Deutschland

"Ein kombinierter Kapazitätsmarkt kann Europa als Blaupause dienen"

Christoph Maurer ist einer der profiliertesten Kapazitätsmarkt-Forscher Deutschlands. Im ZfK-Interview erklärt er, wie die Kosten bei einem Kombi-Modell verteilt werden könnten – und blickt über die deutschen Grenzen hinaus.
28.08.2024

Consentec-Geschäftsführer Christoph Maurer

Das Aachener Beratungsunternehmen Consentec begleitet das Bundeswirtschaftsministerium seit Monaten im Rahmen der Plattform Klimaneutrales Stromsystem. Dabei stellte es auch mehrere Kapazitätsmodelle vor. Im Interview mit der ZfK erklärt Geschäftsführer Christoph Maurer, warum aus seiner Sicht ein kombinierter Kapazitätsmarkt, also eine Mischung aus zentralen Ausschreibungen und dezentralem Handel von Kapazitätsnachweisen zur Deckung der Spitzenlast, als Blaupause für Europa dienen könnte  – und wie es mit den Kosten aussieht.

Herr Maurer, das Bundeswirtschaftsministerium bevorzugt einen Mix aus dezentralem und zentralem Kapazitätsmarkt. Wer finanziert dann eigentlich was?

Maurer: Es gibt mehrere Zahlungsströme, über die man sich Gedanken machen muss. Im zentralen Element wird zunächst Kapazität über einen langen Zeitraum vergütet. Dafür fallen erst einmal Kosten bei einer zentralen Stelle an, bei der Bundesnetzagentur oder bei den Übertragungsnetzbetreibern. Diese Kosten müssen refinanziert werden. Dafür gibt es zwei Wege.

Nämlich?

Der eine Weg ist, dass für Anlagen, die im zentralen Segment einen Zuschlag erhalten, auch Zertifikate ausgestellt und am dezentralen Markt veräußert werden. Die dort erzielten Erlöse könnten dann genutzt werden, um die Kosten des zentralen Segments zu refinanzieren.

Und der zweite Weg?

Sollten noch Kosten übrigbleiben, könnten diese über eine Umlage refinanziert werden. Wie diese Umlage ausgestaltet ist, darüber kann man diskutieren. Vorstellbar ist, dass die Umlage den eigenen Beitrag zur Systemspitzenlast reflektiert. Eine solche Umlage wäre dynamischer als die alte EEG-Umlage, die platt pro Kilowattstunde bezahlt wurde. Das würde zusätzliche Anreize setzen, die eigene Spitzenlast zu verringern.

Bleiben die Kosten des dezentralen Marktes.

Hier können sich Anlagen zertifizieren lassen. Wenn sie zertifiziert sind, dürfen sie ihre Zertifikate an die Bilanzkreisverantwortlichen verkaufen. Diese werden die damit verbundenen Kosten wahrscheinlich an ihre Kunden durchreichen.

Kommt uns der kombinierte Kapazitätsmarkt teurer als ein reines zentrales Modell?

Nein. Wir glauben sogar, dass er günstiger ist. In einem zentralen Kapazitätsmarkt würden alle für notwendig erachteten und fest kontrahierten Kapazitäten eine Vergütung bekommen. Im hybriden Modell ist hingegen das Volumen, das zentral ausgeschrieben wird, deutlich kleiner.

Anders als im rein zentralen Modell werden auch nicht alle Kosten über eine Umlage refinanziert. Der Großteil kommt ja über den Verkauf von Zertifikaten. Klar. Verbraucher werden am Ende auch für diese Kosten aufkommen. Allerdings ermöglicht der Zertifikatehandel eine besonders effiziente Gewährleistung von Versorgungssicherheit, weil sich Lastflexibilitäten deutlich stärker nutzen lassen. Das heißt: In Summe dürfte ein kombinierter Kapazitätsmarkt über das gesamte System hinweg günstiger sein als ein rein zentraler Kapazitätsmarkt.

An die günstigste Lösung, den reinen dezentralen Kapazitätsmarkt, reicht ein kombiniertes Modell aber nicht heran.

Das kommt darauf an. Ich würde nicht sagen, dass ein dezentraler Kapazitätsmarkt per se billiger ist. Denn die Frage ist, ob ein solches Modell ausreichend Anreize für Neuinvestitionen setzt und dadurch auch langfristig Versorgungssicherheit gewährleisten kann. Ich würde eher erwarten, dass die Preise in einem rein dezentralen Markt deutlich volatiler sind.

Es mag einzelne Jahre geben, in denen die Zertifikate günstig sind, weil es ausreichend Kapazitäten auf dem Markt geben wird. Dann wird es aber Jahre geben, in denen es möglicherweise zu Knappheiten kommt und der Preis stark steigen wird. Das Ziel des kombinierten Kapazitätsmarkts ist, die Vorteile beider Elemente zu verbinden. Beim zentralen Element ist das die Investitionssicherheit für Neuanlagen, beim dezentralen ist es die Innovationsstärke. Gelingt beides, haben wir nicht nur eine langfristig verlässliche Versorgung sichergestellt. Dann werden auch die Kosten im Rahmen bleiben.

Deutschland würde mit dem kombinierten Kapazitätsmarkt in Europa einen Sonderweg beschreiten. Dabei müsste doch das Ziel sein, die europäischen Strommärkte immer stärker zu verbinden. Verbauen wir uns diesen Weg nicht?

Das glaube ich nicht. Kurzfristig wird es so sein, dass Deutschland etwas anders macht als andere EU-Staaten. Ich glaube aber, dass auch europäische Länder mit zentralen Märkten Anpassungsbedarf sehen, um beispielsweise Lastflexibilität mehr einzubinden. Auch dort spielen volatile erneuerbare Energien, Speicher und flexible Nachfrage eine immer größere Rolle.

Deswegen wäre meine Erwartung, dass auch Länder mit zentralen Kapazitätsmärkten mittelfristig noch einmal darüber nachdenken müssen, wie sie auf diese Veränderungen reagieren müssen. Ich könnte mir vorstellen, dass ein kombinierter Kapazitätsmarkt für sie durchaus als Blaupause dienen kann. Insofern sehe ich das Argument, dass Deutschland jetzt einen Sonderweg beschreiten würde, relativ entspannt.

Das Interview führte Andreas Baumer


Teil eins des Interviews, bei dem es unter anderem um Geschäftschancen von Stadtwerken im kombinierten Kapazitätsmarkt geht, lesen Sie hier.

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