frau Besler de Castro, der Energiemarkt wird immer komplexer und die Energieversorger spüren den Fachkräftemangel. Sie sagen, es lohne sich, Führungskräfte auch aus der Start-up-Szene zu rekrutieren. Inwiefern?

Aktuell geht es für Energieversorger darum, sich zukunftsfähig aufzustellen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Es bedarf der Anpassung des aktuellen Geschäftsmodells, der Etablierung einer Kultur der Veränderungsbereitschaft sowie der Identifikation neuer Geschäftsfelder.

In diesem dynamischen und disruptiven Umfeld können Führungskräfte aus der Start-up-Szene von unschätzbarem Wert sein. Start-ups charakterisieren sich durch ein junges, innovatives Geschäftsmodell, mit agilen Strukturen und einem schnellen Wachstum, welches seine Positionierung am Markt noch finden muss.

In dieser Frühphase unternehmerischer Entwicklung sind sie daher vielen Veränderungsprozessen ausgesetzt, so dass Start-up-Manager gewohnt sind, flexibel, kreativ und schnell auf Marktanforderungen zu reagieren. Daher bringen sie nicht nur frische Perspektiven, sondern auch eine hohe Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft mit. Führungskräfte aus Start-ups sind gute Netzwerker:innen, häufig digital versiert und tendenziell weniger risikoavers.

Da profitieren die Energieversorger also vom kreativen Umgang mit neuen Kundenanforderungen?

Absolut. Es geht ja um Differenzierung und Schnelligkeit. Start-ups "denken" ihre Produkte und ihren Service vom Kunden her. Dafür stellen sie den Kunden mit seinen Bedürfnissen und Wünschen ins Zentrum des Handelns. Sie denken oft "out of the box" und sind äußerst schnell in der Lage, auf sich verändernde Rahmenbedingungen mit kreativen Lösungen zu reagieren und neue Produkte und Services zu entwickeln, die genau den Marktbedarf erfüllen.

Sie setzen verstärkt auf digitale Lösungen und nutzen moderne Technologien. Energieversorger profitieren ebenfalls von ihrer agilen Art, in Teams einfach mal etwas auszuprobieren.

Wie macht man als Unternehmen auf sich aufmerksam? Und welche Hürden muss man im Bewerbungsgespräch mit Start-up-Mitarbeiter:innen überwinden?

Mitarbeiter:innen, die in Start-ups "sozialisiert" wurden, möchten etwas bewegen, Teil einer Wandlung sein und dabei die reelle Möglichkeit erhalten, ihr Wissen effektiv einzusetzen. Somit ist es durchaus hilfreich, im Rahmen einer attraktiven und klaren Rollenbeschreibung die Unternehmensvision zu skizzieren und auf Innovationsprojekte hinzuweisen.

Zudem gilt es, die Möglichkeiten zur persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung und die vielfältigen Benefits des Unternehmens hervorzuheben, flexible Arbeitsbedingungen und flache Hierarchien, neben dem Vorteil einer gefestigten Struktur eines etablierten Unternehmens. Denn nicht jeder, der in einem dynamischen Start-up-Umfeld arbeitet, schätzt diesen partiellen Mangel an Strukturen, die Unsicherheit und die Volatilität.

Im Rahmen eines Bewerbungsgesprächs sollte auf eine offene und authentische Kommunikation geachtet werden, da Start-up-Mitarbeiter:innen oft informellere Strukturen gewohnt sind. So gelingt es, den Bewerber:innen zu vermitteln, dass ihre innovativen Ansätze, ihre Ideen sowie ihre Agilität auch in einem etablierten Unternehmen gefragt und willkommen sind.

Reagieren die Belegschaften größerer, etablierter Unternehmen anders auf Manager:innen aus der Start-up-Szene?

Da diese Manager:innen einen gewissen "Freiraum" gewohnt sind, bedarf es für eine gewinnbringende Integration in eine bestehende Organisation einer guten Kommunikation sowie guter Führungsarbeit, um Kulturkonflikte zu vermeiden. Ebenfalls sind die Etablierung einer konstruktiven und schnellen (Fehler-)Kultur sowie einer Veränderungsbereitschaft elementar, damit sich Synergien mit bestehenden Teams gewinnbringend entfalten können.

In größeren, langjährig etablierten Unternehmen mit meist bürokratisierten Strukturen führt die Integration neuer Methoden nicht selten zu Verunsicherung und Abwehrhaltung bei Mitarbeitenden. Für eine kontrollierte (Kultur-)Veränderung braucht es Sicherheit und Orientierung. Um die Mannschaft mitzunehmen, sollten die bestehenden Strukturen respektiert und neue innovative Ideen schrittweise eingeführt werden, um das Vertrauen der Belegschaft zu gewinnen und die Akzeptanz zu erhöhen.

Wie kann das konkret aussehen?

In diesem Zusammenhang sprechen wir von der Ambidextrie-Fähigkeit von Führungskräften und Organisationen. Ambidextrie bezeichnet die Balance zwischen Bewährtem, das Effizienz und Orientierung stiftet, und notwendiger innovativer Anpassung an die sich verändernden Rahmenbedingungen. Dies gilt umso mehr, je agiler der Kontext ist.

In der Praxis hat sich die Implementierung interdisziplinärer oder crossfunktionaler Teams zu Themenschwerpunkten etabliert, so dass jeder Mitarbeitende die Möglichkeit hat, in seinem Tempo den Wandel mitzugestalten. Wichtig ist dabei die Realisierung von gemeinsamen Erfolgserlebnissen und das Feiern von Meilensteinen sowie regelmäßige Feedbackgespräche, um die Motivation aufrecht zu erhalten. (bs)