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Experte erklärt, welche Chancen ein Kombi-Kapazitätsmarkt Stadtwerken bietet

Consentec-Geschäftsführer Christoph Maurer zählt zu den profiliertesten Kapazitätsmarkt-Forschern Deutschlands. Ein Interview über das Beste aus zwei Welten und die neue Rolle Bilanzkreisverantwortlicher.
26.08.2024

Consentec-Geschäftsführer Christoph Maurer

Das Aachener Beratungsunternehmen Consentec begleitet das Bundeswirtschaftsministerium seit Monaten im Rahmen der Plattform Klimaneutrales Stromsystem. Dabei stellte es auch mehrere Kapazitätsmodelle vor. Im Interview mit der ZfK erklärt Geschäftsführer Christoph Maurer, warum er eine Kombination aus dezentralem und zentralem Kapazitätsmarkt für besonders gut geeignet hält – und welche Geschäftsmodelle daraus für Stadtwerke erwachsen.

Herr Maurer, das Bundeswirtschaftsministerium hat sich auch auf Rat Ihres Unternehmens für einen kombinierten Kapazitätsmarkt ausgesprochen. Ist das wirklich der Weisheit letzter Schluss?

Ich gebe zu: Das Modell ist komplexer als ein reiner zentraler Markt. Das ist aber auch gerechtfertigt, denn auch der zukünftige Energiemarkt wird komplexer und auf diese Anforderungen muss der Kapazitätsmarkt ausgerichtet sein.

Das müssen Sie erklären.

In der Vergangenheit mögen zentrale Kapazitätsmärkte gut funktioniert haben, weil sich Angebot und Nachfrage gut prognostizieren ließen. In Zukunft aber wird Strom vor allem von Wind- und Solaranlagen produziert werden. Wann sie Strom erzeugen, ist stark wetterabhängig. Zugleich wird sich die Nachfrage viel dynamischer entwickeln. Wenn wir kosteneffizient Versorgungssicherheit gewährleisten wollen, brauchen wir nicht nur neue Kraftwerke, sondern müssen auch flexible Verbraucher und sonstige Flexibilitätsoptionen einbinden, wofür zentrale Kapazitätsmärkte nur bedingt geeignet sind. Ein simples Adaptieren bestehender Modelle wäre diesbezüglich kein zukunftsfestes Modell.

Der kombinierte Kapazitätsmarkt ist aber nicht nur komplex, sondern auch unerprobt. Sehen Sie das nicht als Risiko?

Naja, vollständig neu ist das Modell nicht. Die einzelnen Elemente sind im Prinzip bekannt. Es geht auch nicht darum, dass beide Modelle gleichzeitig starten müssen. Wir schlagen vor, dass wir mit einer zentralen Ausschreibung beginnen und dann das dezentrale Segment ergänzen. Das bietet die Chance, dass wir die wesentlichen Kapazitätsprobleme auf Kraftwerksseite schnell adressieren und gleichzeitig ausreichend Zeit haben, um den aufwändigeren dezentralen Markt auszugestalten.

Beim dezentralen Element kommt den Bilanzkreisverantwortlichen, hinter denen oft Stadtwerke stecken, eine besondere Rolle zu. Worauf müssen sie sich einstellen?

Zunächst einmal sind die Bilanzkreisverantwortlichen in der Pflicht, ihre Nachfrage auch zu Spitzenlastzeiten über Kapazitätszertifikate abzusichern. Insofern tragen sie mehr Verantwortung. Allerdings müssen sie sich schon jetzt darum kümmern, dass ausreichend Leistung zur Verfügung steht, um die Nachfrage im eigenen Bilanzkreis zu decken. Insofern ist das keine vollständig neue Pflicht, die auf sie zukommt, sondern eine andere Ausgestaltung bestehender Verpflichtungen. Gleichzeitig ergeben sich für sie im dezentralen Markt Chancen.

Welche sind das?

Zum Beispiel ist es im dezentralen Kapazitätsmarkt deutlich einfacher als im zentralen Modell, unterschiedliche Arten von Lastflexibilität nutzbar zu machen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Daraus können eigene Geschäftsmodelle erwachsen.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir an, dass ein Versorger viele Elektroautofahrer in seinem Kundenportfolio hat. Wenn er vertraglich regelt, dass er zu Spitzenlastzeiten auf deren Autobatterien zugreifen und Ladevorgänge aussetzen kann, kann er in seinem Bilanzkreis so seine Spitzenlast reduzieren und auf den Kauf teurerer Kapazitätszertifikate verzichten. Diese Kostenersparnis kann der Versorger dann an den Kunden weitergeben und sich einen Vorteil gegenüber Wettbewerbern verschaffen. Gelingt das, lassen sich große Potenziale erschließen. Oder nehmen wir einen Versorger, der einen Industriekunden im Portfolio hat.

Gern.

Da mögen viele Flexibilitäten zurzeit noch gar nicht erschlossen sein, weil Industrieunternehmen die Risiken bislang zu groß waren. Hier könnte ein dezentraler Kapazitätsmarkt einen zusätzlichen Anreiz setzen, das zu ändern und so den gesamten Strommarkt effizienter zu machen.

Die Fragen stellte Andreas Baumer


Teil zwei des Interviews, bei dem es unter anderem um die Kosten des kombinierten Kapazitätsmarktes geht, lesen Sie hier.

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